Mit dem Konzept des Independent Transmission Operator konnte ein auch für Deutschland tragfähiges und verfassungskonformes Modell zum Unbundling gefunden werden

Mit dem Konzept des Independent Transmission Operator konnte ein auch für Deutschland tragfähiges und verfassungskonformes Unbundlingmodell gefunden werden (Bildquelle: Mauritius)

Die entsprechende positive Entscheidung des Rates ist am 25.6.2009 ergangen. Dabei wurde das 3. Liberalisierungspaket in seiner Schlussphase noch um eine Reihe von Regelungen erweitert. Im Zentrum steht aber unverändert die Verschärfung des Entflechtungsregimes. In Deutschland wird das Independent Transmission Operator (ITO)-Modell als Strukturentscheidung die energierechtliche Landschaft prägen.

Alea iacta est: Die Verschärfung des Unbundling

Ursprünglich hatte die Kommission in ihrem Richtlinien-Vorschlag [1] vom 19.9.2007 für die Einführung des Ownership Unbundling (OU) – also den Zwangsverkauf der Netze – votiert. Damit sollten den integrierten Energieunternehmen angelastete Diskriminierungspotenziale beseitigt werden. Nur als second-best-Alternative war der Independent System Operator (ISO) vorgesehen. Eine Gruppe von Mitgliedstaaten unter der Führung von Deutschland und Frankreich lehnte das OU (bzw. den ISO) aus wettbewerbspolitischen und grundsätzlichen – auch eigentumsbasierten – Erwägungen entschieden ab. Sie präsentierte statt OU/ISO als gleichberechtigte Alternative die „third option“, nämlich das Modell des Independent Transmission Operator (ITO). Dieser Vorstoß hatte Erfolg. Die Strom-bzw. Gas-Binnenmarkt-Richtlinie vom 13.7.2009 [2] räumt den Mitgliedstaaten drei Optionen ein: Sie können für die Übertragungs-bzw. Fernleitungsnetzbetreiber [3] (ÜNB/FNB) zwischen OU, ISO und ITO wählen.

Option I: Das Ownership Unbundling

Inkompatibilität von Netz und Erzeugung/Gewinnung bzw. Vertrieb

Ownership Unbundling bedeutet die zwangsweise Herauslösung des Netzes aus dem Konzernverbund des vertikal integrierten Unternehmens (viU). Es ist in Art. 9 Strom-RL/Gas-RL 2009 [4] geregelt. Die Mitgliedstaaten müssen danach zunächst sicherstellen, dass die Netze auf der einen sowie die Wettbewerbsbereiche Stromerzeugung – bzw. Gasgewinnung – und Vertrieb auf der anderen Seite nicht in einer Hand liegen. Die Inkompatibilitäten nennt Art

9 Strom-RL 2009. Wer die Wettbewerbsbereiche Stromerzeugung oder -vertrieb kontrolliert, darf den Übertragungsnetzbetreiber nicht kontrollieren und auch sonst kein Recht an ihm besitzen (Art.9 I b i) Strom-RL 2009). Ein solches Recht ist die Befugnis zur Ausübung von Stimmrechten [5] oder zur Organbesetzung (Art. 9 II Strom-RL/Gas-RL 2009).

Das Trennungsgebot gilt auch im umgekehrten Fall, so dass nichteine Person zugleich einen ÜNB kontrollieren und entsprechenden Einfluss auf ein in der Stromerzeugung bzw. im Stromvertrieb tätiges Unternehmen bzw. Rechte an einem solchen ausüben darf. Die Inkompatibilität findet schließlich auch „über Kreuz“ für Gas-gewinnung/Gasvertrieb bzw. die Fernleitungsnetze Anwendung (Art. 9 III Strom-RL/Gas-RL 2009). Nach dieser „Verkoppelung“ dürfen z.B. Stromübertragungsnetze und Gasvertrieb nicht in einer Hand liegen.

Im Gassektor verlangt das Ownership Unbundling, dass die Mitgliedstaaten die Inkompatibilität von Gewinnung bzw. Versorgung auf der einen und Fernleitungsnetzen auf der anderen Seite sicherstellen (Art. 9 I b Gas-RL). Eine Überkreuzklausel verkoppelt jeweils Gas- und Strom-Bereiche (Art. 9 III Gas-RL). Danach darf z. B. ein Gasfernleitungsnetzbetreiber keinen Stromversorger kontrollieren.

Das Verbot von Doppelmandaten

Zum zweiten müssen die Mitgliedstaaten ein Verbot von Doppelmandaten einführen. Dabei wird einmal an den Bestellungsaktangeknüpft. So dürfen die Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsrates bzw. des Vertretungsorgans (Managements) eines ÜNB/FNB nicht durch Personen bestellt werden, die ein Strom-erzeugungs- bzw. Gasgewinnungsunternehmen kontrollieren (Art.9 I lit. c) Strom-RL/Gas-RL 2009). Dementsprechend müssen die Mitgliedstaaten Personalunion auf der Ebene des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats oder des Managements im Netz- wie im Wettbewerbssektor vermeiden [6].

Erwerbsverbot und Verkaufszwang

Das OU bedeutet zweierlei. Bestehen noch keine Beteiligungen, so hat es die Funktion eines Erwerbsverbots. Soweit dagegen „verbotene Beteiligungen“ bereits im Portefeuille vorhanden sind, stellt es die Einführung eines Zwangsverkaufs dar. So müssen integrierte Muttergesellschaften ihre Allein- bzw. Mehrheitsbeteiligungen an ÜNB/FNB veräußern. Erwerbsverbot und Verkaufszwang gelten nicht zu 100 %. Nach Art. 9 I lit. b) Strom-RL/Gas-RL 2009 darf die Muttergesellschaft noch einen Anteil bis zur Schwelle der Kontrolle behalten. Was hierunter zu verstehen ist, ergibt sich nach Erwägungsgrund 13der Strom-RL bzw. 10 der Gas-RL 2009 aus der EG-Fusionskontroll-verordnung (FKVO) [7]. Der dort verwendete Begriff der Kontrolle wird als Mehrheit der Stimmrechte verstanden [8]. Dies bedeutet, dass im Modell des OU nicht sämtliche Anteile an der Netzgesellschaft dem Erwerbsverbot unterliegen bzw. verkauft werden müssen. Vielmehr kann die Muttergesellschaft eine Minderheitsbeteiligung bis zu 49,99% der Stimmrechte erwerben bzw. behalten [9]. Dies ergibt sich auch aus Art. 9 II lit. c) Strom-RL/Gas-RL 2009.

Staatsunternehmen

Nach Art. 9 VI Strom-RL/Gas-RL 2009 sind die Anforderungen des OU bei integrierten Energie-Unternehmen in Staatsbesitz schon dann erfüllt, wenn z. B. unterschiedliche Abteilungen eines Ministeriums über das Netz(unternehmen) einerseits bzw. über das Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen andererseits Aufsicht führen. Nach zwischenzeitlichen nachhaltigen Kontroversen ist diese Klausel in den Gesamtkompromiss eingegangen. Staatsunternehmen unterliegen damit nicht dem Zwangsverkauf.

Kompetenzen und Gemeinschaftsgrundrechte

Im Schrifttum sind gegen das OU rechtliche Einwände erhobenworden. Zum einen stehe ihm die Kompetenzausübungsschranke des Art. 295 EG entgegen, da ein solcher branchenweiter Zwangs-verkauf die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten nicht unberührt lasse [10]. Zum anderen stelle das OU einen Eingriff in die Gemeinschaftsgrundrechte der Eigentums-, Berufs- und Organisationsfreiheit dar [11]. Es fehle u. a. an der Erforderlichkeit, weil mit dem ITO ein geringer einschneidendes, aber milderes Mittelbereitstehe und im Übrigen die Ausgewogenheit fehle. Mit der Option für die Mitgliedstaaten, als vollgültige Alternative zum OU (und ISO) den ITO einzuführen, sind die kompetenz- und gemeinschaftsgrundrechtlichen Einwände gegen das OU nicht mehr akut, da jetzt die Zwangsregelung einer Optionslösung gewichen ist. Für sich genommen behalten sie aber ihre Gültigkeit. Im Übrigen können in den Mitgliedstaaten, die das OU einführen, Einwände nach Maßgabe der jeweiligen Verfassung bestehen.

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Matthias Schmidt-Preuß

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