Die EU-Strommarktreform hat eine erhebliche Bedeutung für Deutschland, sie unterstützt die Ziele der Energiewende

Die EU-Strommarktreform hat eine erhebliche Bedeutung für Deutschland, sie unterstützt die Ziele der Energiewende (Quelle: Adobe Stock)

Die seit Herbst 2021 anhaltend hohen Energiepreise veranlassten den Europäischen Rat, einen Vorschlag der EU-Kommission für eine strukturelle Reform des europäischen Strommarktes zu fordern. Neben einem starken Verbraucherschutz sind Klimaneutralität und Energiesouveränität die übergeordneten Ziele der Reform. Der am 14. März 2023 veröffentlichte Reformvorschlag der EU-Kommission ändert drei Verordnungen und zwei Richtlinien [1, 2]. Er beinhaltet eine Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielen, „einen Puffer zwischen Kurzfristmärkten und den Stromrechnungen der Verbraucher zu schaffen, die Funktionsweise der Kurzfristmärkte zu verbessern, erneuerbare Energien besser zu integrieren, die Rolle der Flexibilität zu stärken und die Verbraucher zu stärken und zu schützen“ [3]. 

Hauptziele

Ein gemeinsamer europäischer Strombinnenmarkt, ein zentrales Element der Reform, fördert den freien Handel mit Strom und erleichtert den Zugang zu grenzüberschreitenden Stromverbindungen. Harmonisierte Regeln und weniger Handelshemmnisse sollen den Wettbewerb stärken und Preistransparenz verbessern. Zudem möchte die EU-Kommission mit dem Vorschlag die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in regionalen Strommärkten fördern. Eine verbesserte Koordination und der Austausch von Strom sollen Effizienzgewinne erzielen und erneuerbare Energien besser integrieren. 

Im Rahmen dessen ist eine neue unabhängige Regulierungsbehörde vorgesehen. Diese soll den Strommarkt überwachen und potenzielle Marktmissbräuche, diskriminierendes Verhalten oder andere Probleme identifizieren. Ihre Aufgabe wäre es zudem, den Wettbewerb, die Preisbildung und die Leistung des Marktes zu überprüfen und sicherzustellen, dass die Interessen der Verbraucher und der Wirtschaft gewahrt werden. 

Die EU-Strommarktreform soll, so ein weiteres Hauptziel, erneuerbare Energien und deren Integration fördern. Neben der Beseitigung von Marktzugangsbeschränkungen und der Schaffung transparenter Regeln und Verfahren, die Investoren erneuerbarer bzw. nicht-fossiler Energien den Markteintritt erleichtern würden, sind langfristige Verträge als zentrale Instrumente der Förderung vorgesehen. 

Langfristige Strombezugsverträge zwischen Versorgern und Verbrauchern (Power Purchase Agreements, PPAs) und zweiseitige, langfristige Verträge zwischen Stromerzeugern und der öffentlichen Hand als Differenzverträge (Contracts for Difference – CfDs) oder ähnliche Mechanismen bieten Investoren Einnahmegarantien und ermöglichen eine bessere Finanzierungssicherheit. Gleichzeitig sollen sie die Industrie vor Preisschwankungen schützen. Überschüsse aus CfDs, die entstehen, wenn die Marktpreise über den Ausübungspreisen liegen, könnten zur Subventionierung der Verbraucher verwendet werden – flössen aber in jedem Fall an die öffentliche Hand zurück. Um derzeitigen Schwachstellen wie Kreditrisiken von Käufern bei PPAs entgegenzuwirken, sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, marktbasierte Haftungen sicherzustellen [4].

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Reform des Strommarktes mit CfDs als Finanzierungsoption für erneuerbare Energien und andere nicht-fossile Energiequellen Investitionen in die Kernenergie staatlich fördern würde. Denn gemäß dem Vorschlag sollen CfDs für nicht-fossile Energiequellen wie Wind, Sonne, Geothermie, hydroelektrische Anlagen ohne Speicher und Kernenergie zulässig werden.

Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass mit einem höheren Anteil erneuerbarer Energien ein flexibles Stromnetz immer notwendiger wird. Dabei spielen konventionelle Kraftwerke als Backup-Kapazität weiterhin eine wichtige Rolle, um auf Schwankungen im Stromangebot zu reagieren und die Netzstabilität zu gewährleisten. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass aufgrund geringerer Betriebsstunden und wirtschaftlicher Herausforderungen einige konventionelle Kraftwerke aus dem Markt ausscheiden. Dies hat wiederum Folgen für die Netzstabilität. 

Die Reform will dem u. a. mit Kapazitätsmärkten entgegenwirken, welche die Stromversorgung absichern. Um die Klimaziele zu erfüllen, können den am Kapazitätsmarkt teilnehmenden fossilen Kraftwerken Bedingungen auferlegt werden. So soll für fossilbasierte Flexibilitätslösungen, die bestimmte Emissionsgrenzwerte (z. B. < 550 g CO2/kWh) einhalten, weiterhin der bestehende Artikel 21 der Elektrizitätsmarktrichtlinie (Allgemeine Grundsätze für Kapazitätsmechanismen) gelten [5]. Bisher sind der Umfang und die Ausgestaltung der Kapazitätsmärkte allerdings noch Bestandteil der Diskussionen und Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament. Ausgeschlossen ist dabei auch nicht, dass die EU, um die Versorgungssicherheit zu erhalten, die Bedingungen zur Teilnahme an Kapazitätsmärkten anpasst. 

Für einen flexibleren Strommarkt sollen die Mitgliedstaaten zudem nach dem aktuellen Reformvorschlag eine flexible Stromnachfrage, aggregiertes Lastmanagement und virtuelle Kraftwerke fördern. Hierfür müssen sie ihre Flexibilitätsziele für ihr Stromnetz bewerten und festlegen. 

Die EU-Kommission schlägt zudem vor, dass die Mitgliedstaaten mit dem Ausbau der Netzinfrastruktur, gestärkten Übertragungsnetzen und Speichertechnologien Investitionen in erneuerbare Energien unterstützen. Zusätzlich würden die Mitgliedstaaten aus Sicht der Kommission ein stabiles und zuverlässiges Stromnetz fördern, wenn sie Anreize für Systemdienstleistungen schafften.

Deutschland: Plattform Klimaneutrales System 

In Deutschland stellt gerade der Netzausbau ein großes Hemmnis dar. Schon lange fordern hier die verschiedenen Marktakteure einen verbesserten regulatorischen Rahmen. Eine wichtige Grundlage für politische Weichenstellungen in Deutschland stellen – in enger Abstimmung mit der europäischen Strommarktreform – die Ergebnisse der „Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS)“ dar, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ins Leben rief. Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft diskutieren Vorschläge für die Politik mit dem Ziel, das Strommarktdesign weiterzuentwickeln. Themenschwerpunkte sind dabei die „Sicherung & Finanzierung von Erneuerbaren“, „Ausbau & Einbindung von Flexibilitätsoptionen“, „Finanzierung von steuerbaren Kapazitäten zur Residuallastdeckung“ und „regionale und örtliche Preissignale“. 

Als größter Stromverbraucher Europas ist Deutschland von zentraler Bedeutung für die EU-Strommarktreform. Durch die verstärkte Integration erneuerbarer Energien und den Ausbau grenzüberschreitender Stromverbindungen besteht die Möglichkeit, dass der deutsche Strommarkt verstärkt abhängig von externen Energiequellen und Preisschwankungen wird. Dies hat Vorteile, ist aber auch mit Risiken verbunden.

Die Einrichtung der PKNS zeigt, wie viele Unsicherheiten zu diesem Zeitpunkt noch bei einer Vielzahl wichtiger, offener Fragen bestehen. Kontrovers diskutiert wird z. B. die Aufteilung der Preiszonen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) spricht sich für den Erhalt der deutschen Preiszone aus, denn sie trägt zu einem hochliquiden Strommarkt bei [6]. 

Ein neuer Vorschlag des EU-Parlamentsberichterstatters Nicolás González Casares geht in manchen Punkten deutlich weiter als die Vorlage der EU-Kommission. Demnach steht die umstrittene (vorübergehende) Erlösabschöpfung auf dem Strommarkt wieder zur Diskussion. Bis Anfang 2024 wollen Kommission, Rat und das Europäische Parlament die Strommarktreform abschließen. Als nächster Schritt war für den 19. Juli 2023 eine Abstimmung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) des Europäischen Parlaments über den Bericht des Parlaments und Änderungsanträge geplant. Die Plenarabstimmung soll in den darauffolgenden Wochen stattfinden.

Fazit

Insgesamt enthält der im März 2023 vorgelegte Reformvorschlag der EU-Kommission viele gute Ansätze. Vor allem am grundlegenden Marktdesign, insbesondere der Einschaltreihenfolge der Kraftwerke („Merit Order“) und dem Prinzip der Grenzkostenbepreisung, will die EU-Kommission nichts ändern. 

Damit verzichtet sie auf ursprünglich angedachte tiefe Eingriffe in bewährte Preis- und Marktmechanismen und setzt weiterhin auf die marktwirtschaftliche Preisbildung am Strommarkt. Und das ist gut so, denn die hohen Strompreise sind nicht auf ein Versagen des Strombinnenmarktes zurückzuführen, sondern auf die Verknappung des Energieangebots infolge eingeschränkter Gaslieferungen aus Russland. Dieses zeigt, dass das derzeitige europäische Marktdesign funktioniert. 

Die EU-Strommarktreform hat eine erhebliche Bedeutung für Deutschland, sie unterstützt die Ziele der Energiewende. Die Reform erfordert jedoch auch Investitionen in den Netzausbau und Maßnahmen zur Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit. Um die Ziele für 2030 zu erreichen, braucht es Klarheit darüber, wie Versorgungssicherheit mittel- und langfristig organisiert werden soll. 

Anmerkungen

[1] Im Zuge der vorgeschlagenen Reform sollen EU-Rechtsvorschriften, wie die Elektrizitätsverordnung, die Elektrizitätsrichtlinie und die REMIT-Verordnung, überarbeitet werden.
[2] Electricity Market Design revision: Proposal to amend the Wholesale Energy Market Integrity and Transparency (REMIT) Regulation” (COM/2023/147 final). “Electricity Market Design revision: Proposal to amend the Electricity Market Design rules” (COM/2023/148 final).
[3] Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Verordnungen (EU) 2019/943 und (EU) 2019/942 sowie der Richtlinien (EU) 2018/2001 und (EU) 2019/944 zur Verbesserung der Gestaltung der Elektrizitätsmärkte in der EU.
[4] Vgl. Pressemitteilung der EU-Kommission vom 14. März 2023.
[5] VERORDNUNG (EU) 2019/943 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt.
[6] Vgl. Pressemitteilung des BDEW vom 5. Juli 2023.

 

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et-Redaktion

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