Gesprächsrunde zur Treibhausgasminderung

Für eine erfolgreiche Treibhausgasminderung weltweit wie in Deutschland ist Effizienz wichtig, aber Akzeptanz entscheidend. Akzeptanz entsteht durch Dialog, nicht durch apodiktische Vorgaben (Bildquelle: Kittphan | Fotolia.com)

Drei unterschiedliche Ebenen sind hierbei zu unterscheiden: Paris (und damit Europa), Deutschland, Sektoren in Deutschland. Bei der Suche nach einer ausgewogenen klimapolitischen Lösung sind mehr Meinungsaustausch und weniger politischer Dirigismus gefragt. In einem Dialog zwischen Staat und Wirtschaft könnten Entwicklungspfade gemeinsam ausbuchstabiert werden.

Nationale Klimaziele 

Aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der in diesem Zusammenhang eingegangenen Selbstverpflichtung der Europäischen Union (EU) folgt unmittelbar ein gemeinsames Ziel für alle Mitgliedstaaten: Senkung der Treibhausgasemissionen auf dem Territorium der EU um 40 % bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990. Dieses Ziel wird auf EU-Ebene aufgeteilt in ein Ziel für die vom europäischen Emissionshandel (EU-EHS) erfassten Sektoren – minus 43 % gegenüber dem Basisjahr 2005 – und alle anderen Sektoren (Nicht-EHS) – minus 30 % gegenüber 2005.

Während der EU-EHS die Zielerreichung systemimmanent gewährleistet – bis auf mögliche intertemporale Verschiebungen – gibt es für die Nicht-EHS-Sektoren keinen einheitlichen europäischen Minderungsansatz. Stattdessen wird das europäische Nicht-EHS-Teilziel im Rahmen des sogenannten „Effort Sharing“ auf die Mitgliedstaaten verteilt – für Deutschland im aktuellen Vorschlag der EU-Kommission minus 38 % gegenüber dem Basisjahr 2005. Dieses Nicht-EHS-Teilziel ist somit das einzige quantitative Minderungsziel für Deutschland, welches sich direkt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ableiten lässt.

In der öffentlichen Debatte steht dieses Paris-Teilziel allerdings eher im Hintergrund. Viel wichtiger werden die nationalen Klimaziele genommen, welche die Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel vor einem Jahrzehnt für Deutschland postuliert hat: minus 40 % bis zum Jahr 2020, minus 55 % bis 2030 und mindestens minus 80 % bis 2050, jeweils gegenüber dem Basisjahr 1990.

Formal sind diese Ziele Absichtserklärungen früherer Bundesregierungen und damit für den aktuellen – oder ggf. neu zu wählenden – Deutschen Bundestag im Grundsatz nicht bindend. Insbesondere das 2020er Ziel, als Zwischenziel zu 2030, steht – wenn überhaupt – nur in einer sehr indirekten Beziehung zum Abkommen aus Paris.  Politisch haben diese nationalen Ziele jedoch eine hohe Eigendynamik entwickelt.

Eine weitere Ebene der Zielarchitektur betrifft die Aufteilung der nationalen Klima-ziele auf energiewirtschaftliche Sektoren, wie sie von der derzeitigen Bundesregierung im sog. „Klimaschutzplan 2050“ vorgenommen worden ist. Hier werden Minderungsziele für einzelne Bereiche wie Energiewirtschaft oder Verkehr für das Jahr 2030 angegeben. Dieser Sektorenschnitt stimmt allerdings nicht mit der europäischen Aufteilung nach EHS/Nicht-EHS überein.

Zielverfehlung 2020

Brisanz erhält die Diskussion um die Klima- ziele momentan aus der absehbaren Verfehlung des nationalen Klimaziels für 2020 aus dem Jahr 2007 (Ebene 2 der Zielarchitektur).

Das nationale Klimaziel sollte – wegen der faktischen Wirkzusammenhänge sowie der Aufwärtskompatibilität zu den Bemühungen der EU mit Blick auf die EU-Selbstverpflichtung im Abkommen von Paris – nach EHS und Nicht-EHS aufgegliedert werden. Dabei ist kritisch zu diskutieren, ob, warum und in welcher Höhe eine nationale Zielvor-gabe für die bereits europäisch regulierten EHS-Sektoren sinnvoll sein könnte. Denn zusätzliche deutsche Minderungsanstrengungen in den nationalen EHS-Sektoren werden ja an anderen Orten in Europa kompensiert.

Wenn es aber deutsche EHS-Teilziele geben soll, was ist dann das Kriterium für ihre jeweilige Höhe? Wie geht insbesondere die relative Wirtschaftsentwicklung Deutschlands innerhalb der EU in die Zielfindung ein? Und wie wird zwischen dem Kraftwerkssektor und den anderen EHS-Sektoren unterschieden? Hier liegt ein wichtiges Spannungsfeld zwischen politischem Anspruch auf nationale Gestaltung des gesamten Energie-sektors und zentralen europäischen Wirkzusammenhängen.

Ausdrücklich hat die Bundesregierung eine solche Aufteilung nach EHS und Nicht-EHS bislang nicht vorgenommen. Mithin ist rückwirkend nicht eindeutig festzustellen, ob die Zielverfehlung 2020 nun aus den EHS- und/oder den Nicht-EHS-Sektoren resultiert. Für die politische Bewertung der Zielverfehlung wäre ein solcher Befund von offensichtlicher Bedeutung.

Die Aufteilung zukünftiger nationaler Klimaziele nach EHS und Nicht-EHS sollte an die Klimapolitik der nächsten Bundesregierung darstellen – und zwar sowohl wegen der fundamentalen ordnungspolitischen Unterschiede zwischen EHS und Nicht-EHS sowie zur Erhöhung der Transparenz politischer Zielsetzungen.

Energieproduktivität und EHS

Aus einem Vergleich der dem 40 %-Ziel zugrundeliegenden Szenarien mit den realen Entwicklungen  lassen sich zwei wesentliche Ursachen für die Abweichung von den vor-ausskizzierten, von den Gutachtern damals ausdrücklich als optimistisch bezeichneten Szenarien vermuten: deutlich geringere Erfolge bei der Steigerung der Energieproduktivität als von der Regierung unterstellt; und ein niedrigerer Preis für europäische CO2-Zertifikate als angenommen (vgl. Bett-züge, 2018, in: ifo Schnelldienst 1/18, 15-18). Während der zweitgenannte Faktor (aufgrund der deutschen Braunkohle-Position) den Anteil der deutschen EHS-Emissionen an den gesamteuropäischen EHS-Emissionen steigert (Zielverfehlung in den deutschen EHS-Sektoren), betrifft der erstgenannte Faktor alle Endenergieträger, also auch Strom, und damit sowohl die deutschen EHS- als auch Nicht-EHS-Sektoren.

Nimmt man die (zu vermutende) Intention der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 zum Maßstab, so ist es also vermutlich in beiden Bereichen – Nicht-EHS wie EHS – zur Zielverfehlung gekommen. Da in den Nicht-EHS-Sektoren rasche zusätzliche Minderungen politisch quasi unmöglich sein dürften, liegt es nahe, das Gesamtziel für 2020 zu korrigieren. Anderenfalls müssten die EHS-Sektoren, oder genauer: die Kraftwerkswirtschaft, nicht nur das eigene – implizite, aber ordnungspolitisch ohnehin fragwürdige – Ziel erreichen, sondern darüber hinaus die gesamte Zielverfehlung kompensieren. Sowohl die Tiefe der hierfür erforderlichen Eingriffe als auch die klimapolitische Unwirksamkeit im System des EU-Strombinnenmarkts cum EHS stehen einer solchen Politik entgegen. Die entsprechenden Passagen im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD aus dem Januar 2018 erscheinen vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Allerdings wirkt die dort ohne weitere Begründung vorgenommene Bekräftigung der 2030er-Ziele voreilig. Denn die Erreichung dieser Ziele wird wiederum von enormen Fortschritten bei der Energie-produktivität sowie von nationalen Eingriffen in die deutschen EHS-Sektoren – zur Verminderung des deutschen Anteils an den EU-EHS-Gesamtemissionen – abhängen. Gibt es hierfür wirklich belastbare Strategien, vor allem auch in Hinsicht auf die gesellschaftliche Akzeptanz? 

Ziele als Ankündigungen

Die nationalen Klimaziele beziehen ihre Durchschlagskraft (und Attraktivität) im politischen Diskurs aus der Tatsache, dass sie – anders als das europäische EHS-Ziel – nicht gleichzeitig mit Maßnahmen im entsprechenden Umfang hinterlegt sind. Zielverkündung und Gesetzgebung werden zeitlich und inhaltlich entkoppelt.

Für die politische Kommunikation ergibt sich aus dieser Asymmetrie eine von der Politik parteiübergreifend gerne ergriffene Chance: Das Erwünschte – hier: ein möglicher Beitrag Deutschlands zum Klimaschutz – kann versprochen werden, ohne unmittelbar den konkreten Preis dafür zu nennen; den Preis nämlich, den Bürger und Unternehmen beispielsweise in Form höherer Strom-, Gas- oder Benzinpreise, durch vorzeitige Abschreibungen von technischen Anlagen und Gebäuden oder durch höhere allgemeine Steuern zur Refinanzierung von Anreizprogrammen für die Erreichung dieser Ziele werden entrichten müssen.

Ehrgeizige Ziele für die Treibhausgasminderung sind also das eine, die gesellschaftlichen Nebenbedingungen hierfür, insbesondere bezüglich des Erhalts des wirtschaftlichen Wohlstands und des sozialen Zusammenhalts das andere.

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