Dr. Lars Kulik, Mitglied des Vorstandes der RWE Power AG, Essen/Köln

Dr. Lars Kulik, Mitglied des Vorstandes der RWE Power AG, Essen/Köln (Quelle: RWE)

„et“: Im Rheinischen Revier soll der Strukturwandel schon acht Jahre früher vollzogen sein. Was beinhaltet die politische Vereinbarung zwischen der NRW-Landesregierung und RWE?

Kulik: In der Essenz bedeutet sie Sicherheit und Verlässlichkeit – für die Energieversorgung wie für die Klimapolitik. In der aktuellen Krise tragen wir durch den temporär verstärkten Einsatz unserer Braunkohlenkraftwerke zur Versorgungssicherheit in Deutschland bei und unterstützen damit auch die Bemühungen, das knappe Erdgas aus der Stromerzeugung zu verdrängen.

Wir haben Bund und Land gleichzeitig zugesagt, bereits 2030, also acht Jahre früher, aus der Braunkohle auszusteigen. Auf diese Weise lassen wir weitere 280 Mio. t dieses heimischen Rohstoffs im Boden. Der nochmals beschleunigte Kohleausstieg geht dabei nicht zu Lasten der Beschäftigten, sondern bleibt sozialverträglich. Gleichzeitig investiert RWE Milliarden in den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Speichertechnologie und in das Hochfahren der Wasserstoff-Wirtschaft, und zwar auch im Rheinischen Revier. So beschleunigt RWE die Energiewende. Insgesamt leistet die Verständigung mit Bund und Land einen maßgeblichen Beitrag zum Erreichen der deutschen Klimaziele.

Spannende technologische Entwicklung

„et“: Wie wird sich das Rheinische Revier generell technologisch entwickeln?

Kulik: Eine Kernkompetenz von RWE ist das Erzeugen von Energie. Das Rheinische Revier hat die besten Voraussetzungen dafür, nach dem Kohleausstieg eine Energieregion zu bleiben. Denn erstens bietet es schon heute viel Raum für erneuerbare Energien. Und zweitens sind die heutigen Kraftwerksstandorte ideal in das Verbundnetz eingebettet. Das ist ein Grund, warum wir am Kraftwerk Neurath einen 80-MW-Batteriespeicher errichten. Diese hervorragende Energie-Infrastruktur weiter zu nutzen, ist auch ein aktiver Beitrag für Strukturwandel und Beschäftigung.

Technologisch erfordert die Versorgungssicherheit auch künftig gesicherte, steuerbare Kraftwerksleistung. Und zwar als Puffer, falls an einzelnen Tagen nicht genügend grüner Strom erzeugt werden kann. Bis 2030 will RWE an ihren Kohlekraftwerksstandorten in NRW rund 3 GW Gaskraftwerksleistung errichten, sofern die regulatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

„et“: Die Industrie in NRW hat nur dann eine Zukunft, wenn sie klimaneutral ist. Das erfordert viel erneuerbare Energie und Wasserstoff, ebenso aber Speicher. Inwieweit kann RWE hierzu beitragen?

Kulik: Die Anlagen sollen H2-ready sein. Das heißt, sie werden für eine schnelle Umstellung auf Wasserstoff geeignet sein, sobald dieser ausreichend zur Verfügung steht. Sowohl die Steinkohle- als auch die Braunkohlenstandorte unseres Unternehmens sind hervorragend an das Stromnetz, die Wasserversorgung und die Ferngasversorgung angeschlossen oder lassen sich einfach mit der nötigen Infrastruktur verbinden. Wir können allerdings erst dann konkrete Standorte festlegen, wenn Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geklärt sind.

Ein solches Ausbauprogramm entspricht der Kapazität unserer drei großen BoA-Blöcke, die ursprünglich erst spätestens 2038 vom Netz gegangen wären. Durch die Nutzung der vorhandenen Netzinfrastruktur sollen zudem Impulse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in der Industrieregion NRW gesetzt werden. RWE wird ihre Kooperationen mit Partnern aus Industrie und Mittelstand der Region weiter ausbauen.

Schließlich bieten unsere Betriebsstandorte neben Projekten der Energiewende auch die Möglichkeit, aufgrund ihrer guten infrastrukturellen Anbindung z.B. über das Bahnnetz, neue Gewerbe- und Industriebetriebe anzusiedeln. Auch hier setzen wir mit den Kommunen Projekte um.

„et“: Welche Ökostromtechnologien und -leistungen sind Stand heute geplant?

Kulik: Ich will erst mal darüber reden, was wir heute schon umsetzen: Gut 200 MW sind bereits auf Basis von Windkraft und Photovoltaik errichtet. Erst im Oktober haben wir am Rand des Tagebaus Garzweiler mit unserem Partner, der Stadt Bedburg, den Windpark Bedburg/A 44n in Betrieb genommen. Es ist unser achter Windpark allein im Rheinischen Revier. Die fünf Turbinen speisen 28,5 MW ins Netz ein – genug Strom für 26.000 Menschen inklusive der Bewohner einer nahegelegenen, neuen Ressourcenschutzsiedlung mit innovativen Wärme- und Stromkonzepten, an deren Entwicklung RWE beteiligt ist. Nebenan sind zwei weitere Windparks, ebenfalls zum Teil mit kommunalen Partnern, in Bau.

Daneben errichtet RWE derzeit mehrere hybride Photovoltaikanlagen, also kombinierte Solar-Speicher-Projekte, in und an unseren drei Braunkohlentagebauen. Den RWE indeland Solarpark im Tagebau Inden nehmen wir in den nächsten Wochen offiziell in Betrieb.

„et“: Handelt es sich dabei um das Übliche oder gibt es einen besonderen technischen Fortschritt dabei?

Kulik: Den gibt es. Das Besondere dabei und bei zwei vergleichbar großen Bauvorhaben im Tagebau Hambach ist: Während der Wasserspiegel der Tagebauseen langsam ansteigt, nutzen wir die über viele Jahre brachliegenden Uferzonen für die Erzeugung von Solarstrom. Und auf Teilen der eines Tages bekanntlich sehr großen Seen können wir schwimmende Photovoltaikanlagen errichten. Auch hier sehen wir großes Potential.

Am Tagebau Garzweiler wollen wir mit dem Forschungszentrum Jülich eine Agri-PV-Versuchsanlage errichten. Sie soll Erkenntnisse darüber liefern, wie Solarstrom-Erzeugung und gleichzeitige landwirtschaftliche Nutzung optimal harmonieren und den Flächenverbrauch verringern.

10 bis 20 MW pro Anlage sind im Vergleich zu einem 1.100er BoA-Braunkohlenblock nicht viel, aber für die Branche im mitteleuropäischen Maßstab sehr, sehr groß. Diesen Weg gehen wir konsequent weiter und werden weiter nach Kräften Windparks und Photovoltaikanlagen bauen. RWE wird bis 2030 allein in Deutschland 15 Mrd. € netto in die Energiewende investieren, davon rund 4 Mrd. € in Nordrhein-Westfalen.

Tradition und Innovation

„et“: Welche Rolle spielt Innovation im Strukturwandel im Rheinischen Revier generell und wie steht man zur Tradition?

Kulik: Wenn „Tradition“ bedeutet: „Das haben wir immer so gemacht, und so machen wir es weiter“, dann geht der Strukturwandel schief. Für mich ist Traditionsbewusstsein eher das auf jahrzehntelanger Erfahrung gegründete „Wir können das“ – nämlich die neuen Herausforderungen anpacken und meistern. So denkt die Region, und so denkt auch RWE. Unsere jetzt 125-jährige Unternehmensgeschichte zeigt, dass Innovation stets der Motor der Entwicklung gewesen ist. Nur sind heute nicht mehr große Kohlekraftwerke und Rauchgas-Entschwefelungs-Anlagen die Frontrunner, sondern dezentrale Lösungen, die sich zu einem nachhaltigen Ganzen verbinden.

Ich weiß, das klingt abstrakt. Deshalb ein Beispiel: Ein Ziel ist es, die bestehende fossile Kohlenstoff-Wirtschaft mit Hilfe von Technologie-Innovationen durch eine neue, nachhaltigere Kohlenstoff-Wirtschaft abzulösen. So können die Industriestandorte in NRW erhalten bleiben und die heimische Industrie auch künftig mit Rohstoffen auf Kohlenstoffbasis versorgt werden. Und CO2-Quellen wird es auch nach dem Ende der Kohlenutzung geben.

Innovationszentrum Niederaußem

„et“: Worum geht es im Innovationszentrum Niederaußem?

Kulik: Wenn wir die Verwertung des CO2 und die regenerative Stromerzeugung miteinander koppeln, haben wir einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf für klimaneutrale Chemikalien und Treibstoffe. Das wiederum bedeutet mehr Sicherheit in der Versorgung, höhere Stabilität im Stromnetz und weitere deutliche Emissionsminderungen. Daran arbeiten wir im RWE Innovationszentrum am Kraftwerk Niederaußem mit vielen Partnern aus Hochschulen, Industrie und Forschung; zum Teil werden die Projekte von EU und dem Land NRW gefördert.

Seit mehr als zehn Jahren betreiben wir dort mit großem Erfolg eine Pilotanlage zur Abscheidung von CO2. Dieses CO2 wird vom Abfallprodukt zum Wertstoff: Es kann zur elektrochemischen Herstellung von synthetischen Kraftstoffen und anderen Chemieprodukten verwendet werden.

Ebenfalls im Innovationszentrum betreiben wir eine sog. Multi-Fuel-Conversion-Anlage. Sie gewinnt das für die menschliche Ernährung unverzichtbare Element Phosphor aus Klärschlamm zurück. Und sie kann Klärschlamm und andere Brennstoffe in Synthesegas umwandeln, eine wichtige Quelle für Kohlenstoff und Wasserstoff in der chemischen Industrie. Das sind die beiden zentralen Fragen, die wir mit unseren Forschungspartnern Ruhr-Universität Bochum und Fraunhofer beantworten wollen. Den Partnern und uns geht es darum, solche Verfahren zur kommerziellen Einsatzreife zu führen.

Und dass Forschung in der Praxis geht, sehen wir am Standort Knapsacker Hügel in Hürth. Hier bauen wir eine Klärschlammmonoverbrennungsanlage im Sinne der Kreislaufwirtschaft, die dann auch die Rückgewinnung von Phosphat sowie die Abtrennung und Nutzung von grünem CO2 ermöglicht.

Keine Renaissance der Kohleverstromung

„et“: Die Energiekrise zeigt uns, dass die Entwicklung nicht immer nur linear verläuft: Einige Braunkohlenblöcke wurden aus der Reserve geholt und spielen derzeit im Strommarkt Helfer in der Not. Um welche Kapazitäten geht es dabei und verzögert das den Strukturwandel?

Kulik: Auf Wunsch der Bundesregierung haben wir die bisher in Sicherheitsbereitschaft stehenden 300-MW-Blöcke Neurath C und Niederaußem E und F reaktiviert. Außerdem haben wir auftragsgemäß die 600-MW-Blöcke Neurath D und E am Netz gelassen; sie sollten eigentlich Ende vergangenen Jahres stillgelegt werden. Insgesamt haben wir somit temporär über 2 GW Leistung mehr in Betrieb.

Dieser vorübergehende Reservebetrieb ist jedoch keine Renaissance der Kohleverstromung und kein Rückschritt der Klimapolitik. Er ändert nichts am grundsätzlichen Kohleausstieg, den wir ja, wie erwähnt, im Rheinischen Revier von 2038 auf 2030 vorziehen. Er ändert auch nichts am Strukturwandel. Im Gegenteil: Er verstärkt die Notwendigkeit, die in der Braunkohle mittelfristig ersatzlos entfallenden, hochqualifizierten und gut bezahlten Stellen durch ebenso hochwertige Arbeitsplätze zu ersetzen.

Der Strukturwandel ist insgesamt auf einem guten Weg. Die Region und auch wir sind an vielen Stellen mit guten und wichtigen Projekten unterwegs. Auch wenn vielleicht nicht alle Vorhaben am Ende umsetzbar sind oder Erfolg haben werden. Die Vielzahl an Aktivitäten im Rheinischen Revier zeigt, dass wir nicht

Opfer von Veränderungen sind, sondern dass wir unsere Zukunft aktiv mitgestalten können.

„et“: Herr Dr. Kulik, vielen Dank für das Interview.

„et“-Redaktion

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