Prof. Dr. Joachim Weimann, Lehrstuhl VWL, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft (FWW), Otto von Guericke-Universität Magdeburg

Prof. Dr. Joachim Weimann, Lehrstuhl VWL, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft (FWW), Otto von Guericke-Universität Magdeburg (Quelle: Jana Dünnhaupt)

„et“: Herr Prof. Weimann, Sie haben aufgezeigt, dass das EU-ETS gut funktioniert. Jetzt stehen eine weitere Erhöhung des Reduktionsfaktors und kräftig sinkende Emissionsbudgets an. Können Sie abschätzen, wie sich dies auf den CO2-Preis auswirkt?

Weimann: Wir haben beobachtet, dass nach der Reform des EU-ETS 2018 der Preis für Emissionsrechte stark angestiegen ist. Gleichzeitig war aber in den Jahren 2018 bis 2020 die Anzahl der in Anspruch genommenen Emissionsrechte stets kleiner als die Anzahl der ausgegebenen Rechte. Das heißt, obwohl es ein mehr als ausreichendes Angebot an Emissionsrechten gab, ist der Preis stark gestiegen. Das ist nur erklärbar, wenn man davon ausgeht, dass die Nachfrageseite die in der Zukunft anstehenden weiteren Verknappungen (einschließlich der Löschung von Rechten aus der Marktstabilisierungsreserve) antizipiert und „auf Vorrat“ eingekauft hat.

Das bedeutet, dass die weiteren Verknappungen zumindest teilweise bereits eingepreist sein dürften. In welchem Umfang dies der Fall ist, ist sehr schwer abzuschätzen. Darüber hinaus ist nicht klar, wie die EU den Emissionspfad im Emissionshandelssektor genau gestalten wird. Auch deshalb ist eine seriöse Prognose meiner Meinung nach im Moment nicht zu leisten.

„Wir vermeiden, koste es, was es wolle“

„et“: Sie behaupten, dass kosteneffizienter Klimaschutz mit Ordnungsrecht per se nicht möglich ist. Was meinen Sie damit?

Weimann: Kosteneffizienz kann nur erreicht werden, wenn die Emissionsvermeidung so organisiert wird, dass die nächste Tonne CO2 stets dort vermieden wird, wo die Grenzkosten der Vermeidung am geringsten sind. Dezentrale Instrumente, wie eine CO2-Steuer oder ein Emissionshandel, bringen genau das zuwege. Das Ordnungsrecht hingegen achtet per se nicht auf die Vermeidungskosten. Vermieden wird in der Regel dort, wo viel emittiert wird und nicht dort, wo die Vermeidungskosten niedrig sind. Ein zentraler Planer wäre auch gar nicht in der Lage, die Vermeidung kosteneffizient zu organisieren, denn dazu müsste er ja die gegenwärtigen und die für die Zukunft zu erwartenden Vermeidungskosten jeder Quelle kennen.

Diese Information kann er aber gar nicht bekommen, denn sie ist im privaten Besitz der Emittenten. Und diese haben massive Anreize, ihre Information nicht allzu wahrheitsgemäß zu offenbaren. Das ist eines der Probleme, an denen schon die sozialistischen Planwirtschaften gescheitert sind. Das Ordnungsrecht scheitert genauso, wenn es den Versuch unternehmen würde, effiziente Klimapolitik zu machen – aber selbst dieser Versuch bleibt in der deutschen Klimapolitik ja aus. Wir vermeiden, koste es, was es wolle.

„et“: Ist ein schneller, ordnungsrechtlich erzwungener vorzeitiger Kohleausstieg im Rahmen eines funktionierenden Emissionshandels überhaupt notwendig?

Weimann: Natürlich nicht. Ein funktionierender Emissionshandel wird einen steigenden CO2-Preis erzeugen, wenn die zulässige Höchstmenge an Emissionen stetig abgesenkt wird. Die Frage, wo die dann notwendige Einsparung von CO2 erfolgt, beantwortet der Markt. Es kann durchaus sein, dass moderne, hoch effiziente Kohlekraftwerke auch bei höheren CO2-Preisen noch eine Weile wettbewerbsfähig sind. In diesem Fall wäre es nicht sinnvoll, sie stillzulegen. Aber es ist klar, dass früher oder später die Kohleverstromung nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird und vom Markt verschwindet.

Wann das sein wird, entscheiden aber die tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten. Wenn die an anderer Stelle niedriger sind als bei einem effizienten Kohlekraftwerk, dann wird erst dort die Vermeidung erfolgen. Das ist ein wesentlich effizienteres Verfahren als den Ausstieg von einer Kommission beschließen zu lassen, die auf die Kosten Null-Komma-Null Rücksicht nimmt.

Transparente Klimapolitik

„et“: Sie plädieren dafür, alle CO2-Emissionen im Rahmen eines Handels- oder Abgabensystems zu erfassen und mit einem einheitlichen CO2-Preis zu versehen. Rechnen Sie damit, dass auf diese Weise die Klimapolitik transparenter wird?

Weimann: Ich rechne vor allem damit, dass die Vermeidungs- und Opportunitätskosten deutlich niedriger ausfallen als bei einer Fortführung der gegenwärtigen Politik. Ich spreche mich dabei eindeutig für ein Handelssystem aus, weil der Emissionshandel es erlaubt, die CO2-Menge direkt und sicher zu senken. Der Preis, der sich in einem Emissionshandelssystem herausbildet, wird oft falsch interpretiert. Er entsteht endogen, d.h. gegeben die von der Politik vorgegebene Emissionsverringerung signalisiert der Preis, zu welchen Kosten diese Verringerung erreicht werden kann. Die vorgegebene Menge bestimmt also den Preis. Bei einer Abgabe ist es anders herum: die Höhe der Abgabe bestimmt die vermiedene Menge.

Der Preis, der sich im Emissionshandelssystem bildet, erlaubt deshalb eine sehr transparente Klimapolitik. Wenn jemand in ein Flugzeug steigt, dann wird ihm auf den Euro genau gesagt, was es kostet, die CO2-Emission, die er oder sie nun verursacht, an anderer Stelle einzusparen. Genau das muss erfolgen, denn die Menge der Emissionen ist ja begrenzt. Jeder einzelne Fluggast kann dann entscheiden, ob der Wert, den der Flug für ihn hat, die Kosten, einschließlich der CO2-Vermeidungskosten, übersteigt. Nur dann wird er ins Flugzeug steigen.

„et“: Sie sagen, dass für die Herstellung von Klimaneutralität keine Nullemission notwendig ist und das klimapolitische Optimum nicht bei null liegt. Wie meinen Sie das?

Weimann: Meine Antwort muss ich mit einer Einschränkung versehen: Ich bin kein Naturwissenschaftler und hier geht es um eine naturwissenschaftliche Frage. Insofern kann es sein, dass ich Dinge falsch interpretiere oder verstehe. Aber wenn ich die Kollegen und Kolleginnen vom IPCC und vom Global Carbon Project (GCP) richtig verstehe, dann leisten die Ozeane eine Nettoaufnahme von CO2, die nicht von den jährlichen anthropogenen Emissionen abhängt. Jedenfalls lese ich so das dritte Kapitel des fünften IPCC-Sachstandsberichtes und die aktuelle Präsentation des GCP, die in Glasgow vorgestellt wurde. Das impliziert, dass der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht erst bei einer Null-Emission gestoppt wird, sondern schon früher. Aber, wie gesagt, ein Irrtum meinerseits ist hier nicht auszuschließen.

„Mehr Emissionen bei geringeren Lasten einsparen“

„et“: Sie betonen die Bedeutung einer kosteneffizienten Klimapolitik. Lassen sich die Wohlstandsverluste einer ineffizienten Klimapolitik beschreiben?

Weimann: Wir müssen uns klarmachen, dass es bei der Klimapolitik nicht allein darum geht, CO2 zu reduzieren. Das Bundesverfassungsgericht hat das in seinem Urteil sehr klar herausgestellt. Es geht darum, einen Weg zu finden, die Erwärmung in ungefährlichen Grenzen zu halten und gleichzeitig dabei die Freiheitsrechte der Menschen und ihre Wohlfahrt so wenig wie möglich einzuschränken. Dieser zweite Teil wird bei der Klimapolitik sehr oft vergessen. Wie wichtig er ist, lässt sich vielleicht an einem Extrem verdeutlichen: Es gibt Aktivisten, die fordern, dass die CO2-Emission sofort abgestellt werden muss. Würde man dieser Forderung entsprechen, müsste die Verwendung fossiler Brennstoffe komplett eingestellt werden. Das würde unmittelbar zum Zusammenbruch unserer Wirtschaft und zum Kollaps unserer Gesellschaft führen.

Kein vernünftiger Mensch wird deshalb diese Forderung ernsthaft erheben. Aber es ist vollkommen klar, dass auch abgeschwächte Eingriffe erhebliche Strukturbrüche verursachen können, deren Folgen kaum abschätzbar sind. Was passiert in Deutschland, wenn die Automobilindustrie unter die Räder kommt? Was geschieht, wenn nach dem planwirtschaftlichen Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom die Stromversorgung nicht mehr gesichert sein sollte? Und was passiert, wenn die öffentlichen Finanzen unter der Last einer hochgradig ineffizienten Klimapolitik, des demographischen Wandels, der Pandemiebekämpfung und neuer europäischer Aufgaben, die auf uns zukommen, in Schwierigkeiten geraten?

Das sind Szenarien, die nicht komplett unrealistisch sind und sie können zeitgleich eintreten. Noch haben wir Zeit, auf eine Klimapolitik umzuschwenken, die mehr Emissionen bei geringeren Lasten einspart. Wenn wir erst in einer Situation sind, in der es ernsthaft um die Frage geht „Wohlstand oder Klimaschutz?“ dürfte es zu spät sein.  

„et“: Sie wenden sich vehement gegen ordnungspolitische Eingriffe in den Wärmemarkt und den Verkehr. Könnten überfällige Reduktionsbeiträge in diesen Bereichen nicht hohe Vermeidungskosten zur Folge haben?

Weimann: Das ist eine Suggestivfrage, denn sie enthält die Behauptung, dass die Reduktionsbeiträge überfällig seien. Ich bezweifle das aus folgenden Gründen: Erstens erfordert eine kosteffiziente Klimapolitik, dass Emissionsvermeidung dort stattzufinden hat, wo die Kosten am geringsten sind und nicht dort, wo die Emissionen besonders hoch sind. Diesem Erfordernis ist mindestens auf europäischer Ebene zu folgen – und dann ist der deutsche Verkehrssektor oder Wärmemarkt ganz sicher nicht der Ort, an dem man Vermeidung betreiben sollte.

Zweitens hat insbesondere der Verkehrssektor erhebliche Vermeidungsanstrengungen bereits unternommen. Es ist falsch, nur die absoluten Emissionsmengen zu betrachten – die sind nicht gesunken. Wenn man aber berücksichtigt, dass die Anzahl der PKW und LKW stetig gestiegen ist (seit 1995 sind 1 Mio. LKW und 7 Mio. PKW mehr unterwegs), dann relativiert sich dieser Befund doch erheblich.

Drittens sind die Vermeidungskosten im Verkehrssektor und im Wärmemarkt gegenwärtig extrem hoch. Die Subventionen, die aus dem Bundeshaushalt für ein E-Auto gezahlt werden, belaufen sich schnell auf über 20.000 €. Das läuft auf CO2-Vermeidungskosten hinaus, die jenseits von Gut und Böse sind.

Viertens sind substantielle Fortschritte durchaus in Sicht, brauchen aber Zeit und viel politische Unterstützung. Gemeint ist der Import erneuerbarer Energie aus den Ländern des Sonnengürtels der Erde. Dieser kann auch in Form von synthetischen Kraftstoffen erfolgen, deren Einsatz ein Auto sofort klimaneutral macht – was ein E-Auto auf sehr lange Zeit nicht erreichen wird.

Realtransfer im Rahmen des EU-Burden sharing

„et“: Ein CO2-Preis von 180 €/t gilt für 2030 im EU-ETS als wahrscheinlich. Eine wachsende Zahl von Mitgliedsländern verweist auf deutliche Kaufkraftunterschiede in der EU. Wird Klimaschutz also für Arme teuer bis unerschwinglich und nur für Reiche bezahlbar?

Weimann: Ich bewundere die Kolleginnen und Kollegen, die in der Lage sind, einen Preis vorauszusagen, der in zehn Jahren herrschen wird. Ich kann das nicht. Und ich frage mich, wie es kommt, dass fast alle Preisprognosen, die zum Emissionsrechtemarkt abgegeben wurden, ziemlich weit danebenlagen – bei diesen prognostischen Fähigkeiten. Weil die Preise einfach nicht genau vorauszusagen sind, muss man sich rechtzeitig Gedanken machen, wie man auf sehr hohe Preise reagiert. Niedrige Preise sind kein Problem (weil niedrige Kosten kein Problem sind), aber sehr hohe Preise können vor allem die ärmeren europäischen Länder in Bedrängnis bringen.

Zum Glück bietet der Emissionshandel für dieses Problem eine einfache Lösung an. Die Emissionsrechte müssen ja zunächst ausgegeben werden und die Frage, zu welchen Preisen das geschieht, ist mehr oder weniger offen. Solange die Preise moderat sind (sagen wir unter 100 €), spricht nichts gegen das zurzeit überwiegend angewendete Versteigerungsverfahren. Aber wenn Länder in Bedrängnis kommen, kann man ihnen im Rahmen eines burden sharing mit kostenlos zugeteilten Emissionsrechten helfen – an der Funktionsfähigkeit des EU-ETS ändert das nichts. Es kommt zu einem Realtransfer in die begünstigten Länder – mehr nicht.

„et“: Muss die Politik gerade in dieser Frage den Blick weiten und die Möglichkeiten der Länder Osteuropas im Auge behalten?

Weimann: Ja, das ist notwendig. Vor allem muss man den osteuropäischen Ländern die Angst vor dem Emissionshandel nehmen, indem man die eben beschriebenen Mechanismen erklärt und fest verankert. Übrigens sind Realtransfers durch kostenlose Emissionsrechte auch ein sehr gutes Instrument, um das EU-ETS um weitere außereuropäische Länder zu erweitern.

„et“: Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung äußert sich auch zum Emissionshandel. Was halten Sie von den dort formulierten Gedanken?

Weimann: Aus dem Text geht wieder einmal hervor, dass die Politik den Emissionshandel entweder nicht verstehen kann oder (was wahrscheinlicher ist) nicht verstehen will. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Koalitionsparteien einen zweigeteilten ETS auf EU-Ebene unterstützen wollen, an dem nationalen Emissionshandel festhalten und betonen, der Emissionspreis dürfe nicht unter 60 € fallen. Insbesondere der letzte Punkt gibt zu denken. Dahinter steht die falsche Vorstellung, dass die Vermeidung, die im ETS-Sektor stattfindet, davon abhängt, wie hoch der Preis ist. Das ist aber falsch, sie hängt allein von der politisch vorgegebenen Einsparmenge ab.

Gleichzeitig wird im Koalitionsvertrag immer wieder betont, dass es darum geht, die Lasten insbesondere für Haushalte mit geringerem Einkommen zu begrenzen. Ein niedriger Emissionspreis bedeutet, dass das Vermeidungsziel zu niedrigen Kosten erreicht wird und deshalb die Lasten für die Menschen gering ausfallen. Genau das soll aber unterbunden werden. Das ist ziemlich verquer.

Die Idee, einen separaten Handel für den Verkehrssektor und den Wärmemarkt einzuführen, ist im Wesentlichen auf die massive Lobbyarbeit der Industrie zurückzuführen, die fürchtet, dass eine Integration der beiden Sektoren in das ETS zu stark steigenden Preisen führen würde. Diese Befürchtung ist aber unbegründet, denn man kann die Integration so gestalten, dass bestenfalls moderate Preissteigerungen resultieren und insgesamt die Klimapolitik erheblich effizienter wird, was nichts anderes bedeutet, als dass mehr CO2-Vermeidung bei niedrigeren Lasten für alle möglich wird.

„et“: Herr Prof. Weimann, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte der Journalist Wieland Kramer, Wuppertal, im Auftrag der „et“.

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