Energiewende: Durch den Kohleausstieg wird Vattenfall mit Abstand den größten Einzelbeitrag hinsichtlich der CO2-Reduktion im Land Berlin leisten, erläutert Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme

Durch den Kohleausstieg wird Vattenfall mit Abstand den größten Einzelbeitrag hinsichtlich der CO2-Reduktion im Land Berlin leisten, erläutert Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme (Bildquelle: Laufkötter)

EHP: Das neue Heizkraftwerk Marzahn, das Sie Anfang Juni in Betrieb genommen haben, soll dazu beitragen, die CO2-Emissionen in Berlin zu reduzieren. Inwiefern? Wie groß ist sein Beitrag?

Wielgoß: Mit jährlich 240 000 t CO2-Einsparung ist sein Beitrag ziemlich beachtlich. Es handelt sich vor allem um den letzten Baustein, mit dem wir unser Versprechen von 2009, unsere Emissionen bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990 zu halbieren, erfüllen. Wir haben in Berlin die CO2-Emissionen von 13,4 Mio. t auf unter 6 Mio. t reduziert und damit die Klimaschutzvereinbarung mit dem Land Berlin übererfüllt.

EHP: Ihre Ziele gehen noch weit über die Klimaschutzvereinbarung hinaus: Vattenfall will innerhalb einer Generation ein Leben frei von fossilen Brennstoffen ermöglichen. Deshalb haben Sie gemeinsam mit dem Land Berlin die Machbarkeitsstudie „Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“ in Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kommt, dass der Kohleausstieg in Berlin bis spätestens 2030 machbar ist. Wie viel TWh Wärme werden derzeit mit Kohle erzeugt? Und wie viel CO2 könnte jährlich durch den Ersatz von Steinkohle eingespart werden?

Wielgoß: Im Moment sind es zwischen 2,5 und 3 TWh. Es hängt ja immer ein wenig vom Wetter und den Rahmenbedingungen insgesamt ab. Wenn wir 2030 ganz aus der Kohle ausgestiegen sein werden, werden wir dadurch jährlich 2 Mio. t CO2 einsparen. Das Land Berlin selbst will bis 2030 die CO2-Emissionen von 17 Mio. auf 11 Mio. t herunterbekommen, also um 6 Mio. t reduzieren. Das bedeutet, dass wir mit Abstand den größten Einzelbeitrag leisten.

EHP: Wie wollen Sie den Ausstieg aus der Kohle erreichen? Welche Rollen spielen dabei Abwärme, erneuerbare Energien, Wärmepumpen usw.?

Wielgoß: Wir haben uns das in einem zweijährigen Prozess angeschaut und dabei jede Technologie, die auf dem Markt vorhanden ist, näher beleuchtet und zwar zum einen unter dem Gesichtspunkt, ob es generell machbar ist, und zum anderen mit Blick darauf, was denn in Berlin möglich ist.

EHP: Welche Besonderheiten müssen in Berlin beachtet werden?

Wielgoß: Wir haben in Berlin besondere Herausforderungen, weil es hier – anders als beispielsweise in Hamburg oder im Ruhrgebiet – besonders wenig Industrie gibt. Das heißt, dass wir industrielle Abwärme in nennenswerten Größenordnungen nur bei der Berliner Stadtreinigung haben, die eine große Müllverbrennungsanlage betreibt, oder in Teilen noch bei den Berliner Wasserbetrieben. Das war’s schon im Großen und Ganzen. Dann kommt die eine oder andere Kaffeerösterei oder Bayer dazu; aber da bewegen wir uns im Maximalfall bei 10 MW. Und wenn Sie bedenken, dass wir 5 500 MW Wärmeleistung in Berlin versorgen müssen, dann müssen wir schauen, wie kleinteilig sich das im Endeffekt organisieren lässt.

EHP: Wie steht es mit erneuerbaren Energien?

Wielgoß: Geothermie, die z. B. in München eine große Rolle spielt, ist hier aufgrund der geologischen Bedingungen und des Gewässerschutzes nicht ideal. Funktioniert also auch nur in Grenzen. Ein riesiger Vorteil im Vergleich zu anderen wäre das Umland mit der Produktion von Wind- und auch Solarenergie. Wir glauben daran, dass Stadt und Land zusammenarbeiten müssen. Wir haben letztes Jahr Europas größte Power-to-Heat-Anlage mit 120 MW eingeweiht. Allerdings müssen dazu der Windenergieausbau und der entsprechende Netzausbau auch tatsächlich vorangehen.

EHP: Wie sieht denn nun Ihr Kohleausstiegskonzept aus?

Wielgoß: Wir sind zu einem wirklich flexiblen Gesamtkonzept gekommen, das zu 40 % aus regenerativen Energien besteht, also Abwärme, Power-to-Heat, und dann wollen wir mal gucken, was in Geothermie trotz der nicht so günstigen Rahmenbedingungen  geht. Die übrigen 60 % erzeugen wir in hybriden Kraft-Wärme-Kopplungs-(KWK-)Anlagen, wobei wir darauf setzen, dass wir künftig mit Wasserstoff tatsächlich noch weiterkommen.

EHP: Warum setzen Sie auf gasgefeuerte KWK-Anlagen?

Wielgoß: Wenn wir die Kohle ersetzen wollen – und wir reden von 17 GW in ganz Deutschland, die ersetzt werden müssen, – dann gibt es da eine sehr effiziente Lösung: Das ist die KWK. Da muss richtig viel passieren. Wir sind sehr froh, dass die Bundesregierung auf dieses Instrument tatsächlich auch setzt. Nur über das KWK-Instrument und mehr Fern- bzw. Stadtwärme in größeren urbanen Räumen werden wir überhaupt die Ziele 2030 erreichen.

EHP: Gasgefeuerte KWK-Anlagen können eigentlich nur ein Zwischenschritt sein, denn innerhalb einer Generation – also bis 2050 – soll es keine fossilen Brennstoffe mehr geben. Was geschieht mit Kraftwerken wie Marzahn bis dahin? Kann Marzahn mit erneuerbaren Gasen bzw. Wasserstoff betrieben werden? Und wie steht es mit den anderen gasbetriebenen Kraftwerken?

Wielgoß: Wir sind da wie alle anderen in der Findungsphase. Mittlerweile forscht die ganze Weltgemeinschaft an den Themen Wasserstoff; aber auch Biogase, synthetische Gase usw. sind von Interesse. Ich bin mir sicher, dass es ab 2030 Lösungen geben wird. Allein bei uns im Haus sind so viele kluge Köpfe unterwegs. Wir schauen uns an, was
in Japan bei Mitsubishi passiert; wir schauen natürlich in die Niederlande: Groningen ist im Moment der Topstandort für Wasserstoff. In Marzahn könnten wir selbst schon erste Schritte in Richtung Wasserstoff gehen. Dies ist eine Gemeinschaftsaktivität, die wir gerne mit der TU Berlin, mit Siemens, mit dem Land Berlin und am besten noch mit dem Bundeswirtschaftsministerium angehen würden.

EHP: Wie wichtig ist das Kohleausstiegsgesetz für Vattenfalls Kohleausstieg?

Wielgoß: Es ist sehr wichtig. Bereits das alte KWK-Gesetz war ein wichtiger Baustein für unsere Wärmewende. Aufgrund dieses Gesetzes und dessen Mechanismen konnten wir die Anlage in Marzahn bauen. Jetzt geht es mit dem Kohleausstieg nochmal einen Schritt weiter. Die jetzt angepasste Laufzeit sowie die im Vergleich zu ersten Entwürfen angepassten Fördersätze haben die Rahmenbedingungen weiter verbessert. Das ist auch notwendig. Ohne viel mehr KWK bekommen wir die Energie- und Wärmewende nicht hin.

EHP: Wie meinen Sie das?

Wikgoß: Wenn wir uns beispielsweise Marzahn anschauen, haben wir einen sehr großen Teil der Wertschöpfung hier in Berlin. Wir selbst decken die gesamte Prozesskette von der Erzeugung über den Transport bis hin zur Kundenbetreuung ab. Die Gasturbine der KWK-Anlage wurde in Berlin-Moabit hergestellt, die Leittechnik in der Siemensstadt und die Dampfturbine – das ist das Konjunkturprogramm für Deutschland – in Görlitz. Das heißt, es werden Arbeitsplätze der Zukunft in Deutschland mit dem Geld gefördert und dabei gleichzeitig Klimaschutz betrieben. Hier finden sich  alle Zutaten, die ein gutes Förderprogramm, nach dem in diesen Zeiten alle Ausschau halten, enthalten sollte.

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