Stefan Kapferer: Bei der Versorgungs­sicherheit werden wir mit dem baldigen Ausstieg aus der Kernenergie und dem beschlossenen Kohleausstieg auch die Frage nach Erzeugungs­kapazitäten auf der Tagesordnung haben.

Stefan Kapferer: Bei der Versorgungs­sicherheit werden wir mit dem baldigen Ausstieg aus der Kernenergie und dem beschlossenen Kohleausstieg auch die Frage nach Erzeugungs­kapazitäten auf der Tagesordnung haben. (Quelle: Jan Pauls/50Hertz)

Herr Kapferer, Sie haben in den vergangenen drei Jahren die Energiewende aus Sicht des Branchenverbands BDEW begleitet. Jetzt sind Sie CEO eines der größten Mitgliedsunternehmen des BDEW. Wie hat sich Ihre Perspektive verändert? 

Kapferer: Die nächste Phase der Energiewende wird immer stärker zu einer unternehmerischen Herausforderung. Da freue ich mich, auf dieser Ebene aktiv sein zu können. Nach wie vor sind die Übertragungsnetzbetreiber zwar von politischen Weichenstellungen abhängig. Aber jetzt geht es um »hands on«. Hier im Unternehmen werden die Auswirkungen der Energiepolitik konkret: Alle Entscheidungen haben betriebswirtschaftliche Konsequenzen, mit denen wir umgehen müssen. Dabei habe ich jetzt die Chance, kosteneffiziente Lösungen für ein bestimmtes politisches Ziel zu finden und so die Interessen des Unternehmens und der Gesellschaft zu verbinden. 

Außer Ihrer Position als CEO von 50Hertz gehören Sie auch dem Elia-Group-Committee an. Welche Rolle spielt Europa bei Ihren Entscheidungen?

Kapferer: Als binationales Unternehmen richten wir uns in der Elia Group europäisch aus und bringen dies mit den jeweils nationalen Anforderungen zusammen. Ohnehin pflegen wir als Übertragungsnetzbetreiber traditionell eine enge Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, denn der Stromtransport endet ja nicht an der Landesgrenze.

Derzeit verändert sich der gesetzliche Rahmen massiv: Die Umsetzung des Kohleausstiegs und des Klimapakets sowie der massive Ausbau der Netze stehen an. Den Kohlekompromiss haben Sie seinerzeit für den BDEW mitverhandelt. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für 50Hertz?

Kapferer: Für uns als 50Hertz ist es eine zentrale Frage, wie sich der Großkraftwerkspark in unserem Netzgebiet entwickelt. Nach den Empfehlungen der Kohlekommission sind erste Maßnahmen für das Lausitzer Revier für Mitte der 2020er Jahre und für das Mitteldeutsche Revier noch später vorgesehen. Darauf stellen wir uns mit der Netzinfrastruktur ein. Falls bei Gesprächen zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und den Unternehmen eine andere Zeitachse verabredet werden sollte, müssten wir das anpassen. 

Mit dem Ausstieg aus Kernenergie und Kohle fallen einige Kraftwerkskapazitäten weg. Wie wirkt sich das auf die Versorgungssicherheit aus?

Kapferer: Eine Diskussion über sichere Ersatzkapazitäten und die Systemstabilität halte ich für sehr wichtig. Dies wird inzwischen auch im Bundeswirtschaftsministerium so gesehen. Als 50Hertz sind wir jedoch in einer komfortableren Situation als andere Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg, wo in Kürze die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Grundsätzlich haben wir als Übertragungsnetzbetreiber eine Verantwortung für die Stabilität des Systems und diese kann auch mit Strom aus den Nachbarländern sichergestellt werden. 

Das Klimapaket setzt auf den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Worauf stellen Sie sich ein?

Kapferer: Schon heute beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in unserem Netzgebiet über 56 %. Mit Blick in die Zukunft ist entscheidend, welche Auswirkungen das Klimapaket der Bundesregierung mit einem eher restriktiveren Element beim Onshore-Windenergieausbau und einer Anhebung der Zielwerte beim Offshore-Windenergieausbau auf den Investitionsbedarf hat. Relevant für unsere Investitionsentscheidungen ist, was letztlich im Gesetz steht. 

Als einer von vier Übertragungsnetzbetreibern hatte 50Hertz immer eine etwas herausgehobene Position innerhalb der Branche. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Verteilnetzbetreibern?

Kapferer: Wir arbeiten sehr gut zusammen und ich habe gerade jetzt in meiner Anfangsphase viele Termine mit den Verteilnetzbetreibern vor Ort. Ich kenne natürlich die Diskussionen aus meiner früheren Tätigkeit, die aber überwunden sind. Inzwischen gibt es auf allen Spannungsebenen gleichermaßen die Notwendigkeit, flexibel auf die fluktuierende Einspeisung zu reagieren. 

Mit der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung kommt nun ein weiterer Weg zur Dekarbonisierung hinzu. Welche Perspektiven ergeben sich daraus?

Kapferer: Ich hoffe, dass wir jetzt bei der infrastrukturellen Sektorenkopplung einen Schritt weiterkommen. Dazu gehört, den Ausbau der Strom- und Gasnetze gemeinsam zu planen. Für uns stellt sich zunächst die Frage, ob die Bundesregierung in Zukunft die Dekarbonisierung von industriellen Prozessen über Wasserstoff herstellen will oder die aus erneuerbaren Energien erzeugten Strommengen direkt dorthin transportiert werden sollen. Wenn Elektrolyseure an der Küste stehen und mit den Windparks verbunden werden, brauchen wir eine andere Netzinfrastruktur als bei überwiegendem Wasserstoffimport aus dem Ausland. 

Sind solche Varianten der Sektorenkopplung bereits in den Netzentwicklungsplänen der Bundesnetzagentur berücksichtigt?

Kapferer: In einem Szenario des Netzentwicklungsplans 2019 sind 2 GW von Power-to-Gas-Anlagen berücksichtigt. Das ist aber nur eine geringe Menge. Eine größere Bedeutung von Wasserstoff muss noch mit der Bundesnetzagentur diskutiert werden, um die Leitungssituation und die Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen Strom- und Gasnetz daraufhin weiterentwickeln zu können. Die eigentliche Herausforderung einer stärkeren Nutzung von Wasserstoff sind aber die anstehenden Investitionen in die Gasnetze, um diese auf einen reinen Wasserstofftransport vorzubereiten. 

Wo sehen Sie die aktuellen Schwerpunkte für 50Hertz bei der Umsetzung der Energiewende?

Kapferer: 50Hertz hat bei der Einbindung der erneuerbaren Energien immer eine Vorreiterrolle gespielt. Systemstabilität und Systemsicherheit bleiben auch weiterhin eine Herausforderung. Um die Strommengen integrieren zu können, arbeiten wir daran, die Auslastung des Bestandsnetzes durch neue Technologien weiter zu erhöhen. 

Wie ist der Stand bei den derzeitigen Neubauprojekten in Ihrem Übertragungsnetz?

Kapferer: Für die Trasse des Berliner Nordrings haben wir die Genehmigung vorliegen und mit dem Bau begonnen. Allerdings hat die Gemeinde Birkenwerder dagegen geklagt. Der östliche Teil der Leitung ist bereits im Probetrieb. Bei dem großen Gleichstromprojekt an Land, dem SuedOstLink von Sachsen-Anhalt nach Bayern, liegen wir im Plan: Für diese Nord-Süd-Verbindung steht der Vorzugskorridor von 1 000 m für den Bereich Thüringen und Sachsen fest und wir planen jetzt den 50 bis 60 m breiten Korridor für die Verlegung der Kabel. Einige Gemeinden haben sich auf der Strecke sogar für eine Freileitung ausgesprochen.

Was steht offshore an?

Kapferer: In der Ostsee werden wir 2020 ein binationales Projekt ans Netz bringen, das zwei Strommärkte verbindet. Über die Combined Grid Solution auf See haben wir die Windparks Baltic 2 und Kriegers Flak mit dem deutschen und dänischen Stromnetz verbunden. Kriegers Flak läuft derzeit in der Testphase. 

Astrid Sonja Fischer

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