Klimapolitik: Dr. Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin, und stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen

Dr. Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin, und stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen (Quelle: MCC)

Schließlich ein Sommer hierzulande, der mit langen Hitzeperioden, Waldbränden und austrocknenden Flüssen, ebenso aber Unwettern in der Öffentlichkeit stark mit dem Klimawandel verknüpft wird. Was tun in der Klimapolitik? Über Klimawandel – Anpassung und Vorsorge – in diesen Zeiten sprach „et“ mit der Klimawissenschaftlerin und Politikberaterin Brigitte Knopf.

„et“: Im Frühjahr ist der dritte und letzte Teil des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarates (IPCC) vorgelegt worden, was allerdings im Tumult um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine unterging. Was sagt uns der Bericht insgesamt, welchen Unterschied macht er?

Knopf: Untergegangen ist er eigentlich nicht – zwei Gruppenleiter bei uns am MCC hatten als Koordinierende Leitautoren für wichtige Kapitel die Federführung, und wir haben ein sehr großes Medienecho verzeichnet sowie hatten im Frühjahr dazu auch viel Austausch mit Politik und Wirtschaft. Aber in der Tat hat der Bericht nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die es eigentlich für das Klimaproblem bräuchte.

Dabei zeigt der Bericht schockierend klar, dass wir global betrachtet die Emissionskurve der Treibhausgase noch nicht nach unten gebogen haben. Dass wir vor allem den Kohleausstieg im Globalen Süden voranbringen müssen, dass der Preissturz bei einzelnen Schlüsseltechnologien wie etwa Solarpanels oder Batterien aber ermutigend ist. Und dass wir auch neue Wege gehen müssen: Z.B. gab es in dem Bericht erstmals ein eigenes Kapitel zu den sog. nachfrageseitigen Klima-Lösungen, die das Nutzungsverhalten bei Mobilität, Wohnen oder Ernährung adressieren.

„et“: Die Medien fokussieren stark darauf, die eingangs genannten Wetterphänomene als direkte Folgen des Klimawandels darzustellen. Was ist dem Wetter und was unzweifelhaft dem Klimawandel zuzuordnen?

Knopf: Klima ist die Statistik des Wetters, deshalb lässt sich ein einzelnes Wetterphänomen nicht einfach aus einem veränderten Klima erklären. In den letzten Jahren ist ein ganz neues Forschungsfeld, die Attributionsforschung, entstanden, die sich damit beschäftigt zu erforschen, wie stark eine einzelne Hitzewelle oder eine Überschwemmung wie letztes Jahr im Ahrtal auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Generell lässt sich feststellen und physikalisch erklären, dass in einem wärmeren Klima solche Extremwetterereignisse sehr viel häufiger werden.

Der Klimawandel ist schon da, auch in Deutschland

„et“: Auch wenn auf der politischen Ebene der Fokus auf Klimazielen und -pfaden in die Zukunft liegt, erscheinen Anpassungsmaßnahmen an die Klimaänderung derzeit dringlich.

Knopf: In der Tat ist der Klimawandel schon angekommen, auch in Deutschland. Bisher wird eine systematische Anpassung an den jetzt schon stattfindenden Klimawandel allerdings vernachlässigt. Dabei geht es um mehr als nur Deiche zu bauen, sondern es geht um den Schutz und den Weiterbetrieb von kritischen Infrastrukturen in Zeiten des Klimawandels. Denn die Klimakrise verändert nicht nur lokal Pegelstände, sondern sie führt zu systemischen Veränderungen und birgt eine Kipppunkt-Problematik: Wenn z.B. ein großer Fluss wie der Rhein kaum noch Wasser führt oder das Wasser zu warm ist, so wie wir es in diesem Sommer erlebt haben, dann kann das ökologische und auch ökonomische Kettenreaktionen auslösen, die man durch ein wenig Nachbessern hier und ein bisschen Reparieren da überhaupt nicht mehr in den Griff bekommt. Es muss also bei der Anpassung darum gehen, kritische Infrastrukturen klimaresilient zu machen.

„et“: CO2-Senken und negative Emissionen sind wichtige, wenn auch hierzulande kritisch gesehene Klimaschutzinstrumente. Inwiefern müssen auch sie in Deutschland forciert werden?

Knopf: Der Ansatz, CO2 aus der Atmosphäre zurückzuholen, darf kein Ersatz für eine Reduktion der Emissionen sein und dort die Bemühungen mindern. Aber klar ist auch: Im Jahr 2045, wenn Deutschland laut Gesetz klimaneutral sein will, wird es in einigen Bereichen immer noch technisch oder ökonomisch bedingt Treibhausgas-Emissionen geben. Deshalb muss CO2-Entnahme in großem Stil realisiert werden – nicht nur über natürliche Senken wie Wälder und Moore, wie es bereits im Klimaschutzgesetz mit Zielvorgaben unterlegt ist, sondern auch über unkonventionelle Technologien, wie chemische Luftfilter. Es gibt hier eine dramatische Innovationslücke. Auch Deutschland sollte sich daher verstärkt um die Ermöglichung solcher Technologien kümmern.

„et“: Die Bundesregierung ist aufgrund der Ukrainekriegs-bedingten Gasmangellage gezwungen, die Kohle von der Ersatzbank wieder ins Spiel zu holen; ebenso russische Gaslieferungen aus anderen, zum Teil politisch und akzeptanzmäßig (Fracking) problematischen Quellen zu ersetzen.

Knopf: Hier muss man unterscheiden: Die Energiewirtschaft ist größtenteils über den Europäischen Emissionshandel abgedeckt. Deutschlands nationale Klimabilanz wird dieses Jahr in diesem Sektor möglicherweise schlechter ausfallen, aber aus Sicht des Klimaschutzes bleiben die Emissionen europäisch gedeckelt. Zudem könnte es sein, dass im Bereich Gebäude beim Heizen oder im Verkehrssektor ein Wandel stattfindet. Das Herunterdrehen der Heizung schont in diesem Winter nicht nur die Gasreserven und das Portemonnaie, sondern wird sich auch positiv in der Klimabilanz niederschlagen.

Fracking-Gas ist dagegen eine ganze andere Debatte. Bei der Gewinnung werden Methan-Emissionen freigesetzt. Wenn wir in Deutschland Fracking-Gas aus den USA oder Kanada importieren, schlägt sich das zwar nicht in unserer nationalen Klima-Bilanz nieder, aber natürlich global. Insofern ist Fracking-Gas als hochproblematisch einzustufen.

„et“: Als stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen haben Sie gerade spezielle Sofortprogramme der Regierung im Verkehrs- und Gebäudebereich geprüft [1]. Was ist grob gesagt dabei herausgekommen?

Knopf: Die Sofortprogramme mussten von den jeweils zuständigen Ministieren vorgelegt werden, da beide Sektoren ihr jeweiliges Emissionsziel letztes Jahr überschritten haben. Laut Klimaschutzgesetz muss dann ein Programm vorgelegt werden, das die Einhaltung der Emissionsziele der Folgejahre sicherstellt. Wir haben hier zwei sehr unterschiedliche Programme der zuständigen Ministerien vorgelegt bekommen: Während das Programm für den Gebäudesektor potenziell einen substantiellen Beitrag liefert und es eine Chance gibt, bis 2030 wieder auf den Pfad zu kommen, ist das Programm im Verkehrssektor schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch.

In Zahlen ausgedrückt: das Sofortprogramm Gebäude umfasst 15 Maßnahmen und liefert nach Angaben der Ministerien eine Minderung von 137 Megatonnen (Mt) CO2-Äq, so dass zusammen mit einem höheren Preispfad die Lücke bis 2030 wieder geschlossen werden könnte. Das Programm des Verkehrsministeriums hingegen liefert nach eigenen Angaben nur 14 Mt bis 2030 – es bleibt bis 2030 eine Lücke von 261 Mt bestehen.

Insbesondere im Verkehrssektor muss nun dringend ein Programm vorgelegt werden, das erheblich über das vorgelegte sektorale Sofortprogramm hinausgeht. Anderenfalls könnten die sektoralen Klimaziele deutlich verfehlt werden. Daraus könnten sich kritische Herausforderungen auch in Bezug auf die europäischen Vorgaben ergeben.

Kombination aus Instrumentenmix und Anreizen

„et“: Es gibt in Deutschland ein breites Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft. Reicht es nicht, wenn man den Emissionshandel arbeiten lässt, denn der EU-ETS bewährt sich doch?

Knopf: In Deutschland gibt es seit 2021 nun auch einen nationalen Emissionshandel (nEHS) für Verkehr und Gebäude, bisher allerdings nur mit einem Fixpreis. Auf europäischer Ebene laufen zudem gerade die Verhandlungen zum ETS2. Gut wäre, wenn dann perspektivisch nach 2030 die beiden Emissionshandelssysteme zusammengeführt werden.

Als alleiniges Instrument wird der Emissionshandel aber nicht reichen, da es weitere Marktversagen gibt. Wir haben im Ariadne-Projekt berechnet [2], dass der CO2-Preis im nicht-ETS ohne weitere Instrumente bei 275 €/t liegen müsste. Das wird die Politik kaum durchhalten, sie ist jetzt schon bei einem Preis von 30 € im nEHS eingeknickt und hat die Erhöhung ausgesetzt. Daher sind Infrastrukturausbau und Technologiepolitik als Ergänzung wichtig. Eine neue vielbeachtete Studie des MCC [3] zum Verkehrssektor in europäischen Ländern hat zudem gerade gezeigt, dass empirisch vor allem ein Instrumenten-Mix erfolgreich war: nämlich die Kombination von Preisinstrumenten mit Anreizen für den Umstieg auf umweltfreundliche Fahrzeuge.

„et“: In Deutschland sind mit dem Klimaschutzgesetz bis 2030 für einzelne Sektoren Jahresemissionshöchstmengen festgelegt, inklusive Krisenmodus bei Nicherreichung der Sektorenziele. Das ergibt ein komplexes System aus Marktmechanismen und Ordnungsrecht, die sich zum Teil gegenseitig konterkarieren.

Knopf: Als Expertenrat für Klimafragen haben wir uns zu dieser Frage in unserem April-Bericht [4] ausführlich Gedanken gemacht. Wir betonen, dass im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetzes und seiner Steuerungslogik die Sektoren in Verbindung mit den zulässigen Jahresemissionsmengen („Sektorziele“) eine wichtige Funktion als Governance-Instrument zur Erfüllung der nationalen sowie europäischen Klimaschutzziele haben, da sie die politischen Verantwortung an ein zuständiges Ministerium verweisen.

Wir sehen aber auch einige Probleme bei der derzeitigen sektoralen Steuerung und haben dabei drei kritische Punkte identifiziert: die fehlende Anbindung an den EU-Rahmen und die übergeordneten Instrumente EU-ETS und nEHS; den zu starren Auslöse-Mechanismus für Sofortprogramme; und eine fehlende vorausschauende Betrachtung bei möglichen zukünftigen Zielverfehlungen. In dem Bericht machen wir auch konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes und haben dazu einen koordinierten Prozess empfohlen.

Ausgelöst durch einen Absatz im Koalitionsvertrag gibt es derzeit eine Debatte über die mögliche Abschaffung der Sektorziele. Meine persönliche Einschätzung hierzu lautet: Ziele erfüllen sich nicht dadurch, dass man sie abschafft. Zudem gibt es auch jährliche Vorgaben über europäische Verpflichtungen für die nicht-ETS Sektoren, das sind vor allem Verkehr und Gebäude. Bis 2030 muss der Einstieg in die Transformation erfolgt sein, dafür muss diese jetzt angestoßen werden – und zwar in allen Sektoren.

Was ist der beste Weg?

„et“: Was wäre für Deutschland jetzt in der Energiekrise bezüglich Energiesicherheit, bezahlbaren Energiepreisen und Klimaschutz der beste Weg?

Knopf: In der derzeitigen Ausnahmesituation sind zunächst zwei Dinge wichtig. Erstens muss die Regierung zielgerichtet, also vor allem für einkommensschwache private Haushalte und Haushalte mit Gasheizung, Entlastung schaffen. Und zweitens darf sie damit nicht den Anreiz zum Energiesparen unterlaufen. Das spricht für pauschalisierte Ausgleichszahlungen und gegen Energiepreisdeckel aller Art. Konkret haben wir eine EnergiepreispauschalePlus vorgeschlagen [5], bei der bis zu einer bestimmten Gehaltsgrenze pro Kopf ein fixer Betrag ausgezahlt wird. Zudem sollte eine Gaspauschale mit einem monatlichen Betrag an alle Haushalte mit Gasheizung ausgezahlt werden. Im dritten Entlastungspaket ist die Frage der Entlastung von Haushalten mit Gasheizung an eine Kommission ausgelagert worden.

Da die Energiekrise sicher noch bis 2024 andauern wird, brauchen wir zudem dringend einen Kanal für eine Direktzahlung an Bürgerinnen und Bürger, den es bisher in Deutschland noch nicht gibt. Es werden verschiedene Krücken bedient, wie beispielsweise über die Lohnabrechnung, anstatt mit Hochdruck daran zu arbeiten, dass der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern direkt Geld für den sozialen Ausgleich zahlen kann. Das würde die politische Handlungsfähigkeit enorm stärken.

Was das Energieangebot angeht, so müssen wir nun wesentlich schneller die Erneuerbaren ausbauen. Und zudem muss Energieeffizienz ein wirklicher Baustein werden, der im Moment oftmals nur sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Auszahlungen, die an Energieeinsparungen gekoppelt sind, können da ein guter Ansatz sein.

Internationale Klimapolitik quo vadis?

„et“: Weiten wir den Blick: Jüngste Entwicklungen auf der globalen Ebene sind – erfreulich – der Inflation Reduction Act in den USA, mitunter ein historisches Klimapaket, und – besorgniserregend – die Aufkündigung der klimapolitischen Zusammenarbeit mit den Amerikanern durch China. Welche Folgen könnte beides haben?

Knopf: Auch wenn Joe Bidens „Inflation Reduction Act“, oftmals auch „Klimaplan“ genannt, sicherlich bei der klimapolitischen Ambition noch Spielraum nach oben lässt, so ist ihm hier doch ein erstaunlicher Durchbruch gelungen, nämlich Klimapolitik, Gesundheitspolitik und eine gerechtere Steuerpolitik mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern und Entlastungen für untere Einkommen miteinander zu verbinden. Das ist ein neuer Ansatz, der es wert ist, auch in Deutschland näher betrachtet zu werden. Und international könnte die USA wieder stärker eine Führungsrolle einnehmen kann, weil sie nun national etwas vorweisen können.

Die Aufkündigung der klimapolitischen Zusammenarbeit mit den Amerikanern durch China ist aber sicher kein gutes Zeichen. China wird aber trotzdem weiter Klimaschutz betreiben – schon aus Eigeninteresse, denn die Klimaschäden nehmen auch dort zu und sind spürbar.

„et“: Blicken wir abschließend in die nahe Zukunft: Was ist angesichts der globalen politischen Gemengelage von der nächsten Weltklimakonferenz im November in Ägypten zu erwarten?

Knopf: Die internationale Klimapolitik ist durch die Konsequenzen des Kriegs in der Ukraine und die Auseinandersetzungen zwischen China und den USA in sehr schwierigem Fahrwasser. In Glasgow haben wir letztens viele neue Initiativen zur Implementierung von Klimamaßnahmen und ein starkes Bekenntnis zum Kohleausstieg gesehen, dahinter darf die COP27 jetzt nicht zurückfallen. Dazu gehört auch, dass die reichen Nationen ihre Zusagen zur Klimafinanzierung einhalten und verstärken. Ein übergreifendes Ziel der diesjährigen COP ist es, einen funktionierenden Multilateralismus trotz der veränderten geopolitischen Lage aufrecht zu erhalten.

„et“: Frau Knopf, vielen Dank für das Interview.

Quellen

[1] https://expertenrat-klima.de/

[2] https://ariadneprojekt.de

[3] https://www.mcc-berlin.net

[4] https://expertenrat-klima.de

[5] https://www.mcc-berlin.net

„et“-Redaktion

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