
Die Idee hinter dem Forschungsprojekt Helios: Eine Kombination aus Wolkenkamera und KI weiß schon im Voraus, wieviel Strom eine PV-Anlage erzeugen wird und speichert ihn rechtzeitig. (Bildquelle: Andreas Boschert/TH Rosenheim)
Prof. Dr.-Ing. Grit Behrens ist am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI) im Lehrgebiet Angewandte Informatik tätig. „Ich beschäftige mich eigentlich immer mit Umweltinformatik“, sagt sie. „Mein Steckenpferd ist das maschinelle Lernen auf Zeitreihen. Ich trainiere neuronale Netzwerke darauf, aus Daten der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft abzuleiten.“ Genau damit kommt Behrens jenen Forschenden ins Gehege, die mit klassischen analytischen Werkzeugen und aufwändigen 3D-Modellierungen ihre Vorhersagen, etwa des Wetters, treffen. Aber sie hat die KI auf ihrer Seite, und ist damit vor allem eines: stets viel, viel schneller.
Angewandte Informatik trifft Energiemeteorologie – eine zukunftsweisende Kombination
Hohes Tempo lohnt sich vor allem dort, wo es um Geld geht, zum Beispiel an der Börse. „Auch die Spotmarktpreise für Strom fluktuieren inzwischen sehr stark, und zwar im Viertelstundentakt“, sagt Behrens. „Zum Teil gehen sie sogar ins Minus.“ Betreiber von PV-Anlagen müssen also in Phasen der Überkapazität zuzahlen, wenn sie ihren Strom ins Netz einspeisen. „Da haben wir gesagt: Eigentlich wäre es cool, eine Kamera auf dem Photovoltaik-Feld zu haben und zu wissen, welche Wolken in den nächsten 15 Minuten heranschweben, um so eine kurzfristige Prognose des PV-Ertrages errechnen zu können.“
Es war die Geburtsstunde des Energiemeteorologie-Projekts „Helios“ an der HSBI. Einer der Projektpartner ist die TH Rosenheim, an der Prof. Mike Zehner „Nachhaltige elektrische Energietechnik“ lehrt. „Zehner ist fasziniert von Wolken, und wir kennen uns seit zwölf Jahren vom PV-Symposium – er ist dort der Mann für die Energiemeteorologie und eine Koryphäe auf dem Gebiet“, erzählt Behrens. „Irgendwann meinte er, wir sollten mal zusammen einen Forschungsantrag schreiben.“ Den nahm die Deutsche Bundesstiftung Umwelt im Herbst 2023 prompt an. Zunächst wird nun bis Ende 2025 geforscht, ein Nachfolgeantrag ist jedoch bereits „in der Pipeline“.
Das Ziel: Genaue Kurzzeitprognosen des Photovoltaik-Ertrages
Die Wolken, die dabei beobachtet werden, ziehen über ein Photovoltaik-Feld im bayerischen Buttenwiesen. Im Abstand von einem Kilometer sind hier zwei All Sky Imagers (ASI) installiert, die durch ihre Fischaugenlinsen alle zehn Sekunden Fotos vom Himmel aufnehmen. „Mit diesen Bildern füttern wir Tag für Tag unsere KI, die damit implizit alles über Meteorologie lernt, was für unseren Zweck von Bedeutung ist“, sagt Behrens.
Denn die KI soll vor allem eines: zeitlich und räumlich hochauflösende Kurzfristprognosen für solare Einstrahlung erstellen. Jede getroffene Prognose wird mit dem zugehörigen realen PV-Ertrag abgeglichen. So wird das System kontinuierlich „schlauer“, und die Prognosen fallen noch genauer aus. Die zusätzliche Berücksichtigung von Open-Source-Wetterdaten machen die Vorhersagen abermals präziser. „Bis zum Ende des Jahres wollen wir uns, was die Genauigkeit angeht, der 100-Prozent-Marke möglichst weit annähern“, so Behrens.
Technologie steht kurz vor der Marktreife: Direktvermarktung von PV-Strom wird effizienter
Mit der Kombination aus Wolkenkamera und Sonneneinstrahlungsmessgerät gibt es in der Branche schon länger Erfahrungen, auf die man bei „Helios“ zurückgreifen kann. „Doch bislang wurde dieses Prinzip nur genutzt, um geeignete Standorte für Photovoltaik-Felder zu identifizieren“, sagt die HSBI-Professorin. „Bei der Direktvermarktung von PV-Strom nutzen die Akteure momentan meist einfach den Wetterbericht und sehen sich die Satellitenbilder an, um die Menge des erzeugten Stroms vorher abzuschätzen.“ Eine ziemlich ungenaue Methode. Die möglichen Folgen für zum Beispiel Stadtwerke: Strom wird zu billig verkauft, anstatt ihn beispielsweise unmittelbar zu verbrauchen oder zu speichern. Im Extremfall erzielt der Verkäufer einen negativen Preis, typischerweise im Frühsommer um die Mittagszeit. „Mit unserem System lässt sich das vermeiden“, ist sich Behrens sicher. „Deswegen haben war auch die Stadtwerke Rosenheim als Projektpartner mit im Boot.“
Bis zur Marktreife des Systems fehlt nicht mehr viel. „In dem Thema ist gerade richtig viel Musik drin, und zwar weltweit“, freut sich Behrens. Sie verweist zum Beispiel auf Unternehmen, die mit sehr günstigen Kameras den Markteintritt vorbereiten, denen aber noch das nötige Startkapital fehle. Oder auf Forscher in Thailand, die die gleiche Idee wie sie gehabt hätten, aber zu einer völlig anderen Umsetzung gelangt sind.
Stabilität des Stromnetzes wächst, aber dafür sind mehr Speicher notwendig
Behrens geht davon aus, dass sich die Technologie auf PV-Feldern in absehbarer Zeit durchsetzen wird. „In Fachkreisen kursiert derzeit die Zahl von dreißig Prozent als mögliche Effizienzsteigerung“, sagt die HSBI-Professorin. „Sogar für private Nutzer in der Stadt, die gemeinsam eine Solaranlage auf ihrem Dach betreiben, könnte sich das lohnen.“ Die Preise der benötigten Kameras sinken gerade rapide. Doch es geht nicht nur um höhere Gewinne für die PV-Stromerzeuger, sondern auch um die Netzstabilität. „Wir haben in den vergangenen Jahren einen enormen Zubau von Solarstrom erlebt“, betont Behrens. „Jetzt brauchen wir dringend mehr Speichermöglichkeiten, um das Ganze balanciert zu halten. Das dezentrale Energiemanagement spielt eine immer größere Rolle.“
Bis dahin werden die All Sky Imagers von Buttenwiesen noch Terabyte an Bilddaten an den extra zu diesem Zweck angeschafften Server in Bielefeld übermitteln. „Die Hauptarbeit bei Helios besteht für uns darin, Software zu schreiben, die diese Bilder einliest, neue Algorithmen zu kreieren und passende neuronale Netzarchitekturen auszusuchen“, erklärt Behrens.