Dem dringenden Hochlauf von Technologien und Märkten stehen große Unsicherheiten bezüglich des künftigen Bedarfs an Wasserstoff und der entsprechenden Infrastruktur gegenüber.

Dem dringenden Hochlauf von Technologien und Märkten stehen große Unsicherheiten bezüglich des künftigen Bedarfs an Wasserstoff und der entsprechenden Infrastruktur gegenüber (Quelle: iStock/audioundwerbung).

Die Studie simuliert für das europäische Energiesystem fünf verschiedene Entwicklungspfade und leitet daraus jeweils den Bedarf an Wasserstoff und seinen Derivaten ab. Unter der Annahme, dass das jeweils kostenoptimale Energiesystem umgesetzt wird, errechneten die Wissenschaftler daraus, welcher Umfang an Wasserstoffinfrastruktur in den Jahren 2030 sowie 2050 erforderlich sein wird, um den jeweiligen Bedarf zu decken. So zeigt sich, dass selbst bei dem geringsten, zu erwartenden Wasserstoffbedarf alle wesentlichen Elemente dieser Infrastruktur, also Elektrolyseure, Transportkorridore und Speicher, in großem Maßstab benötigt werden. 

„Ein Hemmnis für viele Wasserstoffstrategien und Investitionen in die entsprechenden Technologien waren bisher die großen Unsicherheiten darüber, ob und in welchem Umfang die Infrastruktur überhaupt benötigt wird“, erklärt Dr. Tobias Fleiter, leitender Autor der Studie und Leiter der Dimension „Energiesystemanalyse“ im Fraunhofer CINES, den Hintergrund der Studie. „Mit unserer Forschung konnten wir nun erstmals eine robuste Aussage über den Infrastrukturbedarf in Gesamteuropa treffen.“ 

Vor-Ort-Elekrolyse in Europa vor Wasserstoffimporten

Das Minimalszenario für den Wasserstoffbedarf in Europa im Jahr 2050 liegt demnach bei 700 TWh, welches den robust erwartbaren Wasserstoffverbrauch für die ansonsten nur schwer elektrifizierbaren Anteile der industriellen Prozesswärme, Kraftwerke, Fernwärme und des innereuropäischen Flugverkehrs enthält. Im Maximalszenario steigt der Bedarf allerdings auf bis zu 2.800 TWh. Wichtigster Grund für die große Spannbreite sind die großen Unsicherheiten in Bezug auf den künftigen Wasserstoffverbrauch als Grundstoff für die chemische Industrie. Geographisch wird sich nach Einschätzung der Forschenden ein Schwerpunkt um die Chemie- und Stahlindustrien in Nordwesteuropa, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Flandern, entwickeln.

Der projizierte Bedarf kann weitgehend aus europäischer Wasserstoffproduktion gedeckt werden. Importe machen selbst im Maximalszenario lediglich etwa 10 % des Gesamtbedarfs aus. „Unter der Annahme, dass das Energiesystem annähernd kostenoptimal ausgebaut wird, bleibt in Europa hergestellter, grüner Wasserstoff mehr als konkurrenzfähig gegenüber Importen“, so Studienleiter Tobias Fleiter. „Die zusätzlichen Kosten für den Transport aus Nordafrika und dem mittleren Osten gleichen die niedrigen Gestehungskosten dort wieder aus“.

Die in Europa benötigte Elektrolyseleistung bewegt sich je nach Szenario zwischen 54 und 107 GW im Jahr 2030 sowie 300 und 1.067 GW im Jahr 2050. Die Standorte der Elektrolyseure entwickeln sich in allen Szenarien zunächst entlang der Windenergie-Standorte mit günstigen Stromgestehungskosten, allen voran an den Küsten der Britischen Inseln, Norwegens, Nordwestdeutschlands und Frankreichs. Längerfristig kommen die sonnenreichen Standorte in Südeuropa hinzu, hier insbesondere auf der Iberischen Halbinsel, dem Balkan und in Italien.

Transportkorridore und Speicher

Weiterhin zeigt sich in allen Szenarien der Studie, dass die Vor-Ort-Elektrolyse an den günstigen Solar- und Windstandorten die kosteneffizientere Variante gegenüber der verbrauchsnahen Elektrolyse, z.B. in der Nähe von großen Industrieabnehmern, darstellt. „Dieses Ergebnis macht deutlich, wie effizient wir große Energiemengen als Wasserstoff über den gesamten Kontinent hinweg transportieren können, verglichen mit dem Transport über das Stromnetz“, so Fleiter.

Entsprechend bedeutsam ist die Infrastruktur für den innereuropäischen Wasserstofftransport. Die wichtigsten Transportkorridore führen von den Britischen Inseln sowie Norwegen in den Nordwesten Kontinentaleuropas, während Frankreich zum Umschlagplatz für Wasserstoff aus Spanien und Portugal werden wird.

Für den saisonalen Ausgleich von Wasserstofferzeugung und -Verbrauch sind im Jahr 2050 Wasserstoffspeicher mit einer europaweiten Kapazität von 215-300 TWh nötig. Würden alle heute bestehenden Erdgasspeicher für Wasserstoff konvertiert, kämen diese auf eine Kapazität von 225 TWh. „Den Umbau unserer Erdgasspeicher können wir also in jedem Falle als robustes Element in unsere Transformationsstrategien einplanen,“ bekräftigt Tobias Fleiter das Ergebnis. Die Studie entstand im Rahmen des Wasserstoff-Leitprojektes TransHyDE des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Link zur Studie: onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ente.202300981

„et“-Redaktion

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