Wie kann sichergestellt werden, dass in einem künftigen Energiesystem genügend Flexibilitäts- und Lastverschiebepotenziale zur Verfügung stehen? Damit soll sich eine neue VDE GET Task Force beschäftigen

Wie kann sichergestellt werden, dass in einem künftigen Energiesystem genügend Flexibilitäts- und Lastverschiebepotenziale zur Verfügung stehen? Damit soll sich eine neue VDE GET Task Force beschäftigen. (Quelle: Adobe Stock)

Eine fundamentale Herausforderung der Energiewende ist die Abkehr des „Erzeugung-folgt-Last“-Prinzips. Die Erzeugung elektrischer Energie aus volatilen erneuerbaren Energien führt zu immer größeren Schwankungen des Stromrestbedarfs (Residuallast). Heute gleichen die noch vorhandenen flexibel einsetzbaren (Kohle-)Kraftwerke die Differenz zwischen ungesteuerter Stromerzeugung und ungesteuertem Strombedarf aus. Aber mit dem Wegfall dieser Reserve steigt die Wahrscheinlichkeit von Netzengpässen. „Eine vielversprechende Lösung für dieses Problem ist die Flexibilisierung des Energiesektors“, erläutert Prof. Martin Wolter von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Experte der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG). Für ein möglichst bezahlbares Energiesystem der Zukunft müssten sowohl die erneuerbare Stromerzeugung als auch der Strombedarf flexibilisiert werden. Diese zweigleisige Flexibilisierung des Energiesektors könne mittels technischer und/oder wirtschaftlicher Anreize und/oder verpflichtender ordnungspolitischer Vorgaben erfolgen, so Martin Wolter. Seine Arbeitsgruppe im Bereich „Übertragung und Verteilung elektrischer Energie“ hat jetzt sieben Thesen aufgestellt, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Lastflexibilisierung einen sinnvollen Beitrag zum Gelingen der Energiewende beisteuern kann.

Ohne Investitionen und Anpassung des Rechtsrahmens geht es nicht

Flexibilisierung kostet Geld, lautet die erste und wichtigste These. Heute werden Angebot und Nachfrage nahezu vollständig über den konventionellen Kraftwerkspark ausgeglichen. Diese Leistungsbilanzierung ist auch künftig ein Muss. Kann diese nicht mehr über den konventionellen Kraftwerkspark erfolgen, müssen die erneuerbare Erzeugung und die Last in den Ausgleich einbezogen werden. Hierzu ist aber der Aufbau zusätzlicher Technik (z.B. Abregelung von EE-Erzeugung bei negativer Residuallast, Speicher, leistungsfähigere Netze, Kommunikationsinfrastruktur, Regelungstechnik) erforderlich. Gleichzeitig ist das Risiko von Komfortverlusten für die Verbraucher vorprogrammiert. Beides verursacht Kosten und birgt damit Risiken. Die siebte These und eine wichtige Botschaft an die Politik ist, dass die Flexibilität des Energiesektors einen entsprechend angepassten Regulierungsrahmen erfordert. „Der Markt wird es nicht regeln. Ohne verlässlichen Rechtsrahmen keine verlässliche Steuerung durch den Netzbetreiber“, so das Fazit der VDE ETG-Arbeitsgruppe.

Call for Experts: Neue Task Force soll weiterarbeiten

Mit dem Thesenpapier ist die Arbeit jedoch noch nicht abgeschlossen. „In vielen bisherigen Analysen wird das Vorhandensein von Lastverschiebepotenzial und die dafür erforderliche Technik in einem künftigen Energiesystem einfach vorausgesetzt“, führt Wolter weiter aus. „Das erscheint uns jedoch etwas zu optimistisch“, fügt er an, denn es sei durchaus nicht sichergestellt, dass vor allem im privaten Bereich, beispielsweise mit Blick auf die Elektromobilität, das volle Lastverschiebepotenzial auch dauerhaft und über längere Zeiträume zur Verfügung steht. Mit dieser und weiteren Fragen soll sich deshalb eine neue VDE ETG Task Force beschäftigen. „Wir brauchen weitere Mitstreiter. Wer in der Task Force mitarbeiten möchte, wendet sich an die VDE ETG Geschäftsstelle etg@vde.com“, bittet Wolter.

Die sieben Thesen im Überblick

  1. These: Flexibilisierung kostet (gegebenenfalls viel) Geld.
  2. These: Flexibilisierung ist kein planerisches Instrument zum Ersatz von Netzausbau, sondern ein betriebliches Werkzeug für Übergangszeiträume.
  3. These: Verhaltensvariabilität lässt sich auch weiterhin sinnvoll über Gleichzeitigkeitsfaktoren abbilden.
  4. These: Für die Überbrückung von Perioden mit geringem EE-Erzeugungspotenzial (sog. Dunkelflauten) sind flexible Erzeugungsanlagen erforderlich – hierfür kommen auch geeignete Speicher (Langzeitspeicher) in Frage.
  5. These: Lastflexibilisierung mit dem Ziel der Anpassung an eine stochastische regenerative Erzeugung ist aus Sicht der Nutzungseffizienz und damit der Ökologie vorteilhaft.
  6. These: Flexibilisierung braucht Flexibilitäten.
  7. These: Flexibilität erfordert einen entsprechenden Regulierungsrahmen.
ew-Redaktion

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