EnBW-Gruppe

Smight: Der Lastverlauf mehrerer Stationen weist auf eine vorhandene Schieflast hin. Ursache ist meist eine ungleiche Belastung der Phasen.

Der Lastverlauf mehrerer Stationen weist auf eine vorhandene Schieflast hin. Ursache ist meist eine ungleiche Belastung der Phasen. (Quelle: Smight)

Nochmals zurück zur Ausgründung: ­Welche Rolle wird künftig weiterhin die EnBW-Gruppe für Smight einnehmen?

Deuschle: EnBW übernimmt ganz klassisch die Investorenrolle. Als hundertprozentige EnBW-Tochter werden wir auch so geführt. Als Teil des EnBW-Konzerns haben wir aber auch einen sehr guten Kontakt zu den Verteilnetzbetreibern in der EnBW. Dies ist ein enormer Vorteil, auch wenn wir diese natürlich auch über die üblichen Ausschreibungen als Kunden gewinnen müssen. Aber mit den Kunden Netze BW, Energiedienst und Stadtwerke Düsseldorf, die alle zur EnBW-Familie gehören, konnten wir eine gute Kundenbasis und Reputation für weitere Kundenprojekte schaffen.

Rudat: Die größte Herausforderung bei der Digitalisierung ist, dass die meisten Netzbetreiber nicht die dafür notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen im eigenen Haus haben. Sie brauchen also Partner wie Smight. Und hier ist ein offener und vertrauensvoller Umgang entscheiden, um die wirklichen Bedürfnisse der Netzbetreiber detailliert verstehen und darauf aufbauend passgenaue Lösungsansätze entwickeln zu können. Dies ist in einer gemeinsamen Konzernstruktur natürlich leichter, da es sich nicht um eine reine Kunden-Lieferanten-Beziehung handelt, und für uns ist dies ein enormer Vorteil.

Kommen wir zum technologischen Ansatz von Smight. Ziel ist es, die Transparenz im Verteilnetz zu erhöhen. Herzstück dafür ist der Stromsensor Smight Grid2. Was ist das Besondere an diesem Sensor?

Deuschle: Beim Herzstück würde ich es etwas anders formulieren. Herzstück unser Lösung ist, dass wir eine Prozesskette entwickelt haben, die Verteilnetzbetreiber auf einfachste Art und Weise befähigt, Daten aus dem Niederspannungsnetz selbstständig zu erheben und diese zur Anwendung zu bringen – zum Beispiel im Netzbetrieb, in der Netzplanung oder im Asset-Management. Und um die Daten schnell, einfach und easy-to-use erhalten zu können, benötigten wir etwas, was es im Markt noch nicht gab, nämlich ein Messsystem, das jeder Netzmonteur – also der Anlagenverantwortliche für eine Ortsnetzstation – selbst installieren kann. Aus diesem Anforderungsprofil ist der Stromsensor Smight Grid2 entstanden, der sich in nur einer Stunde installieren und in Betrieb setzen lässt. Dies heißt: Vom Einbau bis zum Datenfluss braucht das normale Betriebspersonal nicht länger als eine Stunde.

Rudat: Wichtig ist auch, dass der Sensor keine externe Stromversorgung benötigt. Diese erfolgt per Energy Harvesting aus den Messwandlern selbst, wodurch eine aufwendige Verkabelung in der Station entfällt. Darüber hinaus verwenden wir induktive Wandler als Messeinheit, die kontaktlos am Kabelmantel befestigt werden. Ein Kontakt mit spannungsführenden Teilen ist nicht notwendig, wodurch sich aufwendige Arbeitsschutzprozesse für Arbeiten unter Spannung vermeiden lassen. Auch ist die Konfiguration der Sensorik bei vergleichbaren Lösungen durchaus komplex. Bei Smight Grid2 ist das anders: Hier legt der Netzmonteur vor der eigentlichen Installation in einer Weboberfläche die Ortsnetzstation und den entsprechenden Abgang an. Vor Ort wird dann der Sensor installiert und über eine spezielle App per QR-Code aktiviert. In dem Moment ist alles fertig und die Daten können über das Gateway fließen – wobei auch hier keine Verkabelung notwendig ist, denn die Daten werden vom Sensor über Bluetooth an das Gateway und von dort über Mobilfunk an das Backend übertragen. Damit bekommt der Netzbetreiber über einen einfachen Prozess die Daten schnell in die Anwendung. Dabei ist der Unterschied zu anderen am Markt verfügbaren Lösungen gar nicht die eigentliche Messtechnik, sondern vielmehr unser Fokus auf das Datenhandling, also die Datenintegration, die Datenverfügbarkeit und die Datenanwendung.

Bleiben wir bei den Daten. Wie werden diese von Ihnen aufbereitet und den Netzbetreibern zur Verfügung gestellt?

Rudat: Zum einen bringen wir eine Weboberfläche mit. Dort lassen sich die Stromkurven der gemessenen Abgänge darstellen. Gewählt werden können der Zeitraum, die Station und die Messwerte wie Effektivstrom, Blindstrom, Wirkstrom etc. Dies ist meist die erste Anwendung, die vom Netzbetrieb genutzt wird, um schnell einen Überblick über den allgemeinen Netzbetrieb erhalten zu können. Der große Vorteil ist, dass Stadtwerke die Daten sofort nutzen können, ohne die eigene IT bemühen zu müssen. Zweitens bieten wir eine ­Backend-Schnittstelle, eine REST-API, sodass sich die Daten im Prinzip in jedem anderen System nutzen lassen. Dabei ist die technische Anbindung nicht die eigentliche Herausforderung, sondern vielmehr die inhaltliche Überlegung, welche Daten und in welcher Form diese in den jeweiligen Systemen benötigt werden – zum Beispiel eine Kurve, Viertelstundenmesswerte oder ein Tages- beziehungsweise Nacht-Max-Wert je Abgang. Haben wir dies zusammen mit dem Kunden he­rausgefunden, stellen wir die notwendigen Daten in der richtigen Form für die jeweilige Applikation des Kunden zur Verfügung. Diese Vorgehensweise wählen wir ganz bewusst, um bei zunehmender Zahl digitalisierter Ortsnetzstationen und Abgänge die Datenmengen zu begrenzen. Drittens bieten wir zusätzliche Software-Reports an, zum Beispiel einen TOP-20-Report. Hier stellen wir die jeweilige Auslastung der gemessenen Abgänge dar, in dem wir den Maximalwert mit dem Sicherungswert vergleichen. So lassen sich auf einen Blick die kritischsten Abgänge herausfiltern und auf Basis der hinterlegten Stromkurven weiter analysieren: handelt es sich zum Beispiel nur um einen Ausreißer aufgrund von Schalthandlungen, oder wird der Schwellwert regelmäßig überschritten, sodass netzplanerische Maßnahmen notwendig werden? Diesen Anwendungsfall haben wir zusammen mit einem Netzbetreiber entwickelt – mit dem Ergebnis: Der Netzbetreiber benötigt heute lediglich 5 Minuten im Monat, um sich von den rund 3 000 überwachten Abgängen nur diejenigen 20 genauer anzusehen, um die er sich vielleicht kümmern muss – ein enormer Vorteil für das Asset-Management.

Die Smight-Lösung nutzen mittlerweile mehr als 40 Netzbetreiber. Was sind hier die konkreten Beweggründe?

Deuschle: Zurzeit stehen die Themen Transparenz und Beobachtbarkeit im Niederspannungsnetz im Vordergrund. Später wird dies sicherlich auch durch die Steuerbarkeit ergänzt werden. Transparenz wird vor allem aufgrund der zunehmenden Netzanschlussanfragen immer wichtiger – zum Beispiel für eine Wollbox, PV-Anlage oder Wärmepumpe. Die Netzbetreiber können diese Anfragen heute nur auf Basis einer sehr mangelhaften Datenqualität beantworten, denn sie kennen die Auslastung einzelner Netzstränge meist nicht. Hier unterstützen wir, in dem wir die notwendigen Live-Daten als Entscheidungsgrundlage bereitstellen.

Rudat: Dies ist der Netzanschlussprozess. Eine weitere Anwendung ist die Investitions- und Erneuerungsplanung. Vor allem für kleinere Stadtwerke ist der Austausch auch nur einzelner Ortsnetzstationen ein enormes Investment. So hätten zum bei unserem Kunden Stadtwerke Bad Herrenalb allein aufgrund des Alters vier Ortsnetzstationen von 49 Stationen erneuert werden müssen. Nach der Installation unserer Messtechnik und der Analyse der jeweiligen Auslastung hat sich jedoch ergeben, dass drei von den vier Stationen vollkommen unausgelastet sind und nur eine Station kritisch ist. Damit haben die Stadtwerke die datentechnische Grundlage für eine sinnvolle Investitionsplanung. So können sie beispielsweise einzelne Investitionen hinauszögern oder gezielt mit anderen Baumaßnahmen synchronisieren – und zwar ohne Einbußen bei der Versorgungssicherheit.

Deuschle: Ein dritter Anwendungsfall ist der Netzbetrieb. Hier erhalten die Netzmonteure im Feld durch unsere Messtechnik die notwendigen Live-Informationen zum Beispiel über die aktuelle Last – und zwar abgangsscharf und auch phasenscharf. Phasenscharf ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt, denn es liegen eigentlich keine Informationen über die Auslastung der einzelnen Phasen vor. Alle Netzberechnungen in der Niederspannung arbeiten im einphasigen Ersatzschaltbild. Wir haben dagegen mittlerweile rund 1 500 Ortsnetzstationen ausgestattet und dabei rund 10 000 Sensoren verbaut. Alle messen vierphasig. Dabei sehen wir ganz deutlich, dass die Unsymmetrie im deutschen Niederspannungsnetz beträchtlich ist. Man kann davon ausgehen, dass 50 % der kompletten Last über eine Phase fließt, meist L1, und L2 sowie L3 die anderen 50 % nutzen. Das heißt: Es gibt ein enormes Potenzial der Lastverteilung, wenn wir die drei Phasen gleichmäßig auslasten würden – und der Netzbetreiber kann darauf durchaus Einfluss nehmen.

Dies sind die Anwendungen im Bereich Transparenz und Beobachtbarkeit. Welche Entwicklungen erwarten Sie für das Steuern im Niederspannungsnetz?

Deuschle: Grundlage für jegliche Art der Steuerbarkeit von Anlagen wie Wallboxen, PV-Anlagen oder Wärmepumpen ist die Prognosefähigkeit. Denn ich muss zum Beispiel bereits um 10:00 Uhr wissen, wie die Situation um 12:00 Uhr sein wird – und zwar in Bezug auf die Netzlast, die Einspeisung und die Preissituation. Nur so lassen sich die entsprechenden Vorgaben zur Steuerung einzelner Anlagen ableiten. Auch wenn dafür die notwendigen regulatorischen und marktlichen Rahmenbedingungen noch fehlen, ist es bereits jetzt notwendig, Netzdaten zu sammeln, um die Situation in den Netzen kennen und abschätzen zu lernen. Dies ist die Voraussetzung für verlässliche Prognosen. Hier sehen wir auch die eigentliche Rolle von Smight. Auf der Grundlage einer netzbetreiberübergreifenden Datenbasis wollen mit Vergleichsdaten und Messdaten die für das Steuern notwendigen Analysen und Prognosewerte zur Verfügung stellen. Das Steuern an sich wird der Netzbetreiber dann mit anderen Partnern machen.

Rudat: Nochmals zur Einordnung: Momentan befinden wir uns in der Phase des Monitorings – wir versuchen also zu verstehen, wo was im Netz passiert, um im Zweifel steuernd einschreiten zu können – und zwar zurzeit ausschließlich manuell. Hierfür liefern wir bereits die passende Lösung. Die Prognose beziehungsweise die Prognosefähigkeit folgt dann in der zweiten Phase. Hier gilt: Für eine verlässliche Prognose ist eine ausreichende Datenbasis notwendig. Auch hierfür werden wir die datentechnischen Grundlagen liefern. Dann kommt irgendwann in der dritten Phase das automatisierte Steuern. Wie dies letztlich umgesetzt wird, ist noch sehr ungewiss und schwer abzuschätzen

Sie haben sich als Ziel gesetzt, die größte netzbetreiberübergreifende Datenbasis im Niederspannungsnetz aufzubauen. Welche Mehrwerte wollen Sie aus diesem aggregierten Datenschatz generieren?

Rudat: Das Schlüsselwort lautet hier Prognose. Ein Netzbetreiber möchte die Zukunft vorhersehen – für das ganze Netz, für eine Ortsnetzstation, für einen Abgang, für einen Strang, und zwar zu einer ganz bestimmten Viertelstunde. Algorithmen und die darauf basierenden Prognosen werden immer genauer, je mehr Daten zur Verfügung stehen – und zwar sowohl historische als auch aktuelle. Das kann natürlich ein großer Netzbetreiber auf der Grundlage der eigenen Daten selbst machen. Aber bei kleineren Netzbetreibern wird es schwer, die notwendig Prognosegüte zu erhalten. Mit unserem Ansatz profitieren auch die vielen kleinen und mittleren Netzbetreiber wie die bereits genannten Stadtwerke Bad Herrenalb von zuverlässigen Prognosen.

Deuschle: Vor dem Hintergrund der künftigen Herausforderungen einer zunehmend dezentralen Stromversorgung wird aus meiner Sicht die aktuelle Struktur mit rund 900 ganz unterschiedlichen Verteilnetzbetreibern in Deutschland nur funktionieren, wenn wir in der Lage sind, diese Algorithmen und damit auch die Vorhersagbarkeit auf eine möglichst große und damit netzbetreiberübergreifende Datenbasis zu stellen. Und genau hier sehen wir die Rolle von Smight.

info@smight.com, https://smight.com

Martin Heinrichs
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