Die Bereitstellung von Regelreserve aus Kleinstanlagen kann künftig dazu beitragen, dass auf dem Regelreservemarkt jederzeit ausreichend Leistung verfügbar ist.

Die Bereitstellung von Regelreserve aus Kleinstanlagen kann künftig dazu beitragen, dass auf dem Regelreservemarkt jederzeit ausreichend Leistung verfügbar ist. (Quelle: BSW)

Um das Stromnetz stabil zu halten, gleichen die Übertragungsnetzbetreiber den Unterschied zwischen Erzeugung und Verbrauch und die dadurch verursachten Frequenzschwankungen im Stromnetz durch den Einsatz von Regelreserve aus. In Deutschland sind die vier Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW für den Systembilanzausgleich verantwortlich. Die Sollfrequenz in der kontinentaleuropäischen Synchronzone liegt bei 50 Hz. Bislang sind es überwiegend mit fossilen Brennstoffen betriebene Großkraftwerke sowie Pumpspeicherkraftwerke, die die nötige Regelreserve bereitstellen. Mit dem Ende der Kohleverstromung und Kernenergie werden künftig zunehmend auch von meteorologischen Einflüssen abhängige Erzeugungsanlagen und Kleinstanlagen wie Batteriespeicher diese und andere systemstützenden Aufgaben übernehmen. Dies trägt dazu bei, dass die Übertragungsnetzbetreiber auch in Zukunft über ausreichend Regelreserven verfügen.

Im Rahmen des Forschungs- und Demonstrationsprojekts C/sells haben die TransnetBW und das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel die Weiterentwicklung der Präqualifikationsanforderungen für die Erbringung von Regelreserve aus dezentralen Energieanlagen untersucht. Dabei wurde unter anderem erforscht, wie die Verfügbarkeit von Haushaltsbatteriespeichern, die mit Photovoltaikanlagen gekoppelt sind, für das Bereitstellen von Regelreserve zuverlässig prognostiziert werden kann und mit welchen Kriterien sich die Güte dieser Prognosen beurteilen lässt. Das kumulierte Regelreservepotenzial dieser Batteriesysteme ist erheblich: Dem Bundesverband Solarwirtschaft zufolge sind derzeit in Deutschland gut 200000 Photovoltaikheimspeicher installiert. Diese Zahl soll in den kommenden Jahren weiter stark steigen.

Neue Regeln für die Präqualifizierung

Wer mit einer Anlage am Markt für Regelreserve teilnehmen möchte, durchläuft zuvor den Präqualifikationsprozess der Übertragungsnetzbetreiber. Diese Prüfung soll sicherstellen, dass die Anlagen tatsächlich die angebotene Regelreserve bereitstellen können, wenn die Übertragungsnetzbetreiber diese abrufen. Die Regeln dafür sind bislang im Wesentlichen stark auf konventionelle Großkraftwerke ausgelegt und die Markteintrittshürden für Kleinstanlagen sind hoch. Für dargebotsabhängige Anlagen ist es derzeit, vor allem aufgrund der Unsicherheit der verfügbaren Leistung und Kapazität zu einem bestimmten Zeitpunkt, nur eingeschränkt möglich, am Regelreserve­markt teilzunehmen.

Die Regelreserve wird nach aktuellem Marktdesign in Blöcken zu je vier Stunden ausgeschrieben. Für die Photovoltaik besteht die Herausforderung, gesicherte Regelleistung über den gesamten Produktzeitraum von vier Stunden zur Verfügung zu stellen. Vor allem in den Morgenstunden ist die durchgängig verfügbare Leistung noch sehr gering. Das gilt dementsprechend auch für die Vermarktung von Batteriespeichern.

Angesichts der zunehmenden Dezen­tralisierung im Energiesystem werden derzeit neue Regeln für den Regelreservemarkt durch die Übertragungsnetzbetreiber implementiert, die unter anderem eine Verkürzung der Produktzeitscheibe auf 15 Minuten voraussichtlich im ersten Halbjahr 2022 vorsehen. Dies steht auch im Kontext mit der geplanten europäischen Harmonisierung der Regelreservemärkte und der Einführung der paneuropäischen Beschaffungsplattformen für die automatischen und manuellen Frequenzwiederherstellungsreserven, aFRR und mFRR.

Kriterien für die Bewertung der Prognosequalität

Für die Übertragungsnetzbetreiber stellt sich die Frage, wie sie künftig im Rahmen der Präqualifikation die Güte der Bereitstellung von Regelreserve aus fluktuierenden Erzeugungsanlagen und Batteriespeichern beurteilen können. Im Forschungsprojekt von TransnetBW und Fraunhofer IEE konnte gezeigt werden, dass die Prognose von Höhe und Zeitraum der verfügbaren Leistung aus Photovoltaikanlagen und Batteriespeichern einen möglichen Ansatz darstellt. 

Dafür sind folgende Informationen wichtig:

  •                 Nennleistung und Kapazität der Batterie
  •                 Photovoltaikproduktion
  •                 lokaler Verbrauch (auch als Last bezeichnet)
  •                 Ladezustand der Batterie (State of Charge, kurz SoC).

Diese Messdaten werden so kombiniert, dass zwei Zeitreihen entstehen: die verfügbare Regelleistung sowie die Zeitspanne, über die diese Leistung bereitsteht. Aus Regelleistung und möglicher Erbringungsdauer ergibt sich hierbei die Regelarbeit. Die verfügbare Regelleistung berechnet sich mithilfe der Photovoltaikproduktion, der Last und der Nennleistung der Batterie:

Regelleistung = BatNennleistung + (PVProd –  Last)

Für die Dauer gilt folgende Formel, wobei hier die Nennkapazität und der Ladezustand (SoC, in %) der Batterie hinzukommt:

Dauer = SoC/100 x BatNennKap x 1/Regelleistung

Mögliche Prognosemodelle

Die beiden Zeitreihen lassen sich auf verschiedene Weise prognostizieren. Bei einer individuellen Prognose zum Beispiel wird die verfügbare Reserveleistung prognostiziert, indem die Photovoltaikproduktion und die Last separat vorhergesagt werden. Für erstere können Cloud-Motion-Vektoren aus Satellitenbildern oder ein numerisches Wettermodell herangezogen werden, für letztere Standardlastprofile. Der Ladezustand lässt sich aus der Photovoltaikproduktion, der Last im Haushalt und der Batterieleistung simulieren.

Mit einem maschinellen Lernverfahren (ML) ist es dagegen möglich, direkt die Gesamtzeitreihe vorherzusagen. Dabei ist es wichtig, dass genügend Daten verfügbar sind, um das Modell zu trainieren – in der Regel Daten aus mindestens einem Jahr, damit das Modell alle saisonalen Effekte lernen kann. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Trainings- und Testzeitraum. Das Modell sollte stets mit einem Trainingsdatensatz trainiert und die Prognose auf einem separaten Testdatensatz bewertet werden. Um die Reserveleistung zu prognostizieren, wird deren Zeitreihe als Ziel genommen und Input-Größen gewählt, die darauf einen Einfluss haben. Das könnten die Zeitreihen der Photovoltaikproduktion und der Last sein.

Accuracy als zentraler Indikator

Angesichts ihrer Bedeutung für die Systemsicherheit muss die Regelreserve mit nahezu hundertprozentiger Zuverlässigkeit erbracht werden können, was in der Praxis eine Prognoseverlässlichkeit, die Accuracy, von 99,975 % bedeutet – diesen Abschlag nehmen die Übertragungsnetzbetreiber vor, da auch konventionelle Kraftwerke zum Beispiel aufgrund ungeplanter Ausfälle oder Wartungsarbeiten keine 100 % Verlässlichkeit gewährleisten können. Der geforderte Accuracy-Wert muss nicht von jedem einzelnen Batteriespeicher erbracht werden, sondern vom Anlagenpool, den ein Regelreserveanbieter zusammenstellt. Sollte also eine einzelne Anlage unter dem prognostizierten Wert bleiben, so kann dies durch eine oder mehrere andere Systeme ausgeglichen werden. Das gilt umso mehr, je weiter die Anlagen räumlich verteilt sind.

Die Accuracy ergibt sich aus einer einfachen Formel mit zwei Zeitreihen, wobei die Zahl korrekter Zeitpunkte (ZP) über den gesamten Zeitraum ermittelt wird:

acc = (Anzahl korrekte ZP) / (Gesamtzahl aller ZP)

Um einen aussagefähigen Indikator zu erhalten, sollten mehrere Regelreserveabrufe innerhalb eines bestimmten Zeitraums erfolgt sein und bewertet werden.

Abweichungen von der Prognose lassen sich am sinnvollsten mithilfe des Root Mean Square Error (RMSE) messen und bewerten.

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass durch das Quadrieren der Fehlerzeitreihe besonders große Abweichungen deutlich härter pönalisiert werden. Oft wird der RMSE normiert betrachtet (nRMSE), wobei Abruf und Erbringung nicht absolut, sondern auf die Gesamtleistung normiert in die Formel eingehen.

Accuracy und nRMSE lassen sich auf Basis historischer Zeitreihen sehr einfach berechnen. Die Bewertung der Prognosen kann deshalb gut automatisiert vorgenommen werden. Dargestellt werden könnten die Ergebnisse zum Beispiel mit einem Ampelsystem: Unterschreitet die Accuracy einen definierten Wert, steht die Ampel auf Rot – die Prognosequalität reicht nicht aus. Liegt sie dagegen darüber und der RMSE unter einem festgelegten Prozentsatz, leuchtet die Ampel grün. Ist die Genauigkeit erreicht, der RMSE-Wert aber nicht, schaltet sie auf gelb. In diesem Fall muss der Übertragungsnetzbetreiber die Prognosequalität individuell prüfen.

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