Nationaler Wasserstoffrat: Die Studie berücksichtigt die regionalen und lokalen Unterschiede in der Gebäude- und Prozesswärme durch Einbezug von vier Versorgungsgebieten, darunter die Stadt Mainz (im Bild)

Die Studie berücksichtigt die regionalen und lokalen Unterschiede in der Gebäude- und Prozesswärme durch Einbezug von vier Versorgungsgebieten, darunter die Stadt Mainz (im Bild) (Quelle: Pixabay)

Im Wärmemarkt gibt es in Deutschland starke regionale und strukturelle Unterschiede. Insbesondere die Vielfalt der Gebäudestrukturen und der gewerblichen und industriellen Struktur, aber auch die lokalen Energieinfrastrukturen sind entscheidende Aspekte für die Frage, welche Technologien den kostenoptimalen Versorgungsmix bereitstellen können. 

Ausgehend von der realen Versorgungssituation in vier ausgewählten Versorgungsgebieten schließt die Studie mit ihrem Bottom-up-Ansatz eine Forschungslücke und zeigt Optionen für die effiziente Dekarbonisierung des Wärmesektors auf. Bei der Erarbeitung konnten zudem wichtige Erkenntnisse für die kommunale Wärmeplanung gewonnen werden.

Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors

Der Bereich der Wärmenutzung steht vor erheblichen Herausforderungen. Bis spätestens 2045 muss dieser lokal und regional organisierte Sektor klimaneutral sein. Dabei stellt sich die Frage nach einem volkswirtschaftlich kosteneffizienten und für den Wärmenutzer bezahlbaren Erreichen dieses Zieles. Die vorliegende Studie wurde in einem Zeitraum erstellt, in dem aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die Energiemärkte erheblichem Druck und Veränderungen unterliegen. Gleichzeitig hat sich im Wärmesektor durch die hohen Energiepreise eine neue Dynamik entwickelt, die dessen Umbau beschleunigen wird und das Thema Bezahlbarkeit in den Fokus gerückt hat.

Katherina Reiche, Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates (NWR), dazu: „Die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung gehört zu den größten Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Wir müssen effiziente und nachhaltige Lösungen schaffen, die gleichzeitig auch sozial fair sind. Dabei gilt: Die Wärmewende findet lokal statt. Jede Kommune, jeder Stadtteil ist anders. Um dieser Komplexität und Individualität vor Ort gerecht zu werden, bedarf es eines dezentralen Betrachtungsansatzes. Daher haben wir Fraunhofer beauftragt, mit der Bottom-up-Studie Pfadoptionen aufzuzeigen.“

Ergebnisse der Studie

Der Bottom-up-Ansatz der Studie berücksichtigt die regionalen und lokalen Unterschiede in der Gebäude- und Prozesswärme durch Einbezug von vier Versorgungsgebieten (Burg bei Magdeburg, Fellbach, Mainz und Westerstede). Die Autoren der Studie kommen zum Ergebnis, dass alle klimaneutralen Energieträger, also Strom (aus Photovoltaik und Windkraft), Fernwärme, erneuerbare Energieträger (Solarthermie, Geothermie und Biomasse) und Wasserstoff, in der Wärmeversorgung benötigt werden, um eine klimaneutrale Energieversorgung bis 2045 zu erreichen.

Sebastian Herkel, Leiter der Abteilung Energieeffiziente Gebäude, Fraunhofer Insitut für Solare Energiesysteme (ISE): „Eine „One-Size-Fits-All-Lösung existiert für den Wärmemarkt nicht. Transformationspfade müssen alle wesentlichen Technologien als mögliche Lösungsoption beinhalten, um für die lokal sehr unterschiedlich ausgeprägten Versorgungsaufgaben unter Einbeziehung aller Gesichtspunkte zu bestmöglichen Lösungen zu gelangen. Dies muss mit verpflichtenden kommunalen Wärmeplanungen angegangen werden.“

Der Weg bis 2030 ist zunächst in allen Szenarien sehr ähnlich: Er ist auf der einen Seite durch einen starken Hochlauf der Photovoltaik- und Wärmepumpenleistungen geprägt, auf der anderen Seite durch den Beginn des Wasserstoffhochlaufs für die industrielle Anwendung und die zentrale Wärmeerzeugung.

Dr. Jörg Bergmann, Leiter der Arbeitsgruppe Infrastruktur und Wärme des NWR unterstreicht: „Mit Wasserstoff wird die Energiewende sicherer und bezahlbarer. Es ist wichtig, nun sehr schnell große Mengen günstigen Wasserstoff verfügbar zu machen – nicht nur für die Großindustrie, sondern auch für die an das Verteilnetz angeschlossenen Industrie- und Gewerbebetriebe sowie die (Fern-)Wärmeversorgung. Dafür benötigen wir umgehend eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland.“

Bündel an Technologieoptionen für eine erfolgreiche Wärmewende notwendig

Für eine erfolgreiche Wärmewende ist ein Bündel an Technologieoptionen notwendig – Hauptlösungen sind dabei Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff. Während der Ausbau von Wärmepumpen in allen Versorgungsgebieten die primäre Dekarbonisierungsstrategie in der Raumwärme darstellt, sichert der Einsatz von Wasserstoff das Erreichen der langfristigen Klimaziele (nach 2030) in der Industrie und Energieerzeugung (Fernwärme) ab.

Komplexität des Wärmemarktes bei lokaler Betrachtung 

Die Bottom-up-Studie zeigt die Komplexität des Wärmemarktes bei lokaler Betrachtung auf und betont die Notwendigkeit von Vor-Ort-Analysen. Die Dekarbonisierungspfade der untersuchten Versorgungsgebiete variieren abhängig von den lokalen Gegebenheiten. Die kommunale Wärmeplanung kann als zentrales Instrument diese Erkenntnis würdigen und damit relevante Einflussfaktoren für den Wärmemarkt adressieren. Bei der Erstellung von kommunalen Wärmeplänen sollten einheitliche Rahmenbedingungen zu technischen und ökonomischen Randbedingungen als Vorgaben fixiert und regelmäßig aktualisiert werden.

Integrierte Versorgungsinfrastrukturen zwingende Voraussetzung

Für eine erfolgreiche Wärmewende müssen die Entwicklungspläne einer nationalen und europäischen Wasserstoffinfrastruktur mit der Transformation der regionalen Versorgungsinfrastrukturen in Einklang gebracht werden. Der Aufbau eines leistungsfähigen H2-Backbone und der nachgelagerten Wasserstoffinfrastrukturen zu den relevanten Anwendungen ist dabei eine zwingende Voraussetzung. Matthias Lenz, Geschäftsfeldleiter Netzplanung und Netzbetrieb, Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE): „Die Netzbetreiber benötigen Investitionssicherheit! Die Studie hebt die Notwendigkeit für die Verteilnetzbetreiber hervor, auf Basis der kommunalen Wärmeplanung unverzüglich mit einer spartenübergreifenden, multimodalen Zielnetzplanung für Strom-, Gas- und Wärmenetze zu beginnen und diese zu operationalisieren.“

Die zukünftige lokale Versorgungsaufgabe der Verteilnetze, insbesondere die Versorgung lokaler Industrie- und Gewerbeunternehmen ist zu ermitteln und um einen sinnvoll angepassten regulatorischen Rahmen zu ergänzen. In diesem Prozess ist ein direkter Dialog zwischen Versorgern, Kommunen und Unternehmen im Kontext der kommunalen Wärmeplanung unerlässlich.

Die Kurzfassung der Studie kann heruntergeladen werden unter: https://www.wasserstoffrat.de/veroeffentlichungen/studien

„et“-Redaktion

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