Was ist positiv?

et: Welche Gedanken des Berichts begrüßen Sie?

Pittel: Ich sehe vor allem positiv, dass das Thema Klimaschutz wieder prominenter auf der politischen Agenda zu finden ist. Abzuwarten bleibt, inwieweit dies nur ein Strohfeuer darstellt. Für ebenso wichtig halte ich das steigende Bewusstsein dafür, dass es nicht nur Gewinner der Energiewende geben wird. Der Strukturwandel in den Kohlerevieren wird die Beschäftigungslandschaft verändern und soziale Härten mit sich bringen, insofern ihm nicht klug begegnet wird. Wie steinig dieser Weg sein kann, haben die schmerzhaften Erfahrungen der ehemaligen Steinkohlereviere gezeigt. Politischer Wille und finanzielle Mittel allein machen Regionen nun mal nicht automatisch interessant für Investoren.

Es bleibt zu hoffen, dass die Diskussion um den Kohleausstieg auch das Bewusstsein dafür schärft, dass ähnliche Prozesse – wenn auch nicht so regional konzentriert – auf andere Berufsgruppen zukommen. Nach vorne blicken ist wichtig, aber nach hinten zu schauen eben auch. Ansonsten drohen wir, Teile der Gesellschaft zurückzulassen.

et: In welchen Punkten bleibt die Kommission hinter ihrem Einsetzungsbeschluss zurück?

Pittel: Der Einsetzungsbeschluss forderte, einen Instrumentenmix zu entwickeln, „der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz zusammenbringt“. Aus meiner Sicht wurde dieser Auftrag spektakulär verfehlt. Im Abschlussbericht werden zwar detailreich Diskussionen wiederholt, die seit langem in Politik und Wirtschaft geführt werden. Eine klare Priorisierung fehlt allerdings. Nötig wäre die Formulierung einer klaren Hierarchie von Maßnahmen, angefangen von sektorübergreifenden Rahmenbedingungen bis hin zu gezielten unterstützenden Maßnahmen.

Momentan wird das Pferd quasi von hinten aufgezäumt: Die Feinsteuerung der Energiewende wird an einzelne Kommissionen delegiert, bevor ein grundsätzlicher Plan formuliert wurde. Solch ein umfassender Plan kann aber letztendlich nur durch die Bundespolitik angegangen werden. Entscheidungen in den Kommissionen werden zwangsläufig durch Partikularinteressen geprägt und Minimalkompromisse sind vorprogrammiert.

et: Welche energiepolitischen Chancen wurden mit dem Kohlekompromiss vertan, also was fehlt immer noch? 

Pittel: Der Kohlekompromiss hat das Denken in sektoralen Lagern leider weiter verstärkt. Die Chance wurde vertan, dieses Lagerdenken zu überwinden und umfassende Rahmenbedingungen für die Dekarbonisierung zu schaffen. Das heutige System an Steuern und Abgaben verzerrt die Energieträgerwahl erheblich und behindert zudem den Einstieg in die notwendige Sektorkopplung. Die Ökosteuer schlägt beispielsweise im Bereich privater Wärmeerzeugung mit 8-18 €/t CO2 zu Buche während Strom durch Stromsteuer, Emissionszertifikate und EEG-Umlage mit ca. 200 €/t CO2 belastet wird.

Die Schaffung eines einheitlichen CO2-Preises wäre hier ein wichtiger erster Schritt. Leider bleibt die Kohlekommission aber gerade in diesem Zusammenhang sehr zurückhaltend. Die Einführung einer allgemeinen CO2-Bepreisung auch dort, wo der Emissionshandel nicht greift, wird nur am Rande angesprochen, aber nicht dezidiert eingefordert.

Eine umfassende Reform des Steuer- und Abgabensystems sollte aber über eine reine CO2-Bepreisung hinausgehen. Belastungen durch andere Arten von Emissionen sollten ebenso systematisch eingepreist werden wie gesellschaftliche Kosten z.B. durch Staus und Unfälle. Momentan sind diese Kosten nur zum Teil oder nur unsystematisch erfasst. Um Doppelbelastungen zu vermeiden, wäre es am sinnvollsten, das gesamte Steuer- und Abgabensystem im Energiebereich neu aufzusetzen. Ergänzende Maßnahmen sollten nur gezielt und temporär begrenzt eingesetzt werden.

„Verzögern sich aufgrund des Kohleausstiegs Maßnahmen in anderen Sektoren, wird dies die langfristigen Kosten des Klimaschutzes weiter nach oben treiben. Studien der deutschen Wissenschaftsakademien ebenso wie des Bundes der deutschen Industrie gehen davon aus, dass die Mehrkosten einer Reduzierung der Emissionen um 85 % zwischen 500 und 2.000 Mrd. € betragen werden. Der Kohleausstieg lässt diese sowieso schon immensen Summen weiter ansteigen. Die 40 Mrd. € Strukturhilfen bis 2038 sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin geben wir bereits heute fast 25 Mrd. € pro Jahr für die Förderung der erneuerbaren Energien durch das EEG aus.“

Prof. Dr. Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, München

Ausgewogene Energiepolitik

e“: Wie könnte man die deutschen Klimaschutzziele erreichen, ohne das energiepolitische Zieldreieck stark zu verbiegen? 

Wichtig ist vor allem, Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit zusammenzudenken. Umweltverträglichkeit muss nicht notwendiger Weise zu Lasten der Wirtschaftlichkeit oder Versorgungssicherheit gehen. Eine Umstellung auf erneuerbare Energien vermindert beispielsweise die Abhängigkeit von Importen fossiler Ressourcen. Werden erneuerbare Energien, Back-Up-Kapazitäten und Speicher geschickt kombiniert, kann ein Anstieg von Blackout-Risiken vermieden werden.  

Wirtschaftlichkeit wiederum darf nicht pauschal mit „möglichst billig“ gleichgesetzt werden. Es geht vielmehr darum, die Kosten der Energieversorgung für die gesamte Volkswirtschaft möglichst gering zu halten. Diese Kosten umfassen aber eben auch Kosten durch Klimawandel und Umweltverschmutzung. Eine Reduktion von CO2-Emissionen oder Feinstaub gefährdet die Wirtschaftlichkeit also nicht per se. Entscheidend ist, mit welchen Maßnahmen die Klima- und Umweltziele erreicht werden sollen. Auswirkungen auf Energiepreise sind dabei unabänderlich. Momentan reflektieren unsere Energiepreise allerdings auch nicht die tatsächlichen Kosten für die Gesellschaft.

et: Das Bundesumweltministerium hat den Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Wie bewerten Sie diesen?

Pittel: Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre hinsichtlich der politischen Verbindlichkeit der Klimaschutzziele, halte ich ein Klimaschutzgesetz für sehr sinnvoll. Wichtig ist aus meiner Sicht insbesondere, dass auch die Zwischenziele bis 2050 in das Gesetz aufgenommen werden. Es liegt in der Natur des Menschen unangenehme Dinge aufzuschieben. Gefährden unpopuläre Maßnahmen politische Macht, verstärkt sich dieses Problem naturgemäß. Die Festschreibung von Zwischenzielen kann helfen, diese Probleme zu überwinden. Aus ökonomischer Perspektive ist dies schon deshalb sinnvoll, da sich die Kosten des Erreichens der Klimaziele bei immer weiteren Verzögerungen kontinuierlich erhöhen.  

Im Gegensatz zu den Gesamtzielen sollten die sektoralen Ziele mit hinreichender Flexibilität in das Gesetz integriert werden. Zwar muss das Gesetz den Anforderungen der Europäischen Kommission an die integrierten nationalen Energie- und Klimapläne gerecht werden, es sollte aber auch so weit wie möglich erlauben, Anpassungen der Sektorziele, z.B. aufgrund technologischer Entwicklungen, vorzunehmen.

Beitrag als PDF downlaoden


Aktuelle Zukunftsfragen Archiv Zukunftsfragen

„et“-Redaktion
2 / 2

Ähnliche Beiträge