Energiegemeinschaften: Ludwig Karg, Geschäftsführer, B. A. U. M. Consult GmbH, München/Berlin; Leiter der Task Force Energy Communities im Rahmen der EU-Forschungsplattform Bridge Horizon 2020, Brüssel

Ludwig Karg, Geschäftsführer, B. A. U. M. Consult GmbH, München/Berlin; Leiter der Task Force Energy Communities im Rahmen der EU-Forschungsplattform Bridge Horizon 2020, Brüssel (Foto: Privat)

Vision und Konzepte

„et“: Herr Karg, welche Vision verfolgt die EU mit den Vorgaben einer „Citizen Community“ und einer „Renewables Community“?

Karg: Energiegemeinschaften sind ein folgerichtiger Schritt zur weiteren Liberalisierung des EU-Binnenmarktes. Dieser Prozess läuft bereits über 20 Jahre und begann mit den Vorschriften zum Unbundling, also der Trennung von Netzsystem, Erzeugung und Stromhandel. Die Vision der EU-Kommission ist, dass alle, die im Energiesystem eine Rolle spielen wollen, dieses im Wettbewerb auch verwirklichen können. Mit den Citizen und Renewables Energy Communities bekommen Bürger und kleinere Unternehmen die Möglichkeit, sich untereinander selbst zu versorgen oder mit Stadtwerken zusammen eine Energiegemeinschaft zu gründen.

„et“:  Die Konzepte zu den beiden Arten von Communities sind nicht deckungsgleich. Wie lassen sich die beiden Formen voneinander abgrenzen?

Karg: Die Renewable Energy Communities sind auf erneuerbare Energien in Form von Strom und Wärme beschränkt. Hier sollen Erzeugung und Verbrauch zudem räumlich nah beieinander liegen. Im Original der Richtlinie heißt das „proximity“. Der Anwendungsbereich der Citizen Energy Communities bezieht sich auf Strom, lässt aber den Zweck der Gemeinschaft offen. Das kann neben Stromerzeugung auch die Bereitstellung von Flexibilität, die Finanzierung von Energieeffizienz oder die gemeinsame Nutzung eines elektrischen Fuhrparks sein. Auch wird da „die Nähe“ nicht gefordert.

Motivation und Nutzen

„et“: Worin liegt der Nutzen für die Mitglieder einer Energiegemeinschaft?

Karg: Da eine reine Gewinnerzielungsabsicht bei einer Energy Community laut EU-Direktive nicht zulässig ist, geht es vorrangig um Vorteile für die Gruppe – oder die Umwelt. Das kann die gegenseitige Stromversorgung sein – auch über Verbindungen des öffentlichen Stromnetzes. Weitergehende Varianten sind möglich: Die Community kann sich aber auch systemdienliches Verhalten honorieren lassen. Beispielsweise kann sie im Rahmen eines Car-Sharing-pools sicherstellen, dass maximal drei Autos gleichzeitig laden. Diese Festlegung kann dann dem Netzbetreiber als gesicherte Flexibilität angeboten werden. Es gibt in Europa bereits viele Projekte und Initiativen, die Marktplätze für Flexibilitäten schaffen wollen. Auf denen kann dann eine Energy Community tätig werden.

„et“: Wie hoch ist das Interesse der Netzbetreiber an solchen Angeboten der Kunden?

Karg: Wir haben diese Frage schon vor zehn Jahren im Rahmen des Forschungsprogramms „E-Energy“ untersucht und ein Maximum von 7 % Flexibilität im Verbrauch ermittelt, was etwa 30 € ausmacht. Der Aufwand für die Netzbetreiber, dafür einen Abrechnungsprozess zu installieren, ist im Vergleich zum Betrieb eines Reservekraftwerks zu hoch. Wenn aber die Prosumer nicht einzeln anbieten, sondern in einer Gruppe poolen, werden aus 30 € schnell 30.000 €. Denn so eine Gemeinschaft kann das Netz erheblich entlasten, indem sie innerhalb eines Straßenzugs bereits Erzeugung und Verbrauch ausgleicht. Das kann Netzausbaukosten reduzieren.

„et“: Sie sprachen systemdienliches Verhalten an. Welche Motivation gibt es für einen Verbraucher, sich nach Sonne und Wind zu richten?

Karg: Die vielleicht naheliegende Idee, Verbraucher allein über den Preis zu systemdienlichem Verhalten zu motivieren, führt in die Irre. Das hatten schon das „E-Energy-Programm“ und nun auch die Forschungsprojekte des „Schaufenster Intelligente Energie (SINTEG)“ ergeben. Denn für einen monetären Anreiz, der vielleicht in der Größenordnung von drei Kasten Bier liegt, lohnt sich für den Kunden nicht einmal die Installation der technischen Ausstattung.

Ganz anders ist aber die Motivation, wenn es nicht um individuelle Verbraucher, sondern um kleine Gruppen geht: In einer Gemeinschaft, die möglichst mit der eigenen Stromproduktion auskommen will, wird jeder Einzelne den Strom möglichst dann verbrauchen, wenn Produktionsüberschüsse vorhanden sind – und umgekehrt. Einen solchen natürlichen Anreiz gibt es nur innerhalb einer Kohorte, welche die Bilanzgrenzen noch überschauen und sich identifizieren kann, mit dem was sie tut. Das zeigt sich ja auch schon bei Mieterstrommodellen, in denen die Bewohner ihren Stromverbrauch an ihre Vor-Ort-Stromerzeugung optimal anpassen.

Was heißt „Regionalität“?

„et“: Sehen Sie bei den Energiegemeinschaften Analogien zu anderen Branchen?

Karg: Als B.A.U.M. Consult beraten wir Kommunen oder Regionen dahingehend, wie sie ihre Nachhaltigkeit verbessern können. Nach unserer Erfahrung schätzen Menschen, was sie aus ihrer Umgebung kennen. Das beginnt bei regionalen Lebensmitteln, für die Verbraucher gerne auch etwas mehr zahlen. Das wäre bei der Energieversorgung nicht anders. Aber leider können die Anwohner sich bisher nicht direkt von der regionalen Windanlage mit Strom beliefern lassen. Das gilt sogar, wenn sie selbst finanziell an dem Windrad beteiligt sind.

„et“: Wenn Regionalität so ein wichtiger Faktor ist – wie groß ist eigentlich eine Region?

Karg: Nähe hat einen konkreten geografischen Bezug. Psychologen gehen davon aus, dass ungefähr ein Umkreis von 70 km als eigene Region wahrgenommen werden kann. Das entspricht der Entfernung, die ein Mensch an einem Tag zu Fuß zurücklegen oder heute etwa in einer Stunde mit dem Auto oder dem Zug erreichen kann. Neben der Entfernung spielen natürlich auch kulturräumliche Eigenheiten eine Rolle. Damit sich die Menschen mit einem regionalen Produkt identifizieren können, ist es wichtig, überschaubare Einheiten zu schaffen.

„et“: Von der europäischen Ebene bis zu kleinteiligen Regionen ist ein langer Weg. Wie wird das europäische Konzept in den Mitgliedstaaten aufgenommen?

Karg: Ob alle Feinheiten der beiden EU-Direktiven Eingang in die nationale Gesetzgebung finden, ist fraglich. Viele Staaten werden sich voraussichtlich auf eine Schnittmenge der Citizen Communities und der Energy Communities beschränken. Das wären dann zum Beispiel eine Energiegemeinschaft innerhalb einer Region, die sich ausschließlich mit der Erzeugung, der Speicherung und der Lieferung von erneuerbarem Strom beschäftigt. Noch weiß niemand, was die EU-Kommission dazu sagen wird. Klar ist aber, dass man den vorgesehenen Anwendungsbereich der EU-Richtlinien sehr weit, aber auch sehr eng fassen kann.

„et“: Welche Möglichkeiten blieben dann unberücksichtigt?

Karg: Eine Renewable Energy Community gemäß der EU-Richtlinie würde sowohl Wärmeversorgung als auch elektrische Mobilität mit Erneuerbaren einschließen. Auch Energieeffizienz-Projekte wie die Finanzierung der energetischen Sanierung einer Schule wären möglich. Bei einer Citizen Energy Community könnte die Gemeinschaft Dienstleistungen oder Flexibilitäten rund um den Strom anbieten. Dabei ist die Regionalität dann auch nicht zwingend.

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