Zur Erreichung der Transformationsziele bis 2030 ist viel Kapital erforderlich. Dieses anzureizen und Investitionen zu ermöglichen, ist eine große Herausforderung (Quelle: Adobe Stock).
Der Bericht untersucht anhand von Kennzahlen den aktuellen Stand der Energiewende in Deutschland und zeigt auf, wo die größten Hemmnisse für die Realisierung liegen. Ein Kernergebnis des Fortschrittsmonitors: Die Energiewende hat im vergangenen Jahr an Fahrt gewonnen. Planungs- und Genehmigungsverfahren wurden vereinfacht. Der Anteil der erneuerbaren Energien (EE) an der Stromerzeugung stieg erstmals auf deutlich über 50 Prozent.
Dennoch bleiben die Herausforderungen groß: Um die Ziele zu erreichen, sind laut Fortschrittsmonitor Investitionen in Höhe von 721 Milliarden Euro bis 2030 in den Bereichen Energieerzeugung, Stromnetze, Wasserstoffwirtschaft, Wärme und Verkehr erforderlich. Dass solche Investitionen nicht nur zum Klimaschutz beitragen können, sondern auch zum Wirtschaftswachstum in Deutschland, wird ebenfalls im neuen Fortschrittsmonitor dargelegt.
Fortschritte bei Photovoltaik und Windenergie
Im Vergleich zum Vorjahr kam 2023 der Ausbau der EE und der Stromnetze deutlich voran. Das Resultat: Im Jahr 2023 ist der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch erstmals auf über 50 Prozent gestiegen. 2023 war vor allem ein Rekordjahr für die Photovoltaik: Insgesamt wurde eine Leistung von 13,6 GW an PV-Anlagen hinzugefügt, was fast einer Verdoppelung des Zubaus im Vergleich zum Vorjahr entspricht und damit über dem Zielpfad von 9 GW liegt. Allerdings: Für die Erreichung der Ausbauziele der Bundesregierung ist ab 2026 ein jährlicher Zubau von über 20 GW erforderlich.
Auch der Ausbau der Windenergie hat an Fahrt gewonnen: Im Jahr 2023 wurde die Windenergie an Land um etwa 3,3 GW ausgebaut und damit so stark wie seit 2017 nicht mehr. Damit liegt der Zubau über dem Vorjahresniveau, bleibt jedoch unter dem Zielpfad von 5,5 GW. Die Windenergie auf See legte um etwa 0,3 GW zu [1]. Trotz dieser Erfolge: Um das Ausbauziel zu erreichen, muss der Ausbau der Windenergie an Land um den Faktor 1,7 und der Ausbau der Windenergie auf See sogar um den Faktor 9 gesteigert werden.
Vor allem in Bezug auf die Wärme- und Mobilitätswende bleibt aber noch viel zu tun: Der EE-Anteil am Endenergieverbrauch lag 2023 bei Wärme bei 18 Prozent und der EE-Anteil in der Mobilität bei 7 Prozent. Vor allem bei der Wärmewende gab es 2023 Rückschläge: So hat die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Sommer 2023 zu erheblichen Unsicherheiten und infolgedessen zu vorgezogenen Investitionen in Gasheizungen geführt, nachdem deren Absatz im Vorjahr noch gesunken war. Trotz eines Anstiegs des Absatzes von Wärmepumpen um etwa 50 Prozent im Jahr 2023 sind gasbasierte Wärmeerzeuger immer noch die meistverkauften Geräte. Hinzu kommen Engpässe aufgrund von Fachkräftemangel, die voraussichtlich eine weitere Verzögerung des Wärmepumpenausbaus verursachen werden.
Grundsätzlich gilt: Für eine erfolgreiche Wärmewende braucht es die Einbeziehung aller Wärmeversorgungsoptionen, die klimafreundlich Wärme in die Wohnungen bringen können. Dazu gehören neben den beiden wichtigen Säulen Wärmepumpe und Fernwärme auch gasbasierte Systeme – künftig allerdings betrieben mit erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen.
Energiewende-Investitionen tragen zu Wirtschaftswachstum bei
Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, sind erhebliche Investitionen erforderlich: 721 Milliarden Euro allein bis 2030. Den mit 49 Prozent größten Anteil an den Gesamtinvestitionen hat der Ausbau der EE-Stromerzeugung (353 Milliarden Euro). Dahinter folgen der Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze (281 Milliarden Euro), Investitionen ins Fernwärme-Netz (32 Milliarden Euro), 23 Milliarden Euro für Erzeugungskapazitäten für grüne Gase, 17 Milliarden Euro für Speicher und 15 Milliarden Euro für das H2-Kernnetz [2].
„In der deutschen Energiewirtschaft stehen in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen an – Investitionen, die allerdings in erheblichem Umfang Wachstum und regionale Wertschöpfung generieren können“, betont Metin Fidan, Partner bei EY und Leiter des Bereiches Green Transformation und Mining & Metals in der Region Europe West. Denn die Investitionen würden für eine erhebliche Wertschöpfung bei den Herstellern der Investitionsgüter sorgen, beispielsweise von Windturbinen, Solarpanelen oder bei Herstellern von Prozessanlagen für Elektrolyse. Die Studie geht von einer Bruttowertschöpfung von ca. 52 Milliarden Euro pro Jahr und damit 1,5 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland aus, die durch diese Energiewende-Investitionen generiert werden kann.
Investitionen bleiben hinter Potenzial zurück
Die im Jahr 2023 tatsächlich ausgelöste Bruttowertschöpfung wird allerdings nur auf etwa 28 Milliarden Euro geschätzt – damit konnten nur 54 Prozent des jährlichen Potenzials realisiert werden. Immerhin konnte auf diese Weise der durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise verursachte Wachstumseinbruch in Deutschland begrenzt werden. Im Bereich Stromerzeugung wurden 2023 statt 27 Milliarden (Potenzial) tatsächlich nur Wertschöpfungseffekte von 16,4 Milliarden Euro erzielt. Bei den Verteil- und Transportnetzen liegt das Verhältnis mit 9,7 von 11,6 Milliarden Euro deutlich günstiger.
„Wir sehen, dass das jährliche Wertschöpfungspotenzial noch bei weitem nicht vollständig realisiert werden kann“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Um die Potenziale voll zu nutzen, ist vor allem eine weitere Steigerung der Investitionen in den Bereichen EE-Stromerzeugung und Netzausbau erforderlich.“ Weitere Impulse seien durch den Ausbau der Fernwärme, des H2-Kernnetzes sowie der Energiespeicher nötig.
Immerhin: Die Investitionen im Jahr 2023 haben eine deutlich höhere Wertschöpfung ausgelöst als im Vorjahr, als nur eine Wertschöpfung von 8,6 Milliarden Euro generiert wurde. Dennoch liegt das Investitionsvolumen nach wie vor deutlich unter Plan.
Netzstabilität ist ein positiver Standortfaktor
Eine enorme Leistung bescheinigt der Fortschrittsmonitor der Netzwirtschaft in Deutschland: Seit 2006 konnte die Dauer der Strom-Versorgungsunterbrechungen in etwa halbiert werden. Auch vor dem Hintergrund des steigenden Anteils der EE im System wurde das hohe Niveau in der Versorgungssicherheit nicht nur gehalten, sondern verbessert. Mit einer Versorgungsunterbrechung von 12,2 Minuten pro Letztverbraucher lag der Wert in 2022 weiterhin unter dem langjährigen Durchschnitt von 14,76 Minuten. Das ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Die hohe Netzstabilität ist ein positiver Standortfaktor für Deutschland.
Hoher Handlungsdruck
Trotz aller Fortschritte: „Der Handlungsdruck bleibt hoch, um die Ziele bis 2030 zu erreichen“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung: „Positiv sind die Fortschritte, die es laut unseres Fortschrittmonitors bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren gibt. Dieser Trend muss unbedingt gehalten und noch weiter verstärkt werden. Die Summen, die laut unseres Fortschrittmonitors investiert werden müssen, zeigen ganz deutlich: Um die sehr ambitionierten Ziele bis 2030 erreichen zu können, braucht es Kapital. Dieses anzureizen und Investitionen zu ermöglichen gehört zu den größten Herausforderungen der kommenden Jahre. Wir können uns dabei nicht allein auf öffentliche Mittel verlassen. Mehr denn je gilt es, privates Kapital für die Energiewendeprojekte zu gewinnen.“
Investitionen sind gut angelegtes Geld
Andreae betonte: „Investitionen in die Energiewende sind gut angelegtes Geld: Es handelt sich hier um Investitionen in langfristig nutzbare moderne Energie-Infrastrukturen und innovative Technologien, von denen gerade künftige Generationen profitieren werden. Die Unternehmen der Energiebranche tragen zu einem erheblichen Teil zu Investitionen in die Stärkung von Unabhängigkeit und Resilienz bei. Die wirtschaftlichen Schocks der letzten Jahre haben gezeigt: Aus der Krise kann man sich nur herausinvestieren.“
Anmerkungen
[1] Hinweis: Der Offshore-Zubau kann in verschiedenen Jahren stark schwanken, da er von vielen Faktoren abhängig ist, wie zum Beispiel Schiffs- und Hafenkapazitäten sowie der Komponentenverfügbarkeit aus verschiedenen Lieferketten.
[2] Kostensteigernd wirkten sich in all diesen Bereichen die hohe Inflation und die unter anderem daraus resultierenden Kostensteigerungen bei Anlagen und Materialien aus.
Der Fortschrittsmonitor steht unter bdew.de/energie/fortschrittsmonitor-energiewende-2024/ zum Download bereit.