Energiemanagement: Das Team des strategischen Vorausentwicklungsprojekts „Economy of Things“ (EoT) bei Bosch Research arbeitet an der Vision eines datengeschützten Energiehandels zwischen Haushalten

Das Team des strategischen Vorausentwicklungsprojekts „Economy of Things“ (EoT) bei Bosch Research arbeitet an der Vision eines datengeschützten Energiehandels zwischen Haushalten (Bildquelle: Bosch)

Das Team des strategischen Vorausentwicklungsprojekts „Economy of Things“ (EoT) bei Bosch Research forscht an der Frage, ob das Energiemanagement in privaten Haushalten nicht vielmehr über die vier Wände hinausgedacht werden sollte? Dahinter steht zum einen die grundsätzliche Überzeugung des EoT-Teams, dass das Internet of Things (IoT) zwar Dinge vernetzt, diese aber damit noch nicht das Potenzial entfalten, im Sinne einer EoT ökonomische Werte auszutauschen. Zum anderen legt das Forschungsteam seiner Arbeit den Gedanken sozial-fairer Mechanismen zugrunde. Bringt man beide Überlegungen zusammen, dann könnten im Kern Energiemarktplätze ohne zentrale Instanzen entstehen. Eine Innovation, die ihresgleichen sucht. Also eine deutliche Verbesserung zur heutigen Praxis in Europa.

„Technisch ist es heutzutage bereits möglich, dass innerhalb eines Haushalts der Energieverbrauch im Sinne eines Smart Home optimiert wird. So könnte die Waschmaschine nur dann laufen, wenn es am günstigsten ist, also beispielsweise wenn die PV-Anlage Überschussstrom produziert. Oder der Kühlschrank könnte sich je nach Inhalt selbst stromtechnisch regulieren“, erklärt Christian Heise, stellvertretender Projektdirektor „Economy of Things“ und ergänzt: „Viel spannender wäre es jedoch, wenn wir weiter als Level 4 denken und Haushalte ihren nicht benötigten Strom auch im Wohnviertel handeln könnten.

Herausforderung Datensouveränität und Integrität

Wer beim optimierten Energiemanagement und -handel über die Haushaltsgrenze hinausdenkt, stößt auf Herausforderungen wie Datensouveränität: Haushalt A hat berechtigterweise kein Interesse daran, seiner Nachbarschaft den Stromverbrauch – oder die Zuweisung zu einzelnen Hausgeräte-Verbräuchen – und die damit einhergehenden Überschüsse preiszugeben. Auch die persönlichen Preisgrenzen bei einem konkreten Energiebedarf ist keine Angabe, die öffentlich gemacht werden darf.

Auch die Randbedingungen sind Teil der Privatsphäre: Wenn Familienmitglieder A und B beispielsweise jeden Mittwochabend im Fitnessstudio sind, reduziert sich der Haushalts-Energiebedarf zu diesen Stunden vermutlich. Diese freiwerdende Strommenge könnte dann am dezentralen Markt gehandelt werden. Erst recht, wenn die Mitglieder des Haushalts allesamt im Urlaub sind. Eine weitere Herausforderung lautet Integrität: die eindeutige Identifikation der Akteure als auch Echtheit der ausgetauschten Werte bei gleichzeitiger Einhaltung von Privatsphäre und Datenschutzvorgaben.

Technologien und Konzepte müssen auf die wertvollste Währung „Vertrauen“ einzahlen

„Wenn wir an einem dezentralen Energiemanagement und -handel forschen, dann haben wir es mit einem höchst anspruchsvollen Kontext zu tun. Wir tangieren dabei das hochsicherheitskritische Thema Grundversorgung. Aus Bürgersicht wiederum ist Vertrauen die entscheidende Währung“, so Jared Weinfurtner, Lead Architect for Decentralized Energy Trading. „Alle Technologien, die wir entwickeln und nutzen, müssen daher auf Vertrauen einzahlen.“ Zu den vertrauensschaffenden Technologien und Konzepten zählen beispielsweise sogenannte Distributed-Ledger-Technologien (DLT), Multi-Party Computation (MPC) und dezentrales Identitätsmanagement (z.B. Self Sovereign Identity, SSI). Während DLT für eine transparente, überprüfbare und konsensbasierte Transaktionshistorie sorgt, steht MPC als kryptographisches Verfahren für die dazugehörige Strompreis-Berechnungsumgebung, die Privatsphäre gewährleistet und so für Sicherheit und Vertrauen sorgt. Durch SSI beispielsweise hat der Eigentümer die Kontrolle über seine Daten.

Ein Softwareagent, der das Haus vertritt

„Eingebettet in eine solche technologische Umgebung ließe sich dann eine entsprechende Agentensoftware programmieren“, erklärt Lars Wegner, Senior Developer for Multiagent Systems. „Ein derartiger Agent vertritt quasi den Haushalt. Er ist idealerweise so intelligent, dass er eine Prognose abgeben kann, wieviel Energie der Haushalt wann verbrauchen wird. Er weiß, wann die Lasten verschoben werden müssen. Wann beispielsweise das Spülmaschinenprogramm starten oder der Ladevorgang des E-Mobils unterbrochen werden sollte.“ Der Agent würde dann auch erkennen, ob ein bestimmter Generator im Haus heruntergefahren wird – oder ob es die bessere Option wäre, den nicht gebrauchten Strom dezentral zu handeln.

Der Agent könnte auch im Sinne des Haushalts Strom beziehen: „Dabei hat im Gegensatz zu einem herkömmlichen Marktplatz niemand eine Gesamteinsicht in den Markt, so dass keinem Agenten ein Wissensvorteil entsteht. Damit haben alle Energie-Agenten die gleichen historischen und aktuellen Informationen. Die Agenten müssen aus diesen Informationen und ihren tatsächlichen Energie-Kapazitäten das ökonomische Optimum für den Haushalt anvisieren.“ Die Herausforderung ist immens, einen solchen Agenten zu programmieren. Passgenaue Frameworks sind Stand heute nicht existent. Allein die Anforderung, dass Daten nahezu in Echtzeit verarbeitet werden müssten, stellt die Forscher vor große Aufgaben.

Doch der Status quo ist für das EoT-Team keine befriedigende Alternative: In einem zentralistischen Energiemarkt-System wie heute müssten in diesem Szenario alle Geräte zunächst ihre Umgebungsdaten und Anfragen an einen Koordinator senden, jeder Stromanbieter zudem seine Daten. „Das alles müsste berechnet werden, ist hoch komplex und benötigt eine gigantische Rechenleistung“, sagt Heise. „Durch verteilte agenten-basierte Systeme kann die kritische Energieinfrastruktur entlastet werden, in Summe würde sich der Energieverbrauch reduzieren. Wir werden in Kürze eine Reihe von Demonstratoren zu den nötigen Konzepten veröffentlichen und rufen daher die große Community um Energie und dezentrale Technologien auf  kollaborativ an einem Framework für einen dezentralen Energiehandel mitzuarbeiten.“

Prinzipien der Economy of Things als Leitplanken

Das Forschungsteam um Christian Heise wird in den kommenden Monaten systematisch alle Prinzipien einer Economy of Things, so wie sie bei Bosch definiert wurden, auf das Vorhaben dezentrale Energiemarktplätze anwenden – idealerweise mit Partnern. Zusammengefasst lauten sie:

  • Offenheit: Der Energie-Marktplatz steht dauerhaft allen Teilnehmern offen, die sich an die für alle geltenden Grundsätze halten.
  • Neutralität: Kein einzelner Teilnehmer des Marktplatz-Ökosystems soll es dominieren.
  • Transparenz: Transparentes Geschäftsmodell, Organisationsstrukturen, Regulatorien und Entscheidungswege.
  • Souveränität: Bewahrung der Hoheit über die Daten beim Eigner sowie gleichberechtigter Zugang zu Daten für alle Marktteilnehmer.
  • Integrität: Eindeutige Identifikation der Akteure, Authentizität der ausgetauschten Informationen.
  • Coopetition: Firmenübergreifende Kooperationen bei Entwicklung und Betrieb des technischen Systems außerhalb des einzelnen Haushalts (Open-Source-Software); Wettbewerb bei der Entwicklung darauf basierender neuer Produkte und -Services im Haushalt selbst (Agententechnologie; intelligente Hardware).

Vision der Zusammenführung von Energie- und Mobilitätslösungen

Im Idealszenario wird auch der integrierte Ladevorgang eines E-Fahrzeugs beschrieben wurde. Heises Ziel ist die Zusammenführung der Mechanismen in den Bereichen Mobilität und Energie. „Unser zentraler Anspruch ist es, domänenübergreifend effizient mit Ressourcen umzugehen und trotzdem ein sozial faires System aufzubauen. So darf in unseren Augen der Strompreis bei Knappheit nicht knallhart steigen, sondern das gesamte System gleichzeitig angereizt werden, den Verbrauch zu reduzieren.“

Weitere Information unter www.bosch.com/de/forschung/updates/economy-of-things

et-Redaktion

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