Joachim Kabs: Bei diesem komplexen und vielschichtigen Thema werden wir immer wieder anpassen und nachschärfen müssen – auch beim regulatorischen Rahmen.

Joachim Kabs: Bei diesem komplexen und vielschichtigen Thema werden wir immer wieder anpassen und nachschärfen müssen – auch beim regulatorischen Rahmen. (Quelle: Simon Leibl/Bayernwerk)

Herr Dr. Kabs, der verpflichtende Rollout intelligenter Messsysteme ist seit über einem Jahr am Laufen. Wie fällt Ihr Fazit bisher aus?

Kabs: Zunächst bin ich froh, dass wir nach langer und schwieriger Zeit des Wartens mit dem Rollout starten konnten. Die deutsche Bürokratie und die Vielzahl an Zertifizierungen und Genehmigungen haben zu Verzögerungen geführt. Es ist unbestritten, dass wir die Daten aus den intelligenten Messsystemen benötigen, um auch künftig ein nachhaltiges, effizientes und wirtschaftliches Energiesystem betreiben zu können. Beim Rollout sind wir noch lange nicht dort, wo wir sein wollten oder eher sein müssten. Und vor allem die zum Teil nach wie vor fehlenden politischen Rahmenbedingungen und auch das Urteil des OVG Münster tragen nicht dazu bei, dass sich in der Branche eine richtige Aufbruchstimmung für den Rollout intelligenter Messsysteme entwickelt. Das Fazit lautet also kurz und knapp: Ich bin froh, dass wir überhaupt starten konnten, es geht voran, wir wissen, dass wir intelligente Messsysteme brauchen und die ein oder andere Hürde wird noch zu nehmen sein.

Wie ist der aktuelle Stand des Rollouts bei der Bayernwerk Netz GmbH und in der Eon-Gruppe?

Kabs: Auch wenn der regulatorische Rahmen noch an einigen Stellen fehlt, können wir die ersten Grundanwendungsfälle umsetzen. Wir als Bayernwerk Netz haben bisher knapp 10.000 zertifizierte intelligente Messsysteme installiert, im Eon-Konzern sind es rund 50.000 intelligente Messsysteme. Dies zeigt: Wir kommen gut voran, auch wenn wir das Tempo deutlich beschleunigen müssen, um künftig den Anforderungen eines flexiblen Netzbetriebs und Energiesystems gerecht werden zu können. Denn hierfür benötigen wir schon heute deutlich mehr Daten, die von intelligenten Messsystemen an unterschiedlichen Stellen im Netz kommen müssen.

Wie viele Geräte müssen Sie im Eon-Konzern und bei der Bayernwerk Netz GmbH im Rahmen des Pflicht-Rollouts installieren?

Kabs: Bei den Eon-Netzgesellschaften ist der Pflichteinbau, je nach Interpretation, von 2 bis 3 Mio. intelligenten Messsystemen vorgesehen. Bei der Bayernwerk Netz GmbH sprechen wir von rund 500.000 Stück.

Sie haben das Urteil des OVG Münster angesprochen? Welche Auswirkungen hatte dies für Bayernwerk Netz?

Kabs: Durch das Urteil des OVG Münster hat sich für uns eigentlich nichts Wesentliches geändert, weil das Urteil streng genommen nur für den Kläger gilt. Wir halten daher zurzeit an unseren Rollout-Plänen fest und gehen davon aus, dass die bestehenden Rechtsgrundlagen für uns weiterhin gelten. Um die Auswirkungen abschließend beurteilen zu können, müssen wir jedoch die weiteren Verhandlungen abwarten, die im zweiten Halbjahr kommen werden. Wichtig ist für uns, dass es eine Rechts- und Investitionssicherheit für bereits installierte Smart-Meter-Gateways gibt und wir Klarheit haben, wie mit diesen Geräten umzugehen ist – vor allem vor dem Hintergrund von Softwareupdates und der Erweiterung für zusätzliche Anwendungsfälle. Bei solch hohen Aufwendungen entstünde ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden, wenn wir die bereits verbauten Geräte wieder ausbauen müssten.

Welche Strategie verfolgen Sie beim Rollout? Beschränken Sie sich auf die Pflichteinbaufälle oder gehen Sie darüber hinaus?

Kabs: Oberste Priorität haben für uns zurzeit die aktuellen Pflichteinbaufälle. Allerdings sehen wir auch die Notwendigkeit, über diese Einbaufälle hinauszugehen und ebenso auf den Ausbau von wettbewerblichen intelligenten Messsystemen zu setzen. Wir haben es hier mit zwei unterschiedlichen Aspekten beim Rollout intelligenter Messsysteme zu tun. Einerseits ist dies die Erhöhung der Transparenz und die Visualisierung des Energieverbrauchs beim Kunden, um Energiesparmaßnahmen anzureizen – also eher marktgetriebene Aspekte, für die die Pflichteinbaufälle sicherlich angemessen sind. Der zweite wichtige Aspekt ist die Netzdienlichkeit, die leider häufig noch nicht ausreichend berücksichtigt wird. Dafür reichen dann meiner Meinung nach die aktuellen Pflichteinbaufälle nicht aus – auch wenn wir die genauen regulatorischen Rahmenbedingungen für diese Anwendungsfälle zurzeit noch nicht kennen.

Die treibende Kraft für zusätzliche Smart- Meter-Gateways ist also die Netzdienlichkeit?

Kabs: Richtig. Uns würden im Netzbetrieb mehr intelligente Messsysteme helfen, die für Transparenz und Steuerbarkeit vor allem im Niederspannungsnetz sorgen. Es ist schon jetzt absehbar, dass wir aufgrund der zunehmenden Stromeinspeisung aus volatilen erneuerbaren Energien und der steigenden Nachfrage der Stromkunden nach hoher Leistung immer mehr Flexibilitäten im Stromnetz managen müssen. Eine Laststeuerung in starren Zeitfenstern, wie bisher zum Beispiel für Nachtspeicherheizungen, genügt diesen Anforderungen nicht mehr. Notwendig ist es vielmehr, unterschiedliche Flexibilitätsoptionen gezielt zu nutzen und durch intelligente Messsysteme sicher steuern zu können – auch im Sinne der Netzdienlichkeit. Dafür muss der Gesetzgeber dringend den Ordnungsrahmen schaffen und für die richtigen Anreize für Kunden, Netzbetreiber und Hersteller sorgen. Wenn die klassische Investition in Kupfer wirtschaftlich honoriert wird, Investitionen in die Digitalisierung jedoch bestraft werden, ist dies nicht zukunftsweisend.

Welches Feedback erhalten Sie von den Endkunden, bei denen bereits intelligente Messsysteme installiert wurden?

Kabs: Grundsätzlich machen wir die Erfahrung, dass wir die Endkunden bei der Energiewende, also beim gesamten Umbau des Energiesystems, durch Kommunikation und umfassende Aufklärung viel stärker mitnehmen müssen. Denn die Energiewende findet vor allem beim Endkunden statt. Das gilt umso mehr für den Rollout intelligenter Messsysteme als Schlüsseltechnologie der Energiewende. Hier wird der Kunde direkt mit den Auswirkungen und den Kosten der Energiewende konfrontiert, aber kann zunächst vielleicht nur schwer die Vorteile und den persönlichen Mehrwert erkennen. Wenn wir dem Endkunden ein Gerät in seinem Keller installieren, er aber weder weiß, welche Daten abgerufen werden, noch wahrnehmen kann, welcher Mehrwert sich ihm bietet, wird es schwer, ihn als aktiven Partner auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung zu gewinnen. Hieran ­müssen wir arbeiten, damit aus der Energiewende eine Mitmach-Energiewende wird, in der eine Interaktion der Kundenanlagen mit dem Netzbetrieb und damit mit dem gesamten Energiesystem fester Bestandteil ist.

Es sind also nicht die Mehrkosten, sondern eher die Mehrwerte und die Angst des Datenmissbrauchs, die beim Kunden adressiert werden müssen?

Kabs: Natürlich sind Kosten für die Energiewende ein Thema. Wir müssen die Kunden von der Sicherheit, den Mehrwerten und dem direkten Nutzen der intelligenten Messsysteme überzeugen. Die Geräte erfüllen alle Datenschutz- und Sicherheitskriterien des Messstellenbetriebsgesetzes und sie halten die Anforderungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik ein. Außerdem verfügt jedes System über ein Sicherheitsmodul für die verschlüsselte Übertragung. Insofern sind die Randbedingungen gegen Datenmissbrauch gegeben. Entscheidend ist der Nutzen: ein besserer Datenüberblick, um das eigene Verbrauchsverhalten zu beeinflussen und damit auch die Stromkosten zu reduzieren sowie mehr Steuerbarkeit und Flexibilität für Netzbetreiber, um die volkswirtschaftlichen Kosten des Netzausbaus möglichst gering zu halten, sind nur einige Beispiele. Weitere finden sich in dem Online-Magazin Backbone des VDE FNN. Damit wollen wir die Energiewende zu den Kunden bringen, sie erlebbar machen und in Reportagen, Wissensclips, einem Podcast und animierten Infografiken die Herausforderungen und Chancen des künftigen Energiesystems transparent darstellen. Auch die Eon-Kampagne »Netze für Morgen« gibt hier Einblicke.

Nochmals zurück zum Urteil des OVG Münster. Mittlerweile hat das BMWi darauf mit einer Novelle des Messstellenbetriebsgesetzes reagiert. Besteht damit Rechtssicherheit für den weiteren Rollout?

Kabs: Ob damit wirklich alle Rechtsunsicherheiten beseitigt sind, wird sich erst noch zeigen. Da würde ich eher noch ein Fragezeichen dahinter setzen. Wichtig ist aber, dass das BMWi sehr schnell auf die Aspekte des OVG Münster mit der Anpassung und Schärfung des Rechtsrahmens reagiert hat. Damit sind die Grundlagen für den weiteren Rollout zunächst einmal geschaffen. Klar ist aber auch: Bei diesem komplexen und vielschichtigen Thema werden wir immer wieder anpassen und nachschärfen müssen – auch beim regulatorischen Rahmen. Da wird es nicht bei der einen Novellierung bleiben. Daher ist eine vollumfängliche Rechtssicherheit auch nur schwer vorstellbar – auch vor dem Hintergrund, dass zwar die Technik vorhanden ist, die Investitionen getätigt wurden, aber der Ordnungsrahmen nach wie vor hinterherhinkt und die Unsicherheiten sowohl für Hersteller als auch für Netzbetreiber groß sind.

Das BMWi prognostiziert in seinem aktuellen Eckpunktepapier bis zum Jahr 2030 eine Verdopplung der Anwendungsfälle für Smart-Meter-Gateways auf über 15 Mio. Einbaufälle. Das sind 1,5 bis 2 Mio. Geräte im Jahr. Wie soll dies umgesetzt werden? Anders gefragt: Wie lässt sich der Rollout beschleunigen?

Kabs: Zurzeit sind die ersten Grundanwendungsfälle im Bereich der Bezugskunden freigegeben. Wichtig ist jetzt, dass schnell weitere Anwendungsfälle im Bereich der Einspeiser hinzukommen. Nur so lässt sich das Zusammenwirken von Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen sowie von Speichern und Netz organisieren. Vor dem Hintergrund der Sektorenkopplung und der Mobilitäts- und Wärmewende wird dies künftig eine wesentliche Herausforderung, vor allem in der Niederspannung. Daher ist es wichtig, dass wir jetzt schnell den Ordnungsrahmen auch für diese neuen Anwendungsfälle erhalten. Denn für dieses Mengengerüst sind drei Punkte entscheidend: Rechtssicherheit, Kundennutzen und Netzdienlichkeit müssen in den Vordergrund gestellt werden, um den Rollout zu beschleunigen. Dabei ist gut möglich, dass bei der deutlichen Zunahme der Elektromobilität und strombetriebener Wärmeanwendungen das Thema Netzdienlichkeit den Kundennutzen in der Bedeutung überholt.

Stichwort Steuerbare Verbrauchseinrichtungen: Der dafür notwendige Rechtsrahmen kommt erst in der neuen Legislatur. Wie beurteilen Sie dies?

Kabs: Das Netz kurzfristig auf singuläre, kurzzeitige Spitzenereignisse auszubauen, ist aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll. Die vorhandenen Flexibilitätsoptionen zu nutzen, um Engpässe im Netz zu bewirtschaften und zu beseitigen, ist hingegen wesentlich sinnvoller – egal ob Verbraucher, Erzeuger oder Speicher. Netzbetreiber können so neue Verbrauchseinheiten wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen oder dezentrale Speicher systemdienlich in das vorhandene System integrieren und mögliche temporäre Lastspitzen und einen kurzfristigen Netzausbaubedarf vermeiden. Daher ist es enttäuschend, dass sich der notwendige Ordnungsrahmen dafür verzögert und der eigentlich gut abgestimmte Entwurf des Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetzes bei manchen Gruppierungen nicht die notwendige Akzeptanz gefunden hat. Hier ist dringender Handlungsbedarf gefordert, denn eine Steuerbarkeit kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn gleichzeitig ein systematischer Ausbau der Beobachtbarkeit von Netz- und Anlagenzuständen angegangen wird und Ist-Zustandsdaten über Messsysteme erfasst werden. Dafür brauchen wir den richtigen Ordnungsrahmen und Rechtssicherheit.

Martin Heinrichs

Ähnliche Beiträge