Anton Koller, Divisional President Danfoss District Energy & Buildings, sagt über Fernwärme: "Wir haben eine nachhaltige Energieinfrastruktur, kreieren lokale Jobs und sind auf einem guten Weg in Richtung Dekarbonisierung"

Anton Koller, Divisional President Danfoss District Energy & Buildings, sagt über Fernwärme: "Wir haben eine nachhaltige Energieinfrastruktur, kreieren lokale Jobs und sind auf einem guten Weg in Richtung Dekarbonisierung" (Bildquelle: Danfoss)

EHP: Die derzeitige Pandemie hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft. Durch die krisenbedingte Konjunkturabschwächung hatten wir 2020 aber auch einen Rückgang der weltweiten Energienachfrage und damit einen Rückgang der CO2-Emissionen. Was muss Ihrer Ansicht nach bei der Neubelebung der Wirtschaft hinsichtlich des Klimawandels beachtet werden?

Koller: Es ist wichtig, dass die Belebung der Wirtschaft nicht durch reines Konsumverhalten geschieht, denn dann würde es Aufhol-Tsunamis an CO2 geben. Vielmehr muss ein Impuls zur Nachhaltigkeit gesetzt werden. Und dieser Impuls zur Nachhaltigkeit sollte sicher über die Infrastruktur und die Gebäude laufen, wo man einfach auf eine nachhaltige Energieinfrastruktur aufbauen kann. Das sind meiner Meinung nach sehr sinnvolle Konjunkturprogramme, weil Investitionen in Infrastrukturen langfristig einen sehr guten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Return-of-Investment haben: Es werden sehr viele Jobs kreiert, was sicherlich jetzt auch ein ganzer großer Schwerpunkt sein muss, weil einfach viele, viele Jobs verloren gegangen sind.

EHP: Welche Rolle spielt dabei die Fernwärme – zum einen in wirtschaftlicher Hinsicht und zum anderen angesichts des Klimawandels?

Koller: Fernwärme ist eine nachhaltige Energieinfrastruktur. Wenn man die Fernwärme so versteht, dann ist es ziemlich klar, dass Investitionen in diesen Bereich sich auf jeden Fall auszahlen und Fernwärme einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende liefert. Fernwärme trägt dazu bei, dass die Wertschöpfung der Energie lokal stattfindet. Langfristig werden alle fossilen Energieträger, die wir importieren, durch erneuerbare Energien und das Nutzen von Abwärme ersetzt. Und dazu ist natürlich die Fernwärme die richtige Infrastruktur. Das heißt, dass mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Wir haben eine nachhaltige Energiein­fra­struktur, kreieren lokale Jobs und sind auf einem guten Weg in Richtung Dekarbonisierung.

EHP: Welche Bedeutung kommt dabei den Städten zu?

Koller: Ich glaube, dass die Städte im Prinzip die Vorreiter sind. Seitens der Politik – ob jetzt Europäische Union oder die einzelnen Mitgliedstaaten – werden hinsichtlich des Klimawandels viele anspruchsvolle Ziele vorgegeben. Aber wo passiert wirklich etwas? – In den Städten! Nehmen Sie beispielsweise Kopenhagen: Die Stadt will bis 2030 CO2-neutral sein. In den Städten findet  die Veränderung wirklich statt. Ich glaube, dass das ganz wichtig ist, weil die Veränderung die Leute erreichen muss – und zwar dort, wo sie es wirklich erleben. Zudem sind Städte die größten Energieverbraucher, und in ihnen findet auch das größte Wachstum statt. Die Urbanisierung hat sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Wir haben inzwischen Megastädte mit über 15 Millionen Einwohnern. Da ist es um so wesentlicher, dass die Infrastrukturen nachhaltig sind, und da zählen Fernwärme und Fernkälte einfach dazu.

EHP: Sie sprachen bereits die Vorgaben seitens der Politik an. Die EU hat den Green Deal beschlossen. Wie bewerten Sie diesen?

Koller: Also, wir bewerten den Green Deal sehr sehr positiv. Es ist ein extrem gutes Signal, dass in diesem ein ambitioniertes Programm enthalten ist und dass wirklich das Ziel ausgegeben wird, dass Europa bis 2050 klimaneutral wird. Das ist wirklich gut. Ich glaube auch, um den Bogen ein bisschen weiter zu spannen, dass es gut ist, dass die USA jetzt zum Pariser Klimaschutzabkommen zurückkommen. Damit arbeiten China, die USA und Europa an der Energiewende. Es gibt sicherlich verschiedene Geschwindigkeiten und Ausprägungen, wie das zu schaffen ist, aber es gibt keine alternative Erzählung mehr. Vielmehr gibt es eine Diskussion, wer schneller ist. Und dann ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn wir vorne dabei sind. Deshalb ist Europa gut beraten, die Energiewende voranzutreiben – und das auch mit führenden Technologien.

EHP: Bleiben wir bei politischen Entscheidungen: Welche Auswirkungen hat die Renovation Wave für die Fernwärme?

Koller: Ich glaube, dass die Renovation Wave sehr positive Auswirkungen für die Fernwärme haben kann, vor allem für die Fernwärmeversorger, weil es im Prinzip eine große Möglichkeit ist, mehr Kunden an die Fernwärme anzuschließen. Wir haben in vielen Ländern jetzt klare Direktiven weg vom Gas, weg vom Öl. Dadurch ergeben sich potenzielle Neukunden für die Fernwärmeversorger. Zudem sollen mit der Renovation Wave Energieverbräuche reduziert werden, das heißt, dass die Fernwärme mit der gleichen Wärmeproduktion, die sie heute hat, mehr Kunden anschließen kann.

EHP: In diesem Zusammenhang gibt es aber auch noch die thermische Sanierung ...

Koller: Darauf wurde in den letzten Jahren viel gesetzt. Aber die thermische Sanierung hat eine lange Pay-back-time bzw. die Return-of-Investments benötigen viel Zeit – zehn Jahre und mehr. Wenn man sich jedoch an die Regeltechniker wendet – und das ist jetzt sehr interessant –, dann hat man einen Return-of-Investment von drei bis fünf Jahren. Das ist natürlich ex­trem attraktiv.

EHP: Die europäische Fernwärmebranche hat die Dekarbonisierung der Fernwärmenetze bis 2050 versprochen. Wie ist das zu schaffen?

Koller: Ich glaube, dass das sehr gut zu schaffen ist. Wir haben – zusammen mit Engie – bei einer Studie der Universität Aalborg mitgewirkt, die genau diese Fragen untersucht, und wir haben darin einen Weg aufgezeigt, wie das bis 2050 möglich ist. Es gibt bereits positive Beispiele, wie sich das umsetzen lässt, z. B. durch die Nutzung von Überschussstrom mit Wärmepumpen oder mit Power-to-Heat-Anlagen und Wärmespeichern. Es gibt auch Fernwärmeversorger, die mit Biomasse, Geothermie oder Solarthermie daran arbeiten, eine Fernwärmeversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Und was in Zukunft von großer Bedeutung sein wird, ist die Nutzung der Abwärme – und zwar die Nutzung der Abwärme aus alternativen Prozessen, nicht von Kraftwerken. Wenn man sich allein anschaut, wie viel Megawatt ein Datencenter verbraucht ... Und diese Megawatts werden zu 99,9 Prozent in Wärme umgesetzt. Wärme, die sich nutzen lässt.

EHP: Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die Fernwärme?

Koller: Also, über die Digitalisierung in der Fernwärme könnte ich ewig reden. Aber der größte Vorteil ist, dass die Digitalisierung der Fernwärme sehr große Kosteneinsparungen bringen wird. Wir reden von sehr großen Energieeffizienzsteigerungen. Kunden bestätigen uns, dass sich mit der Digitalisierung von der Erzeugung bis zum Verbraucher bis zu neun Prozent der Primärenergie einsparen lässt. Das sind Bereiche, über die wir uns vor etlichen Jahren noch nicht einmal getraut hätten, zu sprechen. Aber das sagen jetzt nicht wir als Unternehmen Danfoss – das sagen unsere Kunden, die das in der täglichen Praxis sehen.

EHP: Und wenn wir nicht die gesamte Versorgungskette betrachten, sondern nur die Gebäudeseite, wie sind da Ihre Erfahrungen?

Koller: Wenn wir Projekte umsetzen, bei denen wir nur die Gebäudeseite mit Sensoren abbilden, um den Verbrauch richtig genau verfolgen zu können, sehen wir Einsparnisse von allein 15 Prozent. Und das sind schon sehr große Fortschritte. Wenn wir die Kunden besser verstehen, dann können wir ein Haus auch als Wärmespeicher verwenden.

EHP: Was hat das für Vorteile?

Koller: Wir können die Spitzen am Morgen wesentlich flacher gestalten und glätten, weil wir eben das Verhalten der Häuser viel besser verstehen. Und ein ganz einfaches Beispiel, das jeder versteht, ist die berühmte Heizkurve. Diese wird immer zu hoch eingestellt, weil alle fürchten, dass es am Ende zu kühl sein könnte. Und was macht die Digitalisierung damit? Wir haben die Daten vom Wetter, wir haben Daten von Temperaturen, von Windeinwirkung, von Feuchtigkeit usw. und können damit zu jedem Zeitpunkt die richtige Vorlauftemperatur für ein Gebäude oder für eine Wohnung zur Verfügung stellen, weil wir eben auch über die Zeit mit unseren Algorithmen das Wärmeverhalten des Gebäudes verstehen – und zwar jedes einzelnen Gebäudes. Jedes Gebäude hat ein individuelles Wärmeverhalten, und dieses lernen wir mit unseren Algorithmen kennen. Das ist sehr aussagekräftig und sehr genau.

EHP: Aber stoßen die Fernwärmeversorger nicht gerade bei Gebäuden an eine Grenze, die Eigentumsgrenze? Die Hausanschlussstationen befinden sich häufig im Besitz der Gebäudeeigentümer, wodurch eine Digitalisierung erschwert wird. Wie können die Kunden mitgenommen werden? Wie können Versorger Zugriff auf Hausanschlussstationen erhalten?

Koller: Wir haben unterschiedliche Konzepte. Bei einem unserer Konzepte werden die Sensoren in der Wohnung angebracht, wenn der Kunde zustimmt. Aber wir haben auch Konzepte, bei denen nur die Stationen im Gebäude geregelt werden. Die rechtlichen Gegebenheiten sind sehr unterschiedlich – je nach Fernwärmenetz. Es gibt viele Fernwärmenetze, bei denen die Station Eigentum des Hauseigentümers ist, und es ist nur Zugriff auf den Regler nötig. Das lässt sich ganz einfach mit einer Vereinbarung im Abnahmevertrag lösen. Zudem bietet sich für Energieversorger auch die Möglichkeit des Energiecontractings, bei dem diese ganz gezielt das Management dieser Stationen übernehmen. Einerseits, um Zugriff auf einige Gebäudeenergiedaten zu erhalten, andererseits aber auch, um den Kunden einen wesentlich besseren Service zu bieten.
 
EHP: Danfoss bietet nicht nur Produkte für die Fernwärmebranche, sondern bringt sich vielfältig mit ein. Danfoss ist AGFW-Mitglied und auch Mitglied bei Euroheat & Power. Dort sind Sie sogar seit 2018 im Vorstand tätig. Warum? Inwiefern ist es für Danfoss wichtig, sich im europäischen Dachverband zu engagieren?

Koller: Für uns ist es wichtig, weil wir Fernwärme nicht nur als Produkt sehen, für das wir Komponente anbieten. Es ist wichtig, dass wir einen Beitrag leisten, den Klimawandel zu bekämpfen und die Energiewende voranzubringen. Und da ist das Verständnis, was Fernwärme und eine nachhaltige Infrastruktur auf der Energieseite bewirken kann, ganz wesentlich. Deswegen bringen wir uns bei Euroheat & Power ein. Es ist uns wirklich eine Herzensangelegenheit, bei der Energiewende voranzuschreiten und die Energiewende mit einigen maßgeblichen Verbänden mitzugestalten. Wir haben auch im Konzern Ziele: Beispielsweise wollen wir in unserem Headquarter in Nordborg 2022 CO2-neutral sein und bis 2030 als Gesamtkonzern. Auch mit unseren Produkten wollen wir einen positiven Beitrag leisten. Wenn Sie sich unsere Produkte anschauen, dann ist der rote Faden, der sich überall hindurchzieht, Energieeffizienz in allen möglichen Anwendungen, nicht nur in der Wärme. Also, das ist wirklich unsere DNA, und deswegen ist es ein sehr wichtiges Thema für uns.

EHP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koller.

Silke Laufkötter

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