Zukunft der Gasmärkte – Wasserstoff

Portrait von Dr.-Ing. Leonhard Birnbaum / Teilnehmer beim Strategiegespräch der et zum Green Deal

Dr.-Ing. Leonhard Birnbaum, Mitglied des Vorstands der E.ON SE, Essen (Quelle: E.ON SE)

Prof. Dr. Mario Ragwitz / Teilnehmer beim Strategiegespräch der et zum Green Deal

Prof. Dr. Mario Ragwitz, Leiter Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG, Cottbus (Quelle: Fraunhofer IEG)

„et“: Europäisch wie national spielen Erdgasinfrastruktur und Wasserstofftechnologie eine wichtige Rolle für die Transformation. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Ragwitz: Beim Wasserstoff stehen wir trotz europäischer und nationaler Strategie bei zentralen Fragen noch am Beginn der Diskussion. Das geht schon los bei der Frage, welche Mengen an grünem Wasserstoff wir brauchen. Hier sind breite Korridore zwischen 300 und 800 TWh in 2050 und zwischen 15 und 30 TWh in 2030 im Gespräch, je nachdem, welches EU-Klimaziel man zugrunde legt. Dann geht es um die Frage, inwieweit wir eine blaue oder türkise Brücke brauchen. Es besteht Konsens darüber, dass in den Bereichen Industrie, Schwerlast-, Flug-, und Schiffsverkehr auf jeden Fall Wasserstoff breit zum Einsatz kommen soll, aber in anderen Sektoren ist vieles offen.

Bei der Regulierung besteht Konsens, Steuern, Umlagen und Abgaben aufzuheben, aber soweit sind wir in der Realität noch lange nicht. Es gibt den Vorschlag der Befreiung des grünen Wasserstoffs von der EEG-Umlage, aber hier muss man m.E. aufpassen, dass man über eine Einzelförderung von Wasserstoff keine Marktverzerrung bei den Sektorenkopplungsoptionen herbeiführt. Man sollte besser die Steuern, Abgaben und Umlagen in Gänze vollkommen umgestalten.

„et“: Wie ist das wissenschaftliche Meinungsbild beim grünen Wasserstoff, hauptsächlich in Deutschland produzieren oder aus dem Ausland importieren?

Ragwitz: Es besteht Konsens in Studien, dass wir zwei Drittel oder mehr des grünen Wasserstoffs aus Ländern importieren werden, in denen er zu günstigeren Bedingungen hergestellt werden kann. Dabei müssen wir die Balance zwischen Erzeugungs- und Transportkosten finden, d.h. wir werden den Wasserstoff zunächst aus Südeuropa importieren, wo es geringe Finanzierungskosten bei der Erzeugung gibt, dann aus der MENA-Region, später aus entlegeneren Gebieten. Klar ist auch, dass wir Wasserstoff in Deutschland in der Größenordnung von 50-60 € pro MWh bereitstellen müssen. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Zeit des Übergangs: Wenn es eine Brücke zum grünen Wasserstoff geben soll, dann wird bei blauem und türkisem Wasserstoff das Erdgas importiert, aber der Wasserstoff hierzulande gewonnen werden.

Weeser: Wasserstoff ist ein Multitalent und hat enorme Potenziale in den verschiedenen Anwendungen. Wir müssen deshalb in der Tat auf Importmöglichkeiten aus vielen Ländern setzen, einige wurden schon genannt. Ich möchte hier noch Patagonien hinzufügen. Wir sollten nicht nur an die verschiedenen Arten der Wasserstoffquellen denken, sondern müssen uns auch dem Thema Carbon Capture stellen. Wichtig ist, dass es eine europäisch abgestimmte Strategie für den Import von klimaneutralen Gasen und Kraftstoffen gibt.

„Es besteht Konsens darüber, dass in den Bereichen Industrie, Schwerlast-, Flug-, und Schiffsverkehr auf jeden Fall Wasserstoff breit zum Einsatz kommen soll, aber dann in anderen Sektoren ist wieder vieles offen. (…) Aus unseren Studien geht im Wärmemarkt eine klare Merit Order hervor: Die Gebäudehülle ist das A und O, das wird auch bei einem Großteil der Sanierungen die zentrale Maßnahme sein. Dann brauchen wir neue Wärmenetze und den Ausbau der bestehenden, weil wir damit immer mehr erneuerbare Energien in den Gebäudesektor hineinbekommen. (…) Ansonsten werden wir in vielen Wärmenetzen Großwärmepumpen der Multimegawattklasse sehen, die (…) den Vorteil eines Effizienzfaktors von über 4 gegenüber der Wasserstofflösung aufweisen.“

Prof. Dr. Mario Ragwitz, Leiter Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG, Cottbus

Birnbaum: Das Beste wäre, wenn man beim Wasserstoff oder Grüngas einen Pfad vorgibt, der langfristig klar ist, z.B. über stetig steigende Quoten, dann werden die Marktteilnehmer ihre Investitionsentscheidungen nach den jeweils günstigsten verfügbaren Technologien fällen. Wichtig dabei ist die Marktbasierung. Sollte man aber politisch der Versuchung unterliegen, neue Subventionstatbestände einzuführen, dann bitte mit automatischem Verfallsdatum, damit man nicht nochmals Jahre dafür kämpfen muss, damit sie wieder entfallen.

Reitz: Wenn man einen neuen Markt aufbauen will, muss man immer vier Dimensionen abdecken: Erzeugung, also im Falle des Wasserstoffs z.B. die Elektrolyse, dann die Transportseite, da wäre es falsch, eine parallele Infrastruktur aufzubauen. Das nächste wäre die Verbrauchsseite, die vorhin schon angesprochen wurde. Schließlich ebenso wichtig sind Handelsaspekte, d.h. die Akteure müssen miteinander Verträge abschließen und da ist es immer sehr hilfreich, wenn man Transparenz hat, wo sich die Preise bewegen. Und da kommt die Börse ins Spiel, die Transparenz schafft für neue Commodities und diese dann handelbar macht. Wie man einen Wasserstoffmarkt designen muss, damit er funktioniert wenn es noch keine globale Nachfrage und kein Angebot gibt, da stehen wir noch ganz am Anfang der Diskussion. Zeitlich gesehen wird es sicherlich keinen Big Bang geben, das wird schrittweise passieren und vielleicht fängt man mit regionalen Märkten an, weil es dort dann eine kritische Masse gibt, Akteure zusammen zu bringen.

„et“: Das zur Strategie und Politik. Aber wie stark bewegt Sie die Zukunft des Wärmemarktes im Sinne der Sektorenkopplung im Geschäftsalltag?

Birnbaum: Als großer Wärmeversorger beschäftigt uns diese Frage intensiv. Dabei ist die nationale Wasserstoffstrategie ein guter Ausgangspunkt. Katharina Reiche aus unserem Hause ist als Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates mittendrin. Wir haben uns positioniert und glauben, dass wir beim Wasserstoff nicht auf ein Nebeneinander der Strukturen setzen, sondern auf einen graduellen Übergang, z.B. mittels jährlich steigender Grüngasquoten, setzen sollten. Das wäre zumindest ein marktwirtschaftlicher Übergang, der technologieoffen die bestehende Infrastruktur nutzen würde. Wir haben verschiedene Strategien durchgerechnet, z.B. für eine Stadt wie Essen, wie wir im Haushaltswärmesektor zur Klimaneutralität kommen können. Im Ergebnis wurde deutlich, dass je nach Weg sehr unterschiedliche Kosten entstehen und dass es keinen Weg gibt, der günstiger ist als der bestehende. Die Frage ist dennoch, wieviel mehr?

Ragwitz: Das ist ein interessanter Punkt. Aus unseren Studien geht im Wärmemarkt eine klare Merit Order hervor: Die Gebäudehülle ist das A und O, das wird auch bei einem Großteil der Sanierungen die zentrale Maßnahme sein. Dann brauchen wir neue Wärmenetze und den Ausbau der bestehenden, weil wir damit immer mehr erneuerbare Energien in den Gebäudesektor hineinbekommen. Große solarthermische Anlagen mit Speichern sind sicherlich für einige Regionen eine vielversprechende technologische Option. Ansonsten werden wir in vielen Wärmenetzen Großwärmepumpen der Multimegawattklasse sehen, 10 MW und darüber, die Umweltwärme in die Netze speisen und die ganz einfach den Vorteil eines Effizienzfaktors von über 4 (WP-Jahresarbeitszahl 3, 70 % Wirkungsgrad Elektrolyse) gegenüber der Wasserstofflösung aufweisen. Bei bestimmten Klassen von Mehrfamilienhäusern im Gebäudebestand, z.B. im denkmalgeschützten Bereich, wird es dann aber schwierig, die effizientesten Optionen zu wählen, für die sind dann Wasserstoff-basierte Brennstoffe durchaus eine Option.

Andreae: Wasserstoff ist zweifelllos eine Säule unserer zukünftigen Energieversorgung. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir nun eine nationale Wasserstoffstrategie haben. Derzeit gibt es im Land noch verschiedene Strategien für den Norden bzw. einzelne Bundesländer. Hier brauchen wir eine Verzahnung. Grundsätzlich stellt sich die Frage, woher der benötigte Wasserstoff kommen soll und wo er eingesetzt werden soll. Bei den Anwendungsbereichen sollten wir neben der Industrie und dem Verkehrssektor den Wärmebereich nicht außer Acht lassen. Auch bei der Regulierung der Infrastruktur brauchen wir Anpassungen. Die Politik möchte zurzeit offenbar keine eigene Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen und das ist aus unserer Sicht auch richtig so. Denn aus Zeit- und Kostengründen ist es vernünftig, soweit wie möglich auf bestehende Strukturen aufzubauen. Das heißt, die vorhandene Gasinfrastruktur zu nutzen und anzupassen. Um Gasnetzbetreibern Transport und Verteilung von Wasserstoff in ihren Leitungen zu ermöglichen, braucht es aber eine Modernisierung des gesetzlichen Rahmens, insbesondere des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und der Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV).

„Der Emissionshandel ist das beste Instrument zur Emissionsreduktion, weil es in diesem System um Mengen geht. Denn mit einer Bepreisung von CO2-Emissionen allein löst man das Mengenproblem nicht. Es geht jetzt aus meiner Sicht insbesondere darum, das EU-ETS zu stärken und auszuweiten. Dafür müssen alle anderen politisch induzierten Energiepreisbestandteile wegfallen, damit wir den CO2-Preis nicht überstrapazieren und es für private und gewerbliche Verbraucher zu teuer wird. Denn wir haben ja schon jetzt eine schleichende Deindustrialisierung (…) und müssen aufpassen, dass es nicht zu einer extremen Verlagerung ins Ausland kommt.“

Sandra Weeser MdB, Obfrau Ausschuss für Wirtschaft und Energie, Berlin

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