Abb. Überblick – Eckdaten und Annahmen der Bundesnetzagentur

Abb. Überblick – Eckdaten und Annahmen der Bundesnetzagentur (Quelle: Bundesnetzagentur)

Die resultierenden Handlungsempfehlungen zeigen, welche Schritte notwendig wären, um das Ziel der Versorgungssicherheit unter diesen Voraussetzungen zu erreichen. Zwar zeigt der Bericht, dass eine sichere Stromversorgung in den gewählten Szenarien gewährleistet ist, doch dazu müssen noch eine Reihe von erzeugungs- und netzseitigen Entwicklungen realisiert werden. Die zeitgerechte und vollumfängliche Erfüllung der Voraussetzungen wird allerdings von Fachleuten deutlich angezweifelt [1].

Die Bundesnetzagentur führt in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fortlaufend ein Monitoring der Versorgungssicherheit nach § 51 EnWG durch. Der aktuelle Bericht beruht auf zwei Studien [2], die zu diesem Zweck in Auftrag gegeben wurden, und untersucht die Versorgungssicherheit in Deutschland im Stromnetz sowie am Strommarkt für den Zeitraum von 2025 bis 2031. Die zweite Studie bezieht eine aktualisierte Datengrundlage zu Stromverbrauch und Brennstoffpreisen ein, betrachtet jedoch ausschließlich die marktseitige Versorgungssicherheit. Krisenbedingte Maßnahmen fanden keine Berücksichtigung.

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der Analysen ist der Umbau des Stromsystems unter Einhaltung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Klimaziele. Dazu hat die Bundesnetzagentur einen erheblichen Ausbau der erneuerbaren Energien (Wind Onshore, Wind Offshore und Photovoltaik) in Deutschland von ca. 123 GW in 2021 auf 386 GW in 2031 nach dem Osterpaket der Bundesregierung unterstellt. Aufgrund eines angenommenen – bis auf 125 €/t CO2 steigenden – Zertifikatepreises im Europäischen Emissionshandel und der Erwartung, dass die Gasbrennstoffpreise wieder auf Vorkrisenniveau sinken, erfolgt in den Modellrechnungen ein marktgetriebener Kohleausstieg bis 2030. Gleichzeitig wird angenommen, dass der Bruttostromverbrauch von rund 565 TWh in 2021 auf 750 TWh ansteigt.

Um das Versorgungssicherheitsniveau dennoch aufrechtzuerhalten, müssen die wegfallenden steuerbaren Stromkapazitäten kompensiert werden. Die Bundesnetzagentur empfiehlt dazu, bestehende Kapazitäten an Netzersatzanlagen zu erschließen, Flexibilitätsoptionen (Lastreduktion und -verschiebung) in erheblichem Maße aufzubauen sowie Gaskraftwerke (möglichst Wasserstoff-ready) in einer Größenordnung von rund 17 GW bis 21 GW bis 2031 zuzubauen. Um die Last in Deutschland zu decken, sollen zudem verstärkt Stromimporte aus den Nachbarländern genutzt werden. In Spitzenlastzeiten sollten zusätzliche Speicher einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten (siehe Abb.).

Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten

Dass ausreichende Erzeugungskapazitäten zur Sicherung der Stromversorgung zur Verfügung stehen, ergibt sich modellbedingt. Mit den getroffenen Annahmen beschreibt der Bericht eher Erfordernisse als eine realitätsnahe Abbildung der Entwicklungen. In Fachkreisen werden die Annahmen an vielen zentralen Aspekten als sehr optimistisch oder gar unrealistisch eingeschätzt. Das zeigt sich besonders an der Einschätzung, dass unter Beibehaltung des heutigen Strommarktdesigns die Verdienstmöglichkeiten grundsätzlich hoch genug seien, damit im Hinblick auf die Versorgungssicherheit genügend Anlagen betrieben und gebaut würden.

Hier üben Fachverbände schon lange die Kritik, dass der Energy-Only-Market eben nicht die notwendigen Investitionsanreize setze. Der Punkt Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten ist allerdings entscheidend für den Umbau des Stromsystems. Die Bundesnetzagentur weist entsprechend selbst darauf hin, dass das Monitoring der Versorgungssicherheit nicht abschließend beantworten kann, ob „Marktakteure auch hinreichend Vertrauen in den Fortbestand des heutigen Marktdesigns und die bestehenden Förderinstrumente (EEG, KWKG) haben und entsprechende Investitionen in die Anlagen tätigen, die erforderlich sind, um die  Versorgungssicherheit zu gewährleisten“ [3]. Sowohl die politischen Rahmenbedingungen als auch das wirtschaftliche Umfeld ist, insbesondere für Energieversorgungsunternehmen, derzeit enorm schwierig. Für Investitionen in Gaskraftwerke müsste bei engen globalen LNG-Märkten eine hohe Verfügbarkeit von Gas gewährleistet und entsprechende LNG-Kapazitäten geschaffen werden. Außerdem müssten sich die Preise normalisieren.

Eine Analyse von McKinsey [4] zeigt auf, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass bis 2030 21 GW neue erdgasbetriebene Kraftwerke ans Netz gehen. Bis 2025 können demnach höchstens die bereits geplanten und im Bau befindlichen 3 GW zur Verfügung stehen. Auch angesichts der sehr zeitintensiven Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten sei es fraglich, ob bis 2030 weitere 18 GW neue Kapazitäten bereitgestellt werden können. Die nötigen Investitionen seien zudem mit großen Unsicherheiten verbunden, weil unklar ist, wie lange die Gaskraftwerke laufen und wie bei Umstellung auf Wasserstoff bezahlbarer Wasserstoff beschafft werden kann. Die notwendigen Investitionsanreize für den Bau oder Modernisierung von wasserstoff- oder auch bioenergiefähigen Kraftwerken sind aktuell nicht in Sicht. Die Berechnungen von McKinsey ergeben demnach ein anderes Bild als das der Bundesnetzagentur: Bis 2030 entsteht eine erhebliche Versorgungslücke.

Ausbaugeschwindigkeit bei den erneuerbaren Energien

Ein weiteres Beispiel für die optimistisch gesetzten Annahmen ist die Ausbaugeschwindigkeit bei den erneuerbaren Energien, die im Vergleich zum heutigen Stand verdreifacht werden müsste, um die im Bericht zugrunde gelegten Ziele zu erreichen. Neben dem Problem der Flächenverfügbarkeit ist auch hier das Planungs- und Genehmigungsrecht ein wesentliches Hemmnis. Bei den angenommenen Ausbaumengen der erneuerbaren Energien würde Deutschland perspektivisch zu einem Nettoimporteur von Strom. Zur Deckung der Last in Deutschland ist es also neben den inländischen Investitionen notwendig, dass auch in Europa ausreichend Stromerzeugungsanlagen entsprechend den Zielen des Fit-for-55 Pakets zur Verfügung stehen.

Der Bericht führt Flexibilitätspotenziale in Höhe von mindestens 41,2 GW auf, unklar bleibt allerdings wie genau diese erreicht und genutzt werden sollen [5]. Und auch der Beitrag von Speichern zur Versorgungssicherheit unterliegt vielen Restriktionen, insbesondere bei der Einspeisedauer und -höhe. Speicher können daher längere Schwankungen der Erzeugung und Last, z.B. bei einer Dunkelflaute, allein nicht ausgleichen.

Netzausbau

Netzseitig wäre es notwendig, dass Netzoptimierung und Netzausbau entsprechend vorankommen, um die durch einen schnelleren Kohleausstieg und steigende Erzeugung aus erneuerbaren Energien größer werdenden Transportbedarfe zu ermöglichen. Der Ausbau der Transportnetze macht allerdings kaum Fortschritte. Mit einer Gesamtlänge von 2.292 km am Ende des Jahres 2022 bleibt der Ausbau weiter deutlich hinter der Zielmarke von 5.553 km zurück. Eine beschleunigte Genehmigungspraxis sowie eine Anpassung des regulatorischen Rahmens wären hier erforderlich. Netzengpässe sollen mit entsprechendem Engpassmanagement (Redispatch) ausgeglichen werden. Zur Gewährleistung der Systemsicherheit müssen Aufgaben bzw. Systemdienstleistungen, die bisher konventionelle Kraftwerke erbracht haben, schrittweise durch erneuerbare Energien, Speicher, Netztechnik und ggf. Wasserstoff-Kraftwerke übernommen werden. Zudem gilt es, den Systembetrieb auf immer höhere EE-Anteile auszurichten. Hier entstehen neue Anforderungen, die neue Lösungen für Netzbetrieb/Systemstabilität erforderlich machen.

Ausblick

Wie auch im Bericht dargestellt, sind die Entwicklungen letztlich stark abhängig von politischen und regulatorischen Entscheidungen sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz und vom globalen Marktgeschehen, wodurch die Rohstoffpreise und das Investitionsverhalten beeinflusst werden. Die Energiewirtschaft scheint bereit zu einem nachhaltigen Wandel, sofern substanziell verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Anmerkungen

[1] https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/zum-monitoringbericht-versorgungssicherheit-strom/#:~:text=%E2%80%9EDer%20Bericht%20zeigt%20auf%2C%20wie,Zielszenario%20des%20Berichts%20formuliert%20wird; https://hwkhalle.de/energiepolitik-wunschdenken-und-schoenfaerberei-gefaehrden-die-versorgungssicherheit/; https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/viel-optimismus-im-bericht-zur-versorgungssicherheit; https://www.vku.de/presse/pressemitteilungen/vku-die-ziele-stimmen-bei-der-umsetzung-muessen-wir-deutlich-nachlegen/
[2] Vgl. Consentec, FfE, IER (2022): Bericht zum Gutachten für den Monitoringbericht 2022 gem. § 63 EnWG und r2b Energy consulting GmbH: Analysen zur Versorgungssicherheit am Strommarkt in Deutschland mit Kohleausstieg bis 2030.
[3] Bundesnetzagentur: Bericht zum Stand und zur Entwicklung der Versorgungssicherheit im Bereich der Versorgung mit Elektrizität, Januar 2023; S. 7.
[4] https://www.mckinsey.com/de/news/presse/2023-03-06-energiewende-index
[5] Hierunter fallen auch die Investitionen in die neuen Speichertechnologien Elektrische Wärmepumpen in
Haushalten, Solare Heimspeichersysteme, Elektromobilität, Power2Heat-Anlagen für Wärmenetze bzw. Industrieanwendungen und Power2Gas-Anlagen. Zu den 41,2 GW Flexibilitätsoptionen wurden Elektromobilität und Wärmepumpen im Bereich Haushalte und GHD nicht hinzugerechnet (Vgl. Bericht S. 99).

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