
Um seine Energieversorgung zu sichern, wird Deutschland aller Voraussicht nach länger als erwartet auf Erdgas angewiesen sein (Quelle: Adobe Stock)
Auf dem Weg zur Klimaneutralität stand neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bisher vor allem die Reduktion der Nutzung von Kohle im Fokus. Mit den Fahrplänen für den Kohleausstieg rücken nun Öl und Gas verstärkt ins Blickfeld. Insbesondere Erdgas wurde im öffentlichen Diskurs lange als Brückentechnologie angesehen. Doch nun soll auch der Gasverbrauch deutlich gedrosselt werden: von aktuell rund 740 TWh pro Jahr auf 550 bis 650 TWh im Jahr 2030. Bis 2037 sollen es sogar nur noch 270 bis 330 TWh und 2045 schließlich 0 TWh sein. Dies sieht der Netzentwicklungsplan (NEP) vor, basierend auf drei Langfristszenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Entwicklung des Erdgasverbrauchs bis 2030
In den letzten Jahren stellte Erdgas einen wichtigen Bestandteil des Energiesystems dar. Der Anteil am Primärenergieverbrauch stieg von rund 15 % Anfang der 1990er Jahre auf fast 25 % im Jahr 2023. Wie realistisch ist angesichts des steigenden Strombedarfs bei gleichzeitigem Ausstieg aus Kohle und Atomstrom der geplante Rückzug von Erdgas als Energieträger? Die Transportnetzbetreiber selbst haben hierzu ein zusätzliches, aus den bedarfsorientierten Langfristprognosen der Verteilnetzbetreiber abgeleitetes Szenario entworfen: Statt der vom BMWK prognostizierten 550 bis 650 TWh gehen sie von mehr als 700 TWh Erdgasverbrauch im Jahr 2030 aus.
Die Analysen von McKinsey stützen die Annahmen der Netzbetreiber. Für 2030 erwarten wir einen nur geringfügig geringeren Erdgasbedarf von 690 bis 720 TWh. Das belegen unsere nachfolgenden Berechnungen entlang der drei Verbrauchssektoren Haushalte und Gewerbe (45 % Anteil am Gasverbrauch), Industrie (30 %) und Kraftwerke (25 %).
Haushalte und Gewerbe: Schleppender Ausbau alternativer Heiztechnologien
2023 betrug der Erdgasbedarf von Haushalten und Gewerbe etwa 330 TWh. Davon entfielen ungefähr 230 TWh auf die fast 20 Mio. Wohnungen in Deutschland, die mit Gas beheizt werden – knapp die Hälfte aller Haushalte im Land. Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD) verbrauchten rund 100 TWh, die ebenfalls überwiegend für Raumwärme und Warmwasser genutzt wurden. Nach dem Gebäudeenergiegesetz dürfen künftig in beiden Sektoren Heizungen nur neu installiert werden, wenn sie zu mindestens 65 % klimafreundliche Brennstoffe einsetzen. Letztere sind jedoch bisher nur begrenzt verfügbar und teuer, weswegen im Wesentlichen der Einsatz von Wärmepumpen und der Anschluss an Fernwärmenetze angestrebt wird. Der zukünftige Erdgasbedarf dürfte daher vor allem vom Wechsel zu Wärmepumpen und Fernwärme sowie von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bestimmt sein.
Wärmepumpen. Mit Inkrafttreten des Heizungsgesetzes hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, jährlich 500.000 Wärmepumpen zu installieren. Die reale Absatzentwicklung ist davon weit entfernt: Wurden im Jahr 2023 noch etwa 356.000 Geräte verkauft, waren es 2024 nach Angaben des Bundesverbands Wärmepumpe (BWP) nur noch 193.000. Sollte sich der zuletzt beobachtete starke Anstieg der Förderanträge für Wärmepumpen (34.000 im Dezember gegenüber 12.500 im Jahresdurchschnitt) in dieser Größenordnung fortsetzen, könnten zwar bis zu 400.000 Geräte pro Jahr verbaut werden. Doch auch dies wird nicht genügen, um das Ziel von 6 Mio. installierten Wärmepumpen bis 2030 zu erreichen: Hierzu müssten etwa 750.000 Geräte pro Jahr in Betrieb genommen werden – fast viermal mehr als im Jahr 2024.
Im Neubau wiederum ersetzen Wärmepumpen bereits zunehmend Erdgasheizungen: Bei den 2023 genehmigten Wohngebäuden betrug der Anteil von Erdgasheizungen nur noch 7,7 %, während der Anteil der Wärmepumpen bei 76,3 % lag. Doch bei weniger als 300.000 fertiggestellten Wohnungen in 2023 reicht die Wärmepumpenquote im Neubau nicht aus, um die Ausbauziele zu erreichen. Der Wechsel von Heizungssystemen in Bestandsgebäuden ist daher für die Zielerreichung von besonderer Relevanz.
Bei der Renovierung von Bestandsbauten ist der Einbau von Gasheizungen nach wie vor erste Wahl: 2023 erreichte der Absatz von Gasheizungen einen Rekordwert von nahezu 800.000 Einheiten. Laut einer Umfrage im Auftrag der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND) würden im Falle einer Sanierung nur 16 % der befragten Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern eine Wärmepumpe installieren. Die meisten scheuen den Einbau nicht nur aufgrund fehlender Anschlusskapazitäten und räumlicher Beschränkungen, sondern auch wegen der Anfangsinvestitionen und Betriebskosten. Die Anfangsinvestitionen für eine Luftwärmepumpe im Einfamilienhaus liegen bei 20.000 bis 40.000 €, zuzüglich weiterer Ausgaben in Altbauten. Auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Förderungen ist dies in den meisten Fällen teurer als die Investition in eine Gasheizung (8.000 bis 12.000 €). Bei Betrachtung der Gesamtkosten (Fix- und Betriebskosten) beläuft sich die Wärmepumpe bei einem jährlichen Heizbedarf von 18.000 kWh auf etwa 3.800 bis 4.000 € pro Jahr (ausgehend von Endkundenstrompreisen von bis zu 42 ct/kWh infolge steigender Netzentgelte). Im Vergleich dazu kostet eine Gasheizung jährlich etwa 3.600 bis 3.800 € (ausgehend von einem Endkundengaspreis von 10 bis 11 ct/kWh und einem Anstieg des CO2-Preises auf 120 €/t in 2030). So bleibt Erdgas zumindest in Bestandsgebäuden die günstigere Heizalternative.
Fernwärme. Derzeit heizen knapp 14 % der Haushalte mit Fernwärme. Mittelfristig sollen laut BMWK jährlich rund 100.000 Gebäude neu an Wärmenetze angeschlossen werden. Das Ziel erscheint realistisch, nachdem 2023 erstmals diese Schwelle überschritten worden ist. Dennoch birgt auch die Nutzung von Fernwärme Herausforderungen: Für Verbraucher kann sie mit höheren Kosten einhergehen und ist oft an langfristige Verträge gebunden, sodass Wechsel schwierig sind. Derzeit laufen zwei Sammelklagen wegen möglicherweise ungerechtfertigter Preiserhöhungen, nachdem der Dachverband der Verbraucherzentralen vzbv bereits erfolgreich Landgerichtsurteile in Mainz und Düsseldorf zu mehr Transparenz seitens der Fernwärmeanbieter erwirkt hatte. Eine noch größere Herausforderung aber könnte die Bereitstellung CO2-freier Wärme darstellen, wie unten im Abschnitt „Kraftwerke“ näher erörtert wird.
Aufgrund der beschriebenen Hemmnisse beim Ausbau alternativer Heizungstechnologien und der fortlaufendenden Erdgasnutzung in Bestandsgebäuden erscheint ein abruptes Ausphasen von Gasheizungen bis 2030 unwahrscheinlich. Gleichwohl lassen die hohe Wärmepumpenquote im Neubau und die vermehrten Anschlüsse an das Fernwärmenetz eine moderate Abkehr von Gasheizungen erwarten: Bis 2030 prognostizieren wir einen Rückgang des Gasbedarfs um 25 bis 30 TWh im Vergleich zum Basisjahr 2023.
Energieeffizienzmaßnahmen. Zusätzlich reduzierend auf die Erdgasnachfrage können Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz wirken. Studien der Deutschen Energie-Agentur (dena) zeigen, dass bei unsanierten Gebäuden der Energieverbrauch um mehr als 75 % gesenkt werden kann. Um energetische Sanierungen voranzutreiben, unterstützt die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) u.a. Maßnahmen wie den Austausch von Fenstern oder die Dämmung der Gebäudehülle. Allerdings sinkt die Bereitschaft hierzu in der Bevölkerung: Haben 2022 bei einer Umfrage im Auftrag der IKND noch 18 % der Befragten angegeben, in den kommenden 12 Monaten Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, lag der Anteil im vergangenen Jahr nur noch bei 12 %. Entsprechend taxiert der Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle (BuVEG) die energetische Sanierungsquote in 2024 nur auf 0,69 %. Selbst unter der Annahme einer sukzessiven Steigerung der Quote auf bis zu 1,5 % verringert sich nach unserer Modellierung der Erdgasbedarf durch Energieeffizienzmaßnahmen bis 2030 um lediglich 10 bis 15 TWh.
In Summe erwarten wir im Haushalts- und GHD-Segment bis 2030 einen Rückgang der Erdgasnachfrage um 35 bis 45 TWh auf etwa 285 bis 295 TWh.