Grafik zum Thema: Klimakanzlerin und kein "Pillepalle"?

Merkel offenbar wieder Klimakanzlerin sein: „Es ist nicht so, dass wir hier irgendwas Ideologisches machen, sondern wir machen hier etwas, wofür es so massive Evidenzen gibt, dass wir dagegen handeln müssen. Wir leben nicht nachhaltig.“ (Bildquelle: Pixabay | Tumisu)

So konnte denn auch bei der entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts nichts anderes als ein koalitionstypischer Kompromiss herauskommen. „Politik ist das, was möglich ist“, verteidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Beschlüsse und fügte hinzu: „Das unterscheidet Politik von Wissenschaft und auch von jungen ungeduldigen Menschen.“

Merkel will wieder Klimakanzlerin sein

Die Bundeskanzlerin wird daran gemessen werden, ob sie Klimaschutz und wirtschaftliche Vernunft in Einklang bringt. Merkel hatte bereits in der Haushaltsdebatte Entschlossenheit demonstriert: „Wenn wir den Klimaschutz vorantreiben, wird es Geld kosten – dieses Geld ist gut eingesetzt. Ich bin überzeugt: Es kostet mehr Geld, wenn wir den Klimaschutz ignorieren.“ Nun will die Regierung bis 2023 54 Mrd. Euro investieren. „Viel hilft an dieser Stelle viel“, so Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Es sei ein „kraftvolles Paket“, mit dem es gelingen soll, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Der Klimaschutz – so Merkel – sei nicht weniger als eine „Menschheitsherausforderung“. Vor 12 Jahren waren die Bilder der Kanzlerin in knallroter Jacke vor der eisigen Landschaft Grönlands um die Welt gegangen, damals hatte sie sich gemeinsam mit Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) dort die Auswirkungen des Klimawandels erklären lassen. In der Folge machte Merkel den Klimawandel zwar zum Hauptthema der deutschen G-8- Präsidentschaft, wurden in der Ära Merkel der Atomausstieg und der Ausstieg aus der Kohle auf den Weg gebracht und dennoch verfehlte der einstige Musterschüler Deutschland sein Klimaziel. Jetzt will Merkel offenbar wieder Klimakanzlerin sein: „Es ist nicht so, dass wir hier irgendwas Ideologisches machen, sondern wir machen hier etwas, wofür es so massive Evidenzen gibt, dass wir dagegen handeln müssen. Wir leben nicht nachhaltig.“ Das nationale Klimakonzept sollte bahnbrechend und kein „Pillepalle“ sein, wie Merkel es selbst vor ein paar Wochen hinter verschlossenen Türen in einer Fraktionssitzung der Union formuliert hatte. Merkel mutet ihrer zum Teil widerstrebenden Partei den nächsten Paradigmenwechsel zu.

Bei der Vorstellung hob Merkel zwei Instrumente hervor: Künftig soll es über einen Handel mit Zertifikaten einen Preis für den Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases CO₂ im Verkehr und bei Gebäuden geben. Und die Umsetzung der Klimaziele soll jährlich durch ein unabhängiges Gremium überprüft werden. Denn für die Kanzlerin besteht mit dem Maßnahmenpaket zwar die „Chance“, die Klimaziele bis 2030 zu schaffen, sicher ist sich Merkel aber nicht: Sie könne die Zweifel jener Kritiker nachvollziehen, die nicht glaubten, dass die Regierung ihr Ziel einer Reduzierung von klimaschädlichen Gasen um 55 Prozent bis 2030 erreiche. Im Prinzip verfährt die Große Koalition nach der Methode, man beginne das Training für einen Marathonlauf am besten mit leichten Lockerungsübungen und verschärfe dann die Übungseinheiten kontinuierlich. Halten die Umweltschützer Verbote für unumgänglich, will die Koalition diese möglichst vermeiden. Sie setzt auf Anreize und Förderungen und schnürte deshalb ein umfangreiches Maßnahmenpaket, quasi von A bis Z, von einer Art Abwrackprämie (für alte Ölheizungen) bis (günstigere) Zugtickets. Und betont immer wieder, das Paket müsse sozialverträglich bleiben, Klimaschutz sei kein Eliteprojekt.

Die „Kunst des Möglichen“

Viel Lob erntete die Bundesregierung allerdings nicht. Die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“, die am Tag der Entscheidung allein in Berlin Hunderttausende auf die Straßen brachte, reagierte noch während der laufenden Demonstration frustriert und entschlossen, nun erst recht weiterzumachen: Dies sei „kein Durchbruch, sondern ein Eklat“ und „ein Schlag ins Gesicht“ aller, die „zu Hunderttausenden“ für einen besseren Klimaschutz in Deutschland auf die Straße gingen. Ähnlich äußerten sich zahlreiche Klimawissenschaftler. Und auch der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer zeigte sich fest davon überzeugt, dass das Paket nachgebessert werden müsse: „Es ist sicher richtig, dass Politik die Kunst des Möglichen ist, aber es ist die Kunst des Möglichen, die eigenen Verpflichtungen zu erfüllen.“

Das Maßnahmenpaket wird vermutlich das Gesetzgebungsverfahren nicht unverändert überstehen. Da werden die Fraktionen der Großen Koalition noch mitreden wollen, die Opposition will ohnehin gravierende Änderungen. Auch die Finanzierung muss noch in den Bundeshaushalt eingearbeitet werden. Für die Grünen ist das Maßnahmenpaket eine „historische Pleite“. Da die Grünen je nach Ausgang der Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Sachsen künftig an 9 bis 11 von 16 Landesregierungen beteiligt sind, wollen sie die Maßnahmen über den Bundesrat verschärfen. Für einige der Regelungen wird die Zustimmung der Länderkammer erforderlich sein. Von Seiten der FDP hieß es, es werde mit viel Geld an Stellschrauben gedreht, dabei fehle allerdings eine große Vision für einen wirksamen Klimaschutz. Die Linke hätte lieber statt „nutzlosen, marktliberalen Instrumenten“ eine „wirkungsvolle staatliche Ordnungspolitik“. Und für die AfD betreibt die Bundesregierung ohnehin „Klimaaktionismus“. Klar ist schon jetzt: Nach einigen Jahren relativer Bedeutungslosigkeit wird Umweltpolitik wieder zu einem wahlentscheidenden Thema werden.

„et“-Redaktion

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