Abb. Entwicklung des Bruttostromverbrauchs bis 2030 nach Haupttreibern in Terawattstunden (TWh)

Abb. Entwicklung des Bruttostromverbrauchs bis 2030 nach Haupttreibern in Terawattstunden (TWh) Quelle: [9]

Die Nutzung von Effizienz- oder Einsparpotentialen tritt dagegen mehr und mehr zurück. Der Paradigmenwechsel wird begleitet durch eine Innovations-Euphorie und macht Elektrizität zum zentralen Energieträger. Der intensiven Diskussion über die künftige klimaneutrale Stromerzeugung steht derzeit eine auffällige Zurückhaltung bei der Abschätzung und Bewertung des zukünftigen Verbrauchs von Elektrizität gegenüber.

Aus dem 2019 von der Bundesregierung vorgelegten ersten Klimaschutzprogramm [1] hatten das Öko-Institut in Freiburg sowie die Prognos AG einen Strombedarf in Höhe von 567 bzw. 591 TWh für das Jahr 2030 abgeleitet. „Unter der damaligen Bedingung eines nationalen Klimaziels für 2030 von minus 55 % waren diese Angaben plausibel“, bekräftigte die Bundesregierung noch Mitte 2021 diese Abschätzung [2].

Rückblickend erstaunen diese Werte und die Einschätzung durch die Bundesregierung. Der vom Öko-Institut für 2030 prognostizierte Verbrauch würde nur um 2 % über dem Bruttostromverbrauch des Jahres 2021 und um 6 % unter dem des Jahres 2011 liegen. Die Vorausschau von Prognos für 2030 lag 6 % höher als der Verbrauch von 2021 und um 2 % niedriger als der 2011 erzielte Bruttostromverbrauch [3]. Beide Institute waren offenbar von bedeutenden Stromeinsparungen sowie Effizienzpotentialen ausgegangen.

Deutliche Vorverlegung der Klimaschutzanstrengungen

Durch die vor dem Bundesverfassungsgericht teilweise erfolgreichen Beschwerden [4] erfolgte 2021 eine Änderung des Bundesklimaschutzgesetzes mit einer deutlichen Verschiebung der Klimaschutzanstrengungen auf den Zeitraum vor 2030 [5]. Die Erhöhung des nationalen Einsparziels auf 65 % sowie die gerichtlich geforderte Präzisierung von Sektorzielen veranlasste die Bundesregierung, anstelle auf langsam wirkende Effizienzsteigerungen verstärkt auf sog. Beschleunigungspotentiale zu setzen, um die Zwischenziele bis 2030 sowie die Klimaneutralität nunmehr bis zum Jahre 2045 zu erreichen.

Das seit 2016 übliche und 2020 von der EU geregelte Monitoring zur Angemessenheit der Ressourcen an den europäischen Strommärkten [6] widmet sich der Frage nach dem gesicherten Ausgleich von Angebot und Nachfrage an den Strommärkten. Für dieses Monitoring ist eine präzise Abschätzung des Stromverbrauchs unerlässlich. Wenige Wochen nach der Verabschiedung des neuen Bundes-Klimaschutzgesetzes legte der Bundesminister für Wirtschaft und Energie für dieses Monitoring eine erste neue Abschätzung des Stromverbrauchs vor [7].

Nach Prognos-Berechnungen werde der Stromverbrauch bis 2030 unter den veränderten Rahmenbedingungen auf 645 TWh (bei verstärkter Sektorkopplung und einer moderaten Steigerung des CO2-Preises) bzw. auf bis zu 665 TWh (bei verstärkter Sektorkopplung und höherer Steigerung des CO2-Preises) wachsen. Dies entspricht einer Erhöhung des Verbrauchsniveaus von 14 bis 16 % gegenüber 2021. Zugleich sicherte der Bundeswirtschaftsminister eine ausführliche Analyse des künftigen Strombedarfs für den Herbst 2021 zu [8]. Bis zum aktuellen Datum wurde allerdings nur ein Kurzpapier veröffentlicht [9]. Die im Sommer 2021 vorgelegte „Ad-hoc-Abschätzung“ der drei Forschungsinstitute zur Entwicklung des Stromverbrauchs bis 2030 hält einen Anstieg des Verbrauchsniveaus auf 655 TWh für wahrscheinlich, allerdings wird der Unsicherheitsbereich dieser Prognose auf +/- 10 TWh festgelegt.

Neue Anwendungssektoren treiben den Stromverbrauch

Die Fokussierung des Klimaschutzes auf die sog. „Beschleunigungspotentiale“ zwingt zu der Einsicht, dass für die Entwicklung (und Erhöhung) des Stromverbrauchs neue Hauptreiber verantwortlich sind (siehe Abb.) [10]. Dazu zählen vor allem der Verkehrssektor, elektrische Wärmepumpen, die Wasserstoff-Elektrolyse sowie die Produktion von Batterien. Bedarfssenkend wirken weitere Fortschritte bei der Stromeffizienz sowie rückläufige Eigenverbräuche von thermischen Kraftwerken und anderen Anlagen zur Gewinnung und Umwandlung von Energie.

Der Anstieg der Elektromobilität führt bis 2030 zu einem Anstieg des Strombedarfs um bis zu 70 TWh. Davon entfallen rund 44 TWh auf Personenkraftwagen, 7 TWh auf leichte und 17 TWh auf schwere Nutzfahrzeuge. Hinzu kommen etwa 2 TWh für Omnibusse und Zweiräder. Der Schienenverkehr verzeichnet einen Zuwachs um 5 TWh auf 16 TWh. Damit verbraucht der Verkehrssektor im Rahmen der fortschreitenden Sektorkopplung im Jahre 2030 mindestens 96 TWh Strom, das wären etwa 13 % des inländischen Bruttostromverbrauchs. 2030 werden nach dem Szenario der Forschungsinstitute Prognos, Fraunhofer ISI und Öko-Institut etwa 16 Mio. Personenkraftwagen vollelektrisch betrieben, das entspräche rund einem Drittel des heutigen Fahrzeugbestands. Für eine vollständige Elektrifizierung des Individualverkehrs wären weitere 80 TWh Strom pro Jahr nötig.

Bis 2030 wird sich zur Erreichung der Ziele des Klimaschutzgesetzes die Zahl der elektrisch betriebenen Wärmepumpen von jetzt etwa 1 Mio. auf 5,5 Mio. Anlagen mehr als verfünffachen. Dieser Bestand benötigt zum Betrieb rund 33 TWh. Hinzu kommen 9 TWh für Großwärmepumpen in der Fernwärmeversorgung und bis zu 2 TWh für Kleinstanlagen zur Warmwasserbereitung. Damit steigt der Strombedarf im Wärmesektor um insgesamt 35 TWh auf bis zu 45 TWh. Die Sektorkopplung auf dem Wärmemarkt ist damit nach dem Verkehrsbereich der zweitgrößte verbrauchssteigernde Bereich. Ab 2025 werden nach den vorliegenden Szenarien nur noch in wenigen Ausnahmefällen neue Heizungen auf Basis von Heizöl oder Erdgas in Betrieb genommen. Im Gegensatz zur historischen Entwicklung wird die Netzlast im deutschen Stromnetz damit künftig auch saisonal beeinflusst und in der Heizperiode deutlich höher als in den Sommermonaten liegen.

Einen neuen Verbrauchsschwerpunkt stellt die Elektrolyse von grünem Wasserstoff dar. Wasserstoff, der mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, gilt als emissionsfrei und optimal für die Substitution fossiler Brennstoffe. Wasserstoff ermöglicht zudem die Umwandlung von fluktuierenden Stromeinspeisungen in regelbare Kapazitäten. Wasserstoff gestattet emissionsarme Industrieprozesse sowohl im energetischen wie im nicht-energetischen Verbrauch. Bis 2030 wird, so das Szenarioergebnis, der Verbrauch an grünem Wasserstoff von jetzt 0 auf 37 TWh steigen.

Die inländische Produktion von grünem Wasserstoff wird wesentlich durch den Ausbaupfad bei der Windenergie bestimmt, da vor allem überschüssiger Windstrom zu geringen Kosten für die Wasserstoffsynthese eingesetzt werden soll. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass der gesamte nationale Bedarf an grünem Wasserstoff im Inland erzeugt wird. Die Forschungsinstitute Prognos, Öko-Institut und Fraunhofer ISI [11] gehen davon aus, dass nur etwa ein Drittel des Bedarfs an grünem Wasserstoff im Jahre 2030 inländisch erzeugt wird. Damit wird Wasserstoff erkennbar eine neue Importenergie werden.

Die in Inland erzeugbare Menge an grünem Wasserstoff wird für 2030 auf etwa 12,5 TWh geschätzt. Die für diese Produktion benötigte Menge an Strom (aus erneuerbaren Energiequellen) beträgt nach dem derzeitigen Stand der Technik knapp 20 TWh. Die Wasserstoffelektrolyse könnte zu einem Wettbewerb um Windstrom führen, wenn der Netzausbau seine Rückstände aufholt und weniger Windstrom unkontrolliert ins benachbarte Ausland abfließt. Andererseits könnte die Wasserstoffelektrolyse aber auch Druck vom Netzausbau nehmen, sofern die Elektrolyseanlagen an den größeren Windstromstandorten errichtet werden und das zum Transport des Wasserstoffs erforderliche Gasnetz zur Verfügung steht. Bedeutsam ist jedenfalls, dass der steigende Bedarf nicht zu übergroßer Importabhängigkeit insbesondere zu politisch instabilen Ländern führen sollte, wenn die inländische Produktion nicht mit dem Bedarfszuwachs Schritt halten kann.

Einen ebenfalls neuen Verbrauchsschwerpunkt bilden Batteriefabriken. Die Bundesregierung geht davon aus, dass zur Herstellung von Batterien, insbesondere für Elektroautos, neue industrielle Großverbraucher mit einem Bedarf von annähernd 18 TWh im Jahre 2030 entstehen. Bei Rechenzentren werden Effizienzgewinne den Zubau hingegen weitgehend ausgleichen.

Den Zuwächsen beim Stromverbrauch bis 2030 in einer Gesamthöhe von 142 TWh stehen im Szenarioergebnis Einsparungen und Effizienzgewinne von 79 TWh gegenüber. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung und den von ihr beauftragten Forschungsinstituten wird also mehr als die Hälfte der Zuwächse beim künftigen Stromverbrauch durch Einspareffekte kompensiert.

Den größten Beitrag dazu sollen allgemeine Effizienzsteigerungen und Struktureffekte mit 51 TWh leisten. In der Zeitspanne von 1990 bis 2020 hat die gesamtwirtschaftliche Stromintensität jahresdurchschnittlich um 1,4 % abgenommen [12]. Um den gewünschten Effizienzbeitrag zu erreichen, müssten die bisherigen Effizienzanstrengungen also mindestens beibehalten werden.

Einen weiteren wichtigen Einsparbereich bildet mit insgesamt 28 TWh die Energiewirtschaft. Die Außerbetriebsetzung konventioneller Kraftwerke senkt den Eigenbedarf der Energieerzeugung um 22 TWh. Durch das Auslaufen von Braunkohletagebauen und Rückgänge bei der Produktion von Mineralölerzeugnissen werden 6 TWh Strom weniger verbraucht. Die Netzverluste werden durch den saldierten Zuwachs beim Stromverbrauch dagegen leicht ansteigen.

Unsichere Entwicklung bis 2045

Eine Abschätzung des Stromverbrauchs über 2030 hinaus, insbesondere bis zum Erreichen der Klimaneutralität im Jahre 2045, wurde von der Bundesregierung bisher nicht vorgelegt. Prognos, das Öko-Institut sowie das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie haben allerdings Mitte 2021, und damit unmittelbar nach Verabschiedung der verschärften nationalen Klimaziele, im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität sowie der Agora Energiewende und der Agora Verkehrswende eine Untersuchung vorgelegt, in der der Stromverbrauch bis 2045 abgeschätzt wird [13].

In diesem Szenario sind die Elektrifizierung des Verkehrsbereichs und die Wasserstoffproduktion Haupttreiber für einen weiteren kräftigen Anstieg des Stromverbrauchs bis 2045 auf etwa 1.000 TWh. Im Jahr 2045 liegt der Bruttostromverbrauch danach um etwa 400 TWh höher als heute. Von dem prognostizierten Anstieg entfallen etwa 160 TWh auf den Verkehr, 150 TWh auf die Wasserstoffherstellung und etwa 90 TWh auf die Industrie. Im Gebäudebereich soll der Stromverbrauch insgesamt leicht sinken, da die Verbrauchszuwächse durch die Zunahme der Wärmepumpen auf insgesamt 14 Mio. Anlagen durch Effizienzverbesserungen ausgeglichen werden.

Im Industriesektor steigt der Strombedarf durch die Elektrifizierung der Prozesswärmeherstellung und den Einstieg in die strombasierte Dampfbereitstellung deutlich an. Weitere Faktoren für den zunehmenden Stromverbrauch sind die steigende Produktion von Sekundärstahl, die industrielle CO2-Abscheidung sowie die Umwandlung von Biomasse. Zudem wird langfristig ein Drittel der Fernwärme mit Hilfe von Strom bereitgestellt. Für die Filterung von 19 Mio. t CO2 aus der Luft (Direct Air Capture and Storage) werden zusätzlich rund 20 TWh Strom benötigt. Damit steigt der Bruttostromverbrauch bis 2050 auf knapp über 1.000 TWh. Es bleibt abzuwarten, ob diese Erwartungen durch eine Abschätzung der Bundesregierung bestätigt werden.

Fazit

Die von der Bundesregierung 2021 verschärften Klimaziele sorgen für einen deutlichen Anstieg des inländischen Strombedarfs bis 2030 und darüber hinaus. Maßgeblich sind die Sektorkopplung des Wärme- und Verkehrsbereichs sowie die Bildung neuer Verbrauchsbereiche zur Erzeugung von grünem Wasserstoff und zur Herstellung von Batterien. In der Prognose zum künftigen Stromverbrauch spiegelt sich ein Strategiewechsel der Bundesregierung hin zur Nutzung von „Beschleunigungspotentialen“ und weg von der bisher vorrangigen Ausschöpfung klassischer Effizienz- und Einsparpotentiale.

Dieser energiepolitische Paradigmenwechsel wird von den mit der Abschätzung der Verbrauchsentwicklung beauftragten Forschungsinstituten bisher nur zurückhaltend nachvollzogen. Die gemeinschaftlich im Auftrag der Bundesregierung vorgelegte Bedarfsprognose für das Jahr 2030 beziffert die Bruttozuwächse beim Stromverbrauch mit insgesamt 142 TWh eher zurückhaltend. Die Effizienz- und Einspareffekte werden mit knapp 80 TWh dagegen relativ hoch eingeschätzt. Der konservative Ansatz der Forschungsinstitute könnte bereits kurzfristig einen Anpassungsbedarf der Prognose auslösen.  

Die Entwicklung bis 2045 (Klimaneutralität) wurde bisher offiziell noch nicht abgeschätzt. Vorläufige, aber weder von der Bundesregierung bestätigte noch in Auftrag gegebene Untersuchungen, kommen zu einem drastischen Anstieg des Stromverbrauchs auf einen Wert von über 1.000 TWh, also beinahe eine Verdopplung des gegenwärtigen Werts.

Die Schaffung neuer Verbrauchssektoren für Elektrizität sowie Unsicherheiten bei den klassischen Einspar- und Effizienzpotentialen lassen einen quasi unkontrollierbaren Anstieg des Stromverbrauchs vor allem ab 2030 als durchaus möglich erscheinen. Da auf der Erzeugungsseite die Dekarbonisierung im Vordergrund steht, wächst das Risiko, dass ein stark ansteigender Strombedarf zu einer weiteren deutlichen Erhöhung der Preisrisiken und der Versorgungssicherheit führen könnte.

Anmerkungen

[1] Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050. Online:  www.bundesregierung.de – Unterrichtung durch die Bundesregierung als Bundestagsdrucksache 19/19300 dserver.bundestag.de
[2] Einordnung der Studie „Monitoring der Angemessenheit der Ressourcen an den europäischen Strommärkten“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie 29. Juli 2021. Online: www.bmwk.de
[3] Als Basiswert wird hier der Bruttoverbrauch ohne Pumpspeichererzeugung (PSE) gewählt. Die Pumpspeichererzeugung liegt im langjährigen Jahresdurchschnitt in Deutschland bei 5,7 TWh.
[4] Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz. BVG-Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021. Online: www.bundesverfassungsgericht.de
[5] Deutscher Bundestag: Drucksache 19/30230 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Online: dserver.bundestag.de
[6] Vgl. Methodology for the European resource adequacy assessment in accordance with Article 23 of Regulation (EU) 2019/943 of the European Parliament and of the Council of 5 June 2019 on the internal market for electricity. Online: europa.eu
[7] Siehe Anmerkung [2].
[8] Siehe Anmerkung [2].
[9] Entwicklung des Bruttostromverbrauchs bis 2030. Vorgelegt von Prognos in Zusammenarbeit mit dem Öko-Institut Freiburg und Fraunhofer ISI am 22.10.2021. Online: www.prognos.com
[10] Siehe Anmerkung [9].
[11] Siehe Anmerkung [2].
[12] Vgl. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen, Ausgewählte Effizienzindikatoren zur Energiebilanz Deutschland
Daten für die Jahre von 1990 bis 2020. Online: ag-energiebilanzen.de
[13] Klimaneutrales Deutschland 2045. Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann. Erstellt im Auftrag von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende. Online: www.prognos.com

„et“-Redaktion/Wieland Kramer

Beitrag als PDF downloaden


Aktuelle Zukunftsfragen Archiv Zukunftsfragen

Ähnliche Beiträge