Abb. Durchschnittlicher Strompreis für die Industrie (ohne Stromsteuer) für Neuabschlüsse bei einem Jahresverbrauch zwischen 160.000 und 20. Mio. kWh

Abb. Durchschnittlicher Strompreis für die Industrie (ohne Stromsteuer) für Neuabschlüsse bei einem Jahresverbrauch zwischen 160.000 und 20. Mio. kWh (Quelle: VEA, BDEW).

Mit einer umsetzungsreifen Lösung ist in diesem Jahr aber wohl nicht mehr zu rechnen. Sonderpreise für die deutsche Industrie sollen rechtssicher auf der Grundlage eines neuen EU-Strommarktdesigns stehen. Doch das kommt nicht voran, da das EU-Parlament bis zur Neuwahl im Juni des kommenden Jahres eine übervolle Agenda abzuarbeiten hat. Stattdessen muss sich die Bundesregierung noch auf weitere hitzige Debatten sowie mehr oder weniger realisierungsfähige Vorschläge einstellen.

In Deutschland hat sich die Diskussion über die Versorgung der Industrie mit Elektrizität auf einen verbilligten Brückenstrompreis und den Verweis auf angeblich preiswerte Industriestrompreise in Frankreich verengt. Im Bundeswirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) verläuft die Diskussion dagegen deutlich komplexer. Ein besonderer Industriestrompreis muss, so die Vorgaben für die interne Diskussion, drei Bedingungen erfüllen: Hohe Gaspreise und CO2-Kosten sollen umgangen werden, indem die Kostenvorteile erneuerbarer Energien erschlossen werden; die Sicherheit der Versorgung muss gewährleistet bleiben; die Finanzierung soll soweit wie möglich aus dem Strommarkt, also ohne Subventionen, heraus erfolgen. 

Antworten auf diese Anforderungen sollte der neue europäische Ordnungsrahmen für den Strommarkt geben. Doch mit einem neuen europäischen Strommarktdesign ist kurzfristig nicht zu rechnen. Deshalb hat das BMWK bereits im September 2022 ein knapp 400.000 € teures Gutachten in Auftrag gegeben, das klären soll, wie Klimaneutralität und internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie vereinbar gemacht werden können. Das aus drei Forschungsinstituten gebildete Konsortium [1] muss das Gutachten bis Dezember 2023 liefern. 

Kernfrage: Gibt es genügend grünen Strom zu stabilen und günstigen Preisen für die Industrie?

Das Forschungsvorhaben „Industriestrompreis“ prüft verschiedene Vorschläge zur Bereitstellung von preisgünstigem Strom aus erneuerbaren Energien für die Industrie. Die Kernfrage lautet: Gibt es genügend grünen Strom, um die Industrie zu stabilen und günstigen Preisen zu versorgen? Im Zentrum der Überlegungen steht ein vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorgeschlagenes Modell, das sowohl die ökologische Stromerzeugung wie auch die stromintensiven Industrien unterstützen soll. Der Schlüssel dazu heißt Contracts-for-Difference (CfD). Ausfallrisiken sollen vom Staat übernommen werden, sodass günstige Preise sichergestellt und an die Industrieunternehmen weitergegeben werden können. Ein einfach regulierter Industriestrompreis wird dagegen von den Forschungsinstituten überwiegend abgelehnt oder kritisch gesehen. 

Das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung geht mit seiner Kritik dabei am weitesten und verweist auf die (verfehlte) langjährige Tradition von Privilegierungen bei den Strom- und Energiekosten für die Industrie in Deutschland. Es gebe, so das ZEW [2] „keine Hinweise auf einen negativen Einfluss der Strompreise auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industrieunternehmen“. Das liege daran, dass für die meisten Unternehmen der Energiekostenanteil am Umsatz deutlich unter 5 % liege und andere Standortortfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit relevanter seien. Eine Begrenzung der Strompreise, so das Fazit des ZEW, schwäche Anreize zur Innovation und zum Stromsparen. Eine breite Subventionierung industrieller Strompreise sei für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft kontraproduktiv. Dieser Kritik hat sich auch das DIW angeschlossen [3].

Selbst das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ergänzt die grundsätzliche Zustimmung zum Brückenstrompreis mit einigen Bedenken: „Preisanreize müssen erhalten bleiben, damit es sich weiterhin lohnt, Windräder und Solaranlagen zu bauen – und damit Strom dann verbraucht wird, wenn er an den Börsen durch hohe Einspeisungen durch Sonne und Wind besonders günstig ist. Ebenso sendet der Markt in Zeiten hoher Preise wichtige Sparanreize,“ heißt es aus Köln [4].

Beispiel Frankreich

Die Strompreise für industrielle Verbraucher in der Europäischen Union variieren je nach Mitgliedstaat beträchtlich [5]. Der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich zeigt aktuell jedoch einen überraschend geringen Preisabstand: Bei einem hohen Stromverbrauch (70.000 bis 150.00 MWh) zahlten französische Unternehmen im 2. Halbjahr 2022 ohne Steuern und Abgaben 13,41 €/MWh und einschließlich aller Steuern und Abgaben 15,68 €/MWh. Für Unternehmen in Deutschland lagen die Preise bei 17,82 €/MWh (ohne Steuern und Abgaben) sowie bei 24,16 €/MWh (einschließlich Steuern und Abgaben). 

Deutsche und französische Unternehmen liegen damit bei den reinen Beschaffungskosten weniger weit auseinander als vielfach angenommen. Signifikante Preisunterschiede ergeben sich erst einschließlich der Berücksichtigung von Steuern und Abgaben. Bei den in Deutschland ansässigen Großverbrauchern dürften sich aber vor allem die sich derzeit auf hohem Niveau bewegenden Preise für CO2-Emissionszertifikate auswirken. Bei einem Preis für CO2-Zertifikate von 90 €/t ergibt sich ein Preisaufschlag von 5-8 ct/kWh bei der rein fossilen Stromerzeugung und von 3 bis 5 ct/kWh beim derzeitigen Energiemix der deutschen Stromerzeugung mit einem Anteil von rund 50 % Strom aus erneuerbaren Energien. Preissetzend in der Stromerzeugung sind in Deutschland jedoch die hohen Gaspreise. Beide Faktoren spielen wegen des hohen Anteils der Kernenergie in Frankreich kaum eine Rolle. 

Die im Rahmen der aktuellen Diskussion geforderte Abschaffung der Stromsteuer in Deutschland hätte nur einen begrenzten Effekt. Der Regelsatz liegt bei 2,05 ct/kWh. Für die Industrie und für Handwerksbetriebe gilt ein reduzierter Satz von 1,54 ct/kWh. Hinzu kommt der Spitzenausgleich für besonders energieintensive Unternehmen, der zu einer Entlastung von bis zu 90 % führt, allerdings zum Jahresende 2023 ausläuft. Ferner erhebt der Staat weitere Abgaben und Steuern in Höhe von insgesamt 1,32 ct/kWh. Macht zusammen rund 2,8 ct/kWh für das Gros der Unternehmen. Nur ein kompletter Fortfall aller Steuern und Abgaben hätte damit in Deutschland einen spürbaren Entlastungseffekt.

Anders als vielfach angeführt, gibt es in Frankreich derzeit keine allgemeinen Industriestrompreise. Einen staatlich regulierten Industriestrompreis, bekannt unter dem Namen „Gelber Tarif“, existierte bis Anfang 2016. Auf die Strompreissteigerungen zu Beginn des Ukraine-Krieges reagierte die französische Regierung mit einer Beihilfe in Form direkter Zuschüsse in Höhe von insgesamt 5 Mrd. € für energieintensive Unternehmen. Diese Beihilfe wurde auf der Grundlage des am 23. März 2022 von der EU-Kommission erlassenen befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen genehmigt [6]. Seit 2023 gibt es einen Preisdeckel (28 ct/kWh) für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten. 

Die stärkste Wirkung auf die französischen Strompreise hat der ARENH-Mechanismus. Der ARENH-Tarif wurde 2010 im Rahmen des Gesetzes über die Neuorganisation des Strommarktes als Reaktion auf ein beihilferechtliches Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Frankreich eingeführt. Das Gesetz sollte den französischen Strommarkt öffnen und die Monopolstellung der staatlichen EDF verringern (und so einer Zerschlagung des Unternehmens vorbeugen). Der von EDF erzeugte Strom deckt in der Regel etwa 80 % des gesamten französischen Strombedarfs (etwa 450 TWh), rund 70 % davon stammen aus den Kernkraftwerken des Unternehmens. EDF ist verpflichtet, 15 Jahre lang einen Teil seiner Stromproduktion zu einem festgelegten Preis, dem sog. ARENH-Tarif (Accès Régulé à l'Électricité Nucléaire Historique), an andere Stromversorger abzugeben. Derzeit beträgt die Menge 100 TWh. Nach Erhebungen der französischen Regulierungsbehörde CRE bezahlen französische Unternehmen über diesen Mechanismus für 40 bis 60 % ihres Strombedarfs nur 42 €/MWh) anstelle des aktuellen Börsenpreises. 

Somit schlägt sich die ARENH-Regelung indirekt in einem verbilligten und stabilen Industriestrompreis in Frankreich nieder. Die Regelung läuft am 31. Dezember 2025 aus und wird voraussichtlich nicht verlängert werden. Auf Deutschland ist eine solche Regelung wegen des vollzogenen vollständigen Kernenergieausstiegs und des deregulierten Marktes nicht übertragbar. 

Aktuelle Preisentwicklung in Deutschland

Der durchschnittliche Strompreis für kleinere bis mittlere Unternehmen in Deutschland lag in den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 (ohne Stromsteuer) bei 24,96 ct/kWh. Damit haben sich nach Berechnungen des Bundesverbandes der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) [7] die Preise für diese Verbrauchergruppe (bei Neuabschlüssen) gegenüber dem 2. Halbjahr 2022 mehr als halbiert. Dennoch verharren die Preise deutlich über den Preisen von 2019 (19,84 ct/kWh) sowie den davor liegenden Jahren (siehe Abb.). 2022 waren die Preise im Zuge der Energie- und Gas-Krise sprunghaft gestiegen und erreichten im 3. Quartal mit knapp 53 ct/kWh ihren Höchststand. Bereits im 4. Quartal 2022 kam es zu einer leichten Abschwächung auf 50,88 ct/kWh. Im 1. Quartal 2023 brachen die Notierungen für Neuabschlüsse förmlich ein und sackten auf ein Niveau von 28,05 ct/kWh. Im 2. Quartal gaben die Preise weiter auf 23,15 ct/kWh nach und im 3. Quartal kam es zu einem weiteren leichten Rückgang auf 21,08 ct/kWh. 

Auch das aktuelle Preisniveau liegt damit weit oberhalb des diskutierten Brückenstrompreises für die Industrie von 6 bis 8 ct/kWh, so dass die Forderungen nach verbilligtem Strom von Seiten der Industrie wohl weiter bestehen bleiben. Zwar liegen die aktuellen Preise deutlich über den Notierungen in wichtigen Wettbewerbsländern wie den USA oder China, andererseits zahlten die deutschen Unternehmen für Strom seit 2012 immer mehr als 14 ct/kWh. 

Fazit

Die Diskussion über die Industriestrompreise verläuft in Deutschland mittlerweile auf zwei getrennten Ebenen: Wirtschaft und Gewerkschaften sowie ihnen nahestehende Politiker in Bund und Ländern präferieren direkte oder indirekte Preisabschläge auf die Strompreise mit einem staatlich zu finanzierenden Finanzvolumen von bis zu 30 Mrd. €. 

Die Bundesregierung, speziell das Wirtschafts- und Klimaministerium, möchte dagegen ein komplexes Modell, das Industrie- und Klimapolitik verbindet. Auf dem Verordnungswege soll die Industrie einen privilegierten Zugang zur besonders kostengünstigen Windstromerzeugung auf See erhalten. Sie soll sich im Gegenzug signifikant am Ausbau der Offshore-Windenergie und möglicherweise auch am Netzausbau beteiligen, um beihilferechtliche Bedenken auszuräumen. Zugleich bietet dieses Modell den Unternehmen die Chance, sicher auf den Pfad zur Klimaneutralität bis 2045 einzuschwenken. Das Modell ist nicht nur komplex, sondern auch riskant. So ist unklar, wie die auch offshore volatile Stromerzeugung sicher gemacht werden kann. Fraglich ist auch, ob die Erzeuger des Stroms freiwillig zugunsten der Industrie auf Erträge verzichten werden. Auch die konkrete Ausgestaltung der sog. Contracts-for-Difference (CfD) ist ungeklärt. Immerhin schreitet die Verabschiedung des euopäischen Strommarktdesigns voran. Kommission und EU-Parlament haben sich jetzt auf das Trilog-Verfahren verständigt. 

Das im vergangenen Jahr von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck vorgelegte Arbeitspapier hat jedenfalls nicht wie gewünscht die Diskussion beruhigt, sondern durch Hoffnungen auf verbilligten Strom angeheizt und in eine unerwünschte Richtung geleitet. Der Minister signalisiert weiterhin seine Bereitschaft, einen Brückenstrompreis befristet einzuführen, zumindest aber die Netzentgelte für die Industrie zu senken und den Spitzenausgleich für besonders energieintensive Unternehmen noch einmal zu verlängern. 

Da die Bundesregierung zunächst auf die Ergebnisse der beauftragten Forschungsinstitute wartet, eventuelle beihilferechtliche Einwendungen der EU-Kommission im Vorfeld beseitigen und den koalitionären Frieden im Auge behalten muss, wird die weiterhin zögerliche Haltung des Bundeskanzlers beim Thema Industriestrompreise nachvollziehbar. 

Quellen

*) Wettbewerbsfähige Strompreise für die energieintensiven Unternehmen in Deutschland und Europa sicherstellen - Online: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/W/wettbewerbsfaehige-strompreise-fuer-die-energieintensiven-unternehmen-in-deutschland-und-europa-sicherstellen.html

[1] Bundestagsdrucksache 20/6632. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU (Drucksache 20/6350) vom 28.04.2023. S.5. 
[2] Brückenstrompreis: Fehler aus der Vergangenheit fortführen? ZEW policy brief, Nr. 6, Mai 2023 https://www.zew.de/publikationen/brueckenstrompreis-fehler-aus-der-vergangenheit-fortfuehren

[3] DIW Wochenbericht 38/2023, S. Online: www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.881024.de/23-38.pdf


[4] IW-Nachricht 11. Mai 2023: Industriestrompreis: Pragmatischer Vorschlag zur richtigen Zeit. https://www.iwkoeln.de/presse/iw-nachrichten/michael-huether-andreas-fischer-thilo-schaefer-pragmatischer-vorschlag-zur-richtigen-zeit.html
[5] Vergleichsdaten bei Eurostat. Online: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/NRG_PC_205/default/bar?lang=de

[6] Pressemitteilung der EU-Kommission vom 01.07.2022. ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_4152


[7] Online: https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/bdew-strompreisanalyse/

 

„et“-Redaktion/Wieland Kramer

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