»Bis 2030 wird jeder Kunde von der Industrie Gasturbinen bekommen können, die mit 100 Prozent Wasserstoff laufen«, sagt Ralf Wezel

"Bis 2030 wird jeder Kunde von der Industrie Turbinen bekommen können, die mit 100 Prozent Wasserstoff laufen", sagt Ralf Wezel (Bildquelle: Silke Laufkötter)

EHP: Nach dem Atomausstieg ist jetzt auch der Kohleausstieg beschlossene Sache. Die Energieversorger setzen in den letzten Jahren bereits verstärkt auf Gaskraftwerke, weil diese emissionsärmer sind als Kohlekraftwerke. Aber letztendlich ist Erdgas wie Kohle ein fossiler Energieträger. Befürchten Sie den Ausstieg aus dem Gas?

Wezel: Ein Ausstieg aus dem Gas ist ein Szenario, was von einigen Leuten in der Energiepolitik diskutiert wird, die dann meistens Gas mit Erdgas gleichsetzen. Diese Diskussion haben wir auch sehr stark auf europäischer Ebene geführt. Inzwischen hat es sich durchgesetzt, dass es einen Nutzen des Gasnetzes gibt, dass es aber eine Dekarbonisierung braucht, um mit den 2050-Zielen der Klimaneutralität auf europäischer Ebene zusammenkommen zu können. Es wird zu dieser Dekarboniserung kommen.

EHP: Welche Technologie steht uns heute schon zur Verfügung? Inwiefern können wir bereits auf erneuerbare bzw. synthetisch hergestellte Gase zurückgreifen?

Wezel: Gaskraftwerke laufen in aller Regel noch mit Erdgas, weil das der aktuell verfügbare Energieträger ist. Es gibt aber im kleineren Bereich durchaus Anlagen, die mit Biogas bzw. Biomethan laufen. Das ist bekannte Technik, die funktioniert. Darüber hinaus gibt es Turbinen, die beispielsweise im Stahlwerk eingesetzt werden, wo wir eine völlig andere Zusammensetzung des Gases haben, die z. B. schon einen höheren Anteil Wasserstoff enthalten. Zudem können wir natürlich synthetisches Methan verwenden, das in der Zusammensetzung identisch mit Erdgas ist. Davon gibt es nur relativ wenig.

EHP: Wenn ich mich heute entschließe, ein Gaskraftwerk zu bauen, kann ich dann Turbinen dafür einsetzen, die mit synthetischem Methan, Biogas oder mit Wasserstoff betrieben werden oder nur teilweise?

Wezel: Beim Kraftwerksneubau wird mit dem Kraftwerksbetreiber ein Vertrag geschlossen, in dem eine festgelegte Gaszusammensetzung vereinbart wird. Darauf wird die Turbine optimiert. Die Betreiber lassen sich heute von den Herstellern häufig eine gewisse Flexibilität zusichern, z. B. dass bis zu fünf Prozent Wasserstoff beigemischt werden können. Oft ist auch mehr möglich. Zudem gibt es Lösungen, dass die Turbine heute mit 100 Prozent Biomethan betrieben werden kann. Das ist keine Hexerei mehr.

EHP: Wenn ich jetzt investiere, wie sicher bin ich dann, dass ich das Kraftwerk auch in Zukunft betreiben kann?

Wezel: Das Risiko ist eigentlich gleich Null. Wir als Industrie haben die Zusage gemacht, dass ab nächstem Jahr Turbinen, die in Europa verkauft werden, bis zu 20 Prozent Wasserstoff vertragen können. Alte Kraftwerke können nachgerüstet werden. Daran arbeiten alle Hersteller im Moment mit Hochdruck. Es ist möglich, eine Beimischung bis zu 20 Prozent Wasserstoff mit relativ geringem Aufwand in den Turbinen zu bewältigen. Dazu muss nicht die Turbine ausgetauscht werden, sondern da lässt sich sehr viel mit Software machen, indem die Verbrennung neu optimiert wird. Auch bei höheren Wasserstoffanteilen muss nicht die ganze Turbine getauscht werden.

EHP: Das ist eine Zusage der Gasturbinenindustrie. Ihre Zusagen gehen aber noch über das Jahr 2020 hinaus ...

Wezel: Richtig. Bis 2030 wird jeder Kunde von der Industrie Turbinen bekommen können, die mit 100 Prozent Wasserstoff laufen. Wahrscheinlich wird nicht die komplette Produktpalette für Wasserstoff bereitstehen, weil es nicht für alles eine Nachfrage geben wird. Die Entwicklung einer neuen Turbinengeneration ist sehr kostspielig und lohnt sich für die Hersteller nur, wenn es eine Nachfrage gibt. Ein Kunde, der eine 100-Prozent-Wasserstoff-Turbine für eine Anwendung haben will, wird ab 2030 auch eine Turbine dafür bekommen. Das ist unsere Zusage. Wir sind bereit.


"Mit erneuerbaren Gasen können wir verlässliche erneuerbare Energie erzeugen"


EHP: Das ist ein gutes Signal. Aber wird dann ausreichend Wasserstoff zur Verfügung stehen? Wo nehmen wir diesen her?

Wezel: Ich glaube, dass es alle Quellen für erneuerbare Gase brauchen wird. Dazu gehört beispielsweise Biomethan. Es gilt zu überlegen, ob man von den dezentralen, nicht ans Gasnetz angeschlossenen kleinen Biogasanlagen wegkommt hin zur Einspeisung von Biomethan ins Netz. Das andere ist aber ganz klar auch Power-to-Gas, was im Moment viel diskutiert wird, aber wo natürlich die Mengen auch noch nicht ausreichend vorhanden sind. Deshalb muss zunächst auch überlegt werden, ob man für eine Übergangszeit nicht nur erneuerbaren Wasserstoff nutzt, sondern auch den blauen, um die Mengen erstmal zu erreichen. Denn wir werden in den nächsten Jahren eine starke Nachfrage nach Wasserstoff bekommen.

EHP: Was müsste seitens der Politik dafür getan werden?

Wezel: In den letzten Jahren hatten wir eine Strommarktreform. Aber jetzt steht eine Gasmarktreform auf der Agenda. Damit müssen Vor­aussetzungen für die Dekarbonisierung geschaffen werden, so wie man diese auf der Stromseite auch geschaffen hat. Es wird durchaus zu diskutieren sein, ob die Politik nicht auch Ziele vorgibt, so wie sie für Energieeffizienz oder für den Ausbau erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung gesetzt wurden, um so einen Pfad zu entwickeln und damit eine gewisse Verlässlichkeit der Entwicklung herbeizuführen, damit Investitionen stattfinden.

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