Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK); Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin (Quelle: PIK/Karkow)
„et“: Es ist wie verhext, die Emissionen steigen trotz aller Klimaschutz-Anstrengungen weltweit und stagnieren in Deutschland. Was läuft beim Klimaschutz generell schief?
Edenhofer: Manches läuft gar nicht schief. Zwar haben wir weltweit in der Tat im vergangenen Jahr einen neuen Rekord beim Ausstoß von Treibhausgasen gesehen. Aber bei uns in Europa sinken die Emissionen. Es ist gelungen, das Wirtschaftswachstum von der Emissionsentwicklung zu entkoppeln, das hat weltweit Bedeutung. Auch die Erweiterung des europäischen Emissionshandels ist ein Durchbruch, weil nach Stromerzeugung und Industrie nun auch die schwierig zu dekarbonisierenden Sektoren Transport und Wärme erfasst werden. Beim Inflation Reduction Act in den USA kommt es natürlich sehr auf die Art der Umsetzung an, aber die Richtung stimmt auch hier. Indien als bald bevölkerungsstärkstes Land der Erde spricht von einem CO2-Preis, was enorm ist. Das Problem ist allerdings überall, dass wir in dieser richtigen Richtung nicht schnell genug vorankommen. Und damit wachsen die Klimarisiken ins Unerträgliche.
„et“: Ein Widersacher beim Klimaschutz ist der sog. Rebound-Effekt, der Effizienzgewinne durch Mehrnutzung schnell wieder auffrisst. Gibt es ein wirksames Konzept dagegen?
Edenhofer: Ja, ein glaubwürdig steigender CO2-Preis. Es ist z.B. in Deutschland gelungen, einen neuen emissionsfreien Kapitalstock aufzubauen – Windräder, Photovoltaik Anlagen und Wärmepumpen. Aber der emissionsintensive Kapitalstock, wie Kohlekraftwerke, Ölheizungen und alte Verbrennerautos, ist kaum gesunken. Ein CO2-Preis macht den alten Kapitalstock unrentabel und den neuen Kapitalstock rentabel. Das verhindert den Rebound-Effekt.
Schwierige internationale Kooperation
„et“: Kooperation auf allen politischen Ebenen ist unabdinglich, um die Klimaerwärmung zu bremsen. Angesichts der Aufkündigung der klimapolitischen Zusammenarbeit mit den USA durch China und dem neu eingeschlagenen, protektionistischen US-Weg in eine grüne Zukunft erscheint das schwierig wie nie.
Edenhofer: Die Kooperation zwischen USA, China, Indien und Europa, um wichtige Hauptemittenten zu nennen, ist seit dem Krieg in der Ukraine nicht einfacher geworden. In der Handelspolitik spielen nicht nur die Kostenvorteile eine Rolle, sondern zunehmend geopolitische Machtinteressen. Dem wird die EU in der Ausgestaltung ihrer internationalen Beziehungen zunehmend Rechnung tragen müssen. Durch den Inflation Reduction Act hat in Europa die Sorge zugenommen, die USA könnten etwa im Bereich von Wasserstoff Technologieführerschaft erreichen, obwohl Europa gerade beim Wasserstoff durch seine Patente sehr gut aufgestellt ist.
Auch hat die EU durch den Binnenmarkt, den Strommarkt und den beiden Emissionshandelssystemen gute Voraussetzungen für eine effektive Klimapolitik. Dies muss jedoch ergänzt werden durch eine intelligente Innovations- und Industriepolitik. Und auch die USA werden lernen, dass grüne Technologiepolitik nur dann zu Emissionsminderung führt, wenn sie durch eine effektive CO2-Bepreisung ergänzt wird. Daran kann die EU anknüpfen und mit den USA einen CO2-Mindestpreis vereinbaren.
„et“: Und China?
Edenhofer: Auch für die Regierung in Peking liegt es im eigenen Interesse, den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit zu senken. China hat bereits heute ein Problem mit den Klimafolgen, etwa beim Thema Wasser. Wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht, gefährdet er das Wohlstandsversprechen der Staatsführung an die Bürger, und letztlich die Stabilität des Landes. Zugleich ist China klar, dass es bei der Minderung des Ausstoßes von Treibhausgasen nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen kann. Das Land ist schließlich inzwischen der weltweit größte CO2-Emittent. Indien denkt bereits über eine nationale CO2-Bepreisung nach, Indonesien ebenso. Und so könnte das Klimathema in einem Zeitalter zunehmender Konfrontation vielleicht ein Feld der Kooperation sein.
„et“: Weltklimakonferenzen sind ein schwieriges Unterfangen, Leuchttürme wie Kyoto-Protokoll oder Paris-Abkommen das Ergebnis sehr mühsamer und zäher Verhandlungsarbeit. Gibt es keinen besseren bzw. schnelleren Weg für den internationalen Klimaschutz?
Edenhofer: Diese UN-Formate haben ihren Wert, weil hier wirklich fast alle Staaten zumindest miteinander reden und die Verteilungskonflikte ausgetragen werden. Aber wir brauchen parallel zusätzliche, effektivere Formate und auch Initiativen, die die jährlichen Klimakonferenzen abwarten. So könnten die multilateralen Entwicklungsbanken Kohlekraftwerke aufkaufen und stilllegen. Darüber hinaus könnten sie den Kohleländern günstige Kredite für den Aufbau einer erneuerbaren Infrastruktur anbieten.
Viele Schwellenländer müssen für Kredite so hohe Zinsen bezahlen, dass sich die Investitionen in die Erneuerbaren nicht mehr lohnen. Diese sind nämlich im Aufbau besonders kapitalintensiv, während dann später die Betriebskosten gering sind – beides ist ein fundamentaler Unterschied zu den fossilen Energien. Im Gegenzug müssten die Länder ihre fossilen Subventionen streichen und CO2-Preise einführen. Darüber hinaus sind die JETPs, also die Just Energy Transition Partnerships, ein vielsprechender Ansatz, weil hier Länder unterstützt werden, die den Strukturwandel wollen, aber ihn nur durchsetzen können, wenn auch die Verlierer kompensiert werden.
EU bislang stärkster klimapolitischer Akteur
„et“: Wir leben in Europa in demokratisch regierten Marktwirtschaften. Diese Systeme sind bei der Zielerreichung vergleichsweise weniger stringent und schnell als Autokratien. Ist schnellerer Fortschritt im Klimaschutz überhaupt machbar in solchen Entitäten und wenn ja wie?
Edenhofer: Ich möchte da widersprechen. Ausgerechnet das komplizierte EU-Mehrebenen-System mit seinen demokratischen Mitgliedstaaten hat sich bislang als stärkster klimapolitischer Akteur weltweit erwiesen. Und wo soll bitteschön die klimapolitische Handlungsfähigkeit in Autokratien wie Russland zu sehen sein? Auch China steht bislang für beides: mehr Emissionen, und mehr erneuerbare Energien. Und das CO2-Preissystem des Landes ist noch ganz am Anfang. Umgekehrt haben die Demokratien in der durch den russischen Krieg gegen die Ukraine ausgelösten Energiekrise sowohl ihre Versorgung diversifiziert als auch ihren Verbrauch gesenkt und dabei ihre Klimaziele beibehalten. Alles nicht perfekt, aber doch ziemlich beeindruckend.
„et“: Wahlzyklen und Investitionszyklen sind von sehr unterschiedlicher Dauer: Wie kann man das ausgleichen? Was tun gegen Investitionsattentismus?
Edenhofer: Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, so wie das etwa im europäischen Emissionshandel gelungen ist. Das ist zugegebenermaßen schwer. Die EU hat mit ihren jüngsten Beschlüssen klar gemacht, dass die Obergrenzen für die Emissionen schneller abgesenkt werden. Die Energiewirtschaft weiß nun: Der CO2-Preis wird weiter steigen. Zusätzlich wurde ein Emissionshandel für Gebäude und Verkehr eingeführt, auch hier werden die CO2-Preise steigen. Die EU hat angesichts des Gasembargos Russlands und des Krieges in der Ukraine klar gesagt: Wir senken Emissionen, wir steigen aus der Kohle aus und wir vermindern die Importe von Öl und Gas. Klimapolitik ist keine Schönwetterveranstaltung, sondern eine glaubwürdige Antwort auf die Krise. Die Wirtschaft hat dieses Signal verstanden.
„et“: Veränderungen wie die Transformation des Energiesektors hin zur Klimaneutralität zeitigen immer auch soziale Folgen. Wie sollte man politisch damit umgehen?
Edenhofer: Ein Sozialausgleich ist unverzichtbar. Etwa von steigenden Energiekosten werden ärmere Menschen überproportional betroffen – das ist nicht etwa nur ein Problem für die Akzeptanz, sondern es ist ein Gerechtigkeitsproblem. Die Lösung kann aber nicht sein, die Preise künstlich zu drücken, weil dies zu Fehlanreizen führt. Vielmehr müssen Bedürftige müssen eine Erstattung erhalten. Übrigens ist das einer der Vorzüge bei der CO2-Bepreisung: Sie kostet nicht nur Geld, sondern sie erzeugt Einnahmen, die der Staat dann verteilen kann.
„et“: Ist Klimaneutralität bis zur Jahrhundertmitte überhaupt ohne deutliche Wohlstandsverluste zu haben?
Edenhofer: Wohlstandsverluste gibt es vor allem, wenn wir keine Emissionsminderungen machen, keine Klimaneutralität erreichen. Das sind dann nicht nur die direkten Schäden durch Wetterextreme, sondern auch Probleme in unseren Lieferketten, und sinkende Arbeitsproduktivität. Ein ungebremster Klimawandel schadet unserem Wirtschaftswachstum deutlich – das zeigen jüngste Forschungsergebnisse sehr eindrucksvoll. Wenn wir hieraus die Konsequenz ziehen und die Emissionen auf netto Null zu senken versuchen, ist das in der Tat eine große Herausforderung. Aber es führt nicht zu weniger Wohlstand, sondern eher zu anderem Wohlstand. Fossile Industrien werden schrumpfen, nachhaltige Industrien werden wachsen. Und mit Blick auf die Menschen, weil ein verminderter Klimawandel etwa verminderte Gesundheitsrisiken bedeutet. Und auch das ist Wohlstand.
Ein starkes Maßnahmenbündel führt aus der Sackgasse
„et“: Welches Maßnahmenbündel könnte uns jetzt, in dieser verfahrenen Situation, aus der Sackgasse bringen?
Edenhofer: Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen: den Europäischen Binnenmarkt, die CO2-Bepreisung durch den Emissionshandel, den sozialen Ausgleich und die Innovationen. Damit kann Europa den Systemwettbewerb mit den Autokratien bestehen.
Für die Energiepolitik heißt das: Erstens, wir brauchen ein effektives Strommarktdesign, das Geschäftsmodelle für Speichertechnologien ermöglicht und zugleich die Effizienzpotenziale hebt. Wir müssen zweitens Innovationen anreizen beim Herausholen von CO2 aus der Luft, also etwa CCS, weil wir aus der Landwirtschaft und bestimmten Industrien immer Restemissionen haben werden. Drittens sollten Carbon Contracts for Difference auf Pilotprojekte konzentriert werden, statt alles und jeden zu subventionieren. Viertens brauchen wir eine kohärente Wasserstoffstrategie, um neben der direkten Elektrifizierung auch die indirekte voran zu bringen, also mit erneuerbarem Strom erzeugte E-Fuels etwa für Luftfahrt und Industrie. Und fünftens ist, wie gesagt, die internationale Kooperation entscheidend wichtig, denn allein können Deutschland und Europa das Klimaproblem nicht lösen.
„et“: In der Energiekrise war europäische Solidarität bisher nicht gerade das oberste Gebot. Was ist die Nagelprobe dafür in nächster Zeit?
Edenhofer: Im kommenden Winter (2023/24) könnte es wieder zu einer Knappheit auf dem Gasmarkt kommen und zu steigenden Preisen. Die EU sollte sich darauf vorbereiten, dass wir dann Gasimporte gemeinschaftlich vermindern und dafür sollte es Anreize geben. Darüber hinaus sollte sich die EU bei Öl- und Gaseinkäufen koordinieren, um nicht in neue Abhängigkeiten zu geraten. Die Mitgliedsländer müssen sich zusammenraufen.
„et“: Was passiert, wenn nicht und was wären die Folgen für den Klimaschutz?
Edenhofer: Die EU hat gezeigt, dass sie Krisen meistern kann, sie hat auf das Gasembargo angemessen reagiert und hat den Klimaschutz vorangebracht. Zu Beginn des Jahres 2023 bin ich verhalten optimistisch.
„et“: Herr Prof. Edenhofer, vielen Dank für das Interview.
„et“-Redaktion