Welchen Belastungen war die Anlage ausgesetzt?

Im analytischen Teil ermitteln die Experten rechnerisch, wann die relevanten Komponenten die Grenzen ihrer Lebensdauer erreichen. Sie vergleichen die tatsächlich aufgetretenen Belastungen mit den Belastungen unter den Auslegungsbedingungen, für die der Hersteller die Anlage geplant und die Bauteile dimensioniert hat. Dabei fließen die Ergebnisse der Vor-Ort-Begutachtung in die Berechnungen mit ein.

Mit softwaregestützten Modellen, in denen die tatsächlichen Windbedingungen am Standort sowie die Windbedingungen nach der ursprünglichen Auslegung berücksichtigt werden, lassen sich sowohl aus einem möglichen Weiterbetrieb resultierende Lasten, als auch die Lasten und Auslegungsbedingungen simulieren. Mit dieser Methode und mit ihrer Erfahrung können die Sachverständigen die Lebensdauerreserven einer WEA präzise ermitteln und den Zeitraum für einen sicheren Weiterbetrieb verlässlich abschätzen. Die Bewertung gibt auch eindeutige Hinweise darauf, welche Bauteile zu welchem Zeitpunkt vorsorglich ausgetauscht werden müssen, um den sicheren und zuverlässigen Weiterbetrieb zu gewährleisten.

Ergebnis

Die Erfahrungen aus den bisherigen BPW von TÜV SÜD zeigen, dass die meisten WEA mit wenigen, kleineren Reparaturen noch mehrere Jahre sicher weiterbetrieben werden können. Häufig erreichen beispielsweise die Schrauben, mit denen die Rotorblätter an der Nabe befestigt sind, als erstes die Auslegungslasten. Sie müssen während der Betriebszeit der Anlage das ständig wechselnde Biegemoment aus dem Eigengewicht der Rotorblätter während jeder Umdrehung ertragen, das weitestgehend unabhängig von den Windbedingungen am Standort ist. Ein Austausch der alten Bolzen ist bei kurzem Stillstand der Anlage relativ einfach möglich. Für den Betreiber ist das fast immer eine günstige Lösung, um seine Anlage für einen längeren Weiterbetrieb zu ertüchtigen.

Der richtige Zeitpunkt

Die BPW sollte im letzten genehmigten Betriebsjahr stattfinden, um einen möglichst aktuellen Zustand der WEA zu bewerten. Bei einem Verkauf oder für die mittelfristige Budgetplanung kann es auch sinnvoll sein, die BPW früher durchzuführen. In solchen Fällen wird die Bewertung ohne die Prüfung der Anlagen vor Ort durchgeführt. Das Ergebnis ist eine Aussage darüber, ob rechnerisch ein Weiterbetrieb möglich ist und zu welchem Zeitpunkt voraussichtlich welche Komponenten erneuert werden sollten. Die Ergebnisse dieser Vor-Prognose können auch in der eigentlichen BPW verwendet werden.

Fazit und Ausblick

Die Erfahrungen von TÜV SÜD aus der Praxis zeigen: Die meisten WEA haben nach dem Ende ihrer Entwurfslebensdauer noch Reserven. Zum einen sind die Windbedingungen am Anlagenstandort häufig weniger fordernd als in der Auslegung angenommen. Zum anderen genügen oft verhältnismäßig kleine und günstige Reparaturen, da in den meisten Fällen die Tragstruktur der Anlage keine signifikanten Schäden aufweist. Zudem können Betreiber mit der BPW die Kosten für Wartung und Instandhaltung während der Restlebensdauer realistisch abschätzen und optimierte Wartungskonzepte aufstellen. In der Regel ist der Prüfbericht auch Voraussetzung für den Fortlauf von Versicherungen oder die Zusammenarbeit mit Servicedienstleistern nach Ablauf der Entwurfslebensdauer. Gegenüber den Genehmigungsbehörden können Betreiber den Bericht als Eignungsnachweis anführen.

Florian Weber, Wind Cert Services, TÜV SÜD Industrie Service GmbH, Regensburg; Christian Schumacher, Zertifizierung Windenergieanlagen, TÜV SÜD Industrie Service GmbH, München
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