Strategische Perspektiven

Abbildung 5 zum Thema deutsche Rohstoffversorgungssicherheit - Maßnahmen zur deutschen Rohstoffsicherung (2013)

Abb. 5: Maßnahmen zur deutschen Rohstoffsicherung (2013) (Quelle: Hubertus Bardt/Hanno Kempermann/Karl Lichtblau, „Rohstoffe für die Industrie“. Analysen des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln 2013, S. 46)

Während China alle WTO-Klagen in Bezug auf Rohstoffkonflikte bis 2014 verlor, wurden die Import- und Exportbeschränkungen keineswegs wirklich vollständig aufgehoben. Währenddessen hat China sein Monopol bei der Weiterverarbeitung der SE in Raffinerien für Vor-, Zwischen- und Endprodukte weiter ausgebaut.

Vor dem Hintergrund der chinesischen Rohstoffpolitik, die immer neue Wettbewerbsverzerrungen für ihre Rohstoffimporte und -exporte erfand sowie gleichzeitig sich in immer neue internationale Minenprojekte einkaufte und damit den direkten EU-Zugang zu internationalen Rohstoffreserven erschwerte, überarbeitete und aktualisierte die EU in 2014 ihre Liste der KR und klassifizierte nun 20 von insgesamt 54 ausgewählten Rohstoffen als „kritisch“. Im September 2017 wurde schließlich die Liste auf 27 KR von insgesamt 78 Rohstoffen erweitert und spiegelte insoweit die immer größeren Besorgnisse der EU wieder. China war dabei für die EU bei 15 KR von 38 Rohstoffen der wichtigste Lieferant (rund 39 %) – bei allen 38 Rohstoffen beträgt der chinesische Anteil sogar 62 %.

Zudem sehen sich die EU und Deutschland in ihren Rohstoffstrategien einem zunehmenden Zielkonflikt gegenüber, der vorerst kaum auflösbar für die westlichen Demokratien erscheint: einerseits die zeitnah notwendige Ausweitung der globalen Förderung von KR für die „grüne Energiewende“ und neuesten Technologien der Digitalisierung, Robotik und KI, andererseits die Durchsetzung internationaler ethischer, sozialer und umweltpolitischer Standards für eine nachhaltige Minenförderung gegen den Widerstand vieler Rohstoffländer.

Gleichzeitig stoßen auch die Gegenstrategien einer Kreislaufwirtschaft, wie Substitution oder Recycling, auf vielfältige technologische und wirtschaftliche Grenzen. Während für einige Roh­stoffe zwar technische Recycling-Verfahren vorhanden sind, sind diese für privatwirtschaftliche Unternehmen oft nicht profitabel genug. So findet ein Recycling von SE und anderen KI in Handys weiterhin nicht statt, weil die gewonnenen Mengen (wie bei den SE) zu gering sind und der technische- sowie energiewirtschaftliche Aufwand unter zudem restriktiven umweltpolitischen Rahmenbedingungen für das Recycling zu hoch ist. Mit mehr staatlicher Förderung von Forschung und Entwicklung dürften sich sicherlich die Perspektiven in den kommenden Jahrzehnten für Recycling verbessern, da die Preise für viele KR stärker ansteigen dürften. Doch Recycling allein ist kein Allheilmittel gegen den global ansteigenden Rohstoffbedarf, sondern dürfte in mittelfristiger Perspektive den Anstieg nur abmildern (Abb. 5).

Während einerseits durchaus Fortschritte bei der Stärkung der Versorgungssicherheit von KR für die deutsche Wirtschaft konstatiert werden können, sind auf der anderen Seite auch Rückschritte zu verzeichnen. Dies gilt insbesondere für das im Januar 2012 initiierte Projekt einer gemeinsamen Rohstoffallianz der deutschen Unternehmen, die 2015 wieder aufgegeben wurde, nachdem sich zunächst die Großunternehmen wie Bayer, BMW, Daimler, ThyssenKrupp und Stahlholding-Saar zusammengeschlossen hatten. Noch immer ist in Teilen der Wirtschaft und Politik ein zu großes Vertrauen auf die selbsttragenden Kräfte des Marktes von Angebot und Nachfrage zu konstatieren, welches weder die seit fast zwei Jahrzehnten nachweisbaren Tendenzen eines internationalen Ressourcennationalismus noch die langfristige merkantilistische Strategie Chinas der strategischen Kontrolle kompletter Wertschöpfungsketten bei künftigen Schlüsseltechnologien ausreichend zur Kenntnis nimmt.

Gleichwohl bleibt die Hauptaufgabe der Politik, einen freien Rohstoffhandel sowie faire internationale Wettbewerbspolitik zu gewährleisten, weiterhin bestehen. Doch müssen die geopolitischen und geoökonomischen Realitäten über die Einflussmöglichkeiten nationalstaatlicher Rohstoffpolitik als zunehmend begrenzt anerkannt werden. Dies gilt auch für Deutschland als wirtschaftlich stärkstem EU-Mitglied, dessen internationaler Einfluss über multilaterale Organisationen, Foren und Initiativen auf den globalen Rohstoffmärkten weiter schwindet. Auch die Stärkung der heimischen Rohstoffförderung bleibt mehr denn je aktuell, erfordert jedoch größere öffentliche Debatten und eine breitere gesellschaftliche Unterstützung für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das sollte schon in der Schule vermittelt werden und dabei die thematischen Interdependenzen zur Wirtschafts- und Technologie-, Klima-, Energie- sowie Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik aufzeigen. In diesem Kontext muss die Rohstoffpolitik mehr denn je als ein strategisches Instrument der Industrie-, Hochtechnologie- und auch Außen- sowie Sicherheitspolitik verstanden werden.

Um die neuen strategischen Herausforderungen auf den internationalen Rohstoff­märkten zu bewältigen, darf sich dabei die Politik nicht nur auf die politische Flankierung von Industriestrategien der Wirt­schaft beschränken, sondern muss Deutschland pro-aktiv strategisch positionieren und dabei das gesamtwirtschaftliche Interesse statt industriepolitischer Partikularinteressen im Auge behalten. So sinnvoll die politische Unterstützung von Rohstoffpartnerschaften mit anderen Ländern und Proklamierung neuer verrechtlichter Global Governance-Initiativen durch die Bundesregierung auch sind. Sie sind angesichts eines realpolitischen Ressourcennationalismus und der chinesischen Strategie zur Kontrolle voll­ständiger Wertschöpfungsketten in neuen Hightech-Schlüsselindustrien unzureich­end. Eine nachhaltige und zukunftsorientierte Strategie der Versorgungssicherheit bei KR darf nicht länger auf politischen Wunschbildern und Best-Case-Szenarien basieren, sondern muss sich an den internationalen geoökonomischen und geopolitischen Realitäten orientieren.

Vor diesem Hintergrund sollten auch die deutschen und EU-Strategien zur Versorgungssicherheit bei KR hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit und zielführenden Effektivität überprüft sowie den Herausforderungen entsprechend angepasst werden, was einen strategischen Paradigmenwechsel in zweifacher Hinsicht erfordert:

Gegenüber der chinesischen Herausforderung ist eine Verlagerung von Kompetenzen in der Rohstoffpolitik nach Brüssel unabdingbar, da nur im größeren europäischen Rahmen die zukünftige Rohstoffversorgungssicherheit Deutschlands vor dem Hintergrund eines verschärften weltweiten Wettbewerbs bei KR und „Technologie-Metallen“ für die neuen Schlüsseltechnologien bei den EE, Batteriespeichern, Elektromobilität, Digitalisierung und KI gewährleistet werden kann.

So nützlich „Rohstoffpartnerschaften“ mit Ländern wie Chile, Mongolei, Kasachstan, Peru und anderen auch sein mögen. Deutschland und die EU benötigen eine „strategische Rohstoffallianz“ durch eine verstärkte transatlantische rohstoff(außen)­po­li­ti­sche Kooperation sowohl mit den USA und Kanada als auch mit Australien in dem Bewusstsein, dass wer immer  die zukünftigen technologischen Wertschöpfungsketten und ihre Rohstoffbasis kontrolliert, kontrolliert auch die künftige Industrie- und Wirtschaftsordnung im 21. Jahrhundert.

Dr. F. Umbach, Forschungsdirektor des European Centre for Climate, Energy and Resource Security (EUCERS), King’s College, London, fraumbach@aol.com

Der Artikel basiert auf einer größeren Studie des Autors – F. Umbach, „Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen. Neue Herausforderungen durch Digitalisierung und Erneuerbare Energien”, Aktuelle Analysen No. 73, Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), München, Dezember 2019, 61 S.

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et-Redaktion
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