In einem Pilotprojekt in Hagen zeigt The Mobility House, wie Elektrofahrzeuge als Regelkraftwerke in das deutsche Stromnetz integriert werden können

In einem Pilotprojekt in Hagen zeigt The Mobility House, wie Elektrofahrzeuge als Regelkraftwerke in das deutsche Stromnetz integriert werden können (Bildquelle: The Mobility House)

Die Zukunft begann mit einer Tasse Kaffee: Im Jahr 2016 zapfte das Unternehmen The Mobility House die Batterie eines Elektrofahrzeugs an, um die Kaffeemaschine seines Münchner Büros mit Energie zu versorgen. Möglich wurde dies durch die ­Chademo-Ladeschnittstelle des japanischen Autoherstellers Nissan. Mit ihr gelingt es, den Strom über das Ladekabel des Elektrofahrzeugs in beide Richtungen fließen zu lassen. Dieses Pilotprojekt des bidirektionalen Ladens war ein erster Schritt hin zu einer weitaus umfassender gedachten aktiven Einbindung von Elektrofahrzeugen in das Stromnetz – Vehicle-to-Grid (V2G) genannt.

Vehicle-to-Grid-Pilotprojekt in Hagen

Gut drei Jahre und einige Tüfteleien, Pilotprojekte und Expertenrunden später gelang der nächste Meilenstein, die bislang technologisch und regulatorisch anspruchsvollste Anwendung: Erstmals wurde im Oktober 2018 ein Elektrofahrzeug, erneut ein Nissan Leaf, gemäß allen Anforderungen der Übertragungsnetzbetreiber für die Primärregelleistung präqualifiziert und als Regelkraftwerk in das deutsche Stromnetz integriert. Seitdem kann innerhalb von Sekunden je nach Bedarf überschüssiger Strom aus dem Stromnetz aufgenommen oder eingespeist werden, um die Netzfrequenz stabil zu halten.

Damit zeigen die Projektpartner zum einen, wie mit Vehicle-to-Grid als innovative Lösung zur Stabilisierung des Stromnetzes beigetragen werden kann, und wie sich damit zum anderen auch Geld verdienen lässt. Außer The Mobility House sind an dem Projekt auch der Energieversorger Enervie – Südwestfalen Energie und Wasser AG, der Übertragungsnetzbetreiber Amprion GmbH und der Automobilhersteller Nissan beteiligt. Dies zeigt: Elektrofahrzeuge können in der Energiewelt nicht nur Probleme verursachen, wie oft angenommen wird, sondern auch zur Lösung der Probleme im Netz beitragen.

Dabei sind die Sorgen der Netzbetreiber bezüglich der steigenden Verbreitung der Elektromobilität durchaus nachvollziehbar: Viele, zur gleichen Zeit ladende Elektrofahrzeuge in derselben lokalen Netzumgebung können örtliche Netze in die Knie zwingen, so die Befürchtung. Doch erste, groß angelegte Pilotprojekte, wie das Projekt der EnBW in einem Wohngebiet in Ostfildern-Ruit, zeigen immerhin, dass nur selten mehrere Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden sollen. Und auch für diesen Fall gibt es außer dem Ausbau der Netzinfrastruktur eine deutlich günstigere Lösung: das intelligente Steuern der Ladevorgänge.

Dabei kommt dieselbe Technologie zum Einsatz, mit der The Mobility House bei Enervie in Hagen den Nissan Leaf als Sekundenreserve im Stromnetz betreibt. Das Lade- und Energiemanagementsystem des Unternehmens ist auch dazu geeignet, potenzielle Lastspitzen abzufedern, indem es Ladevorgänge eigenständig entweder zeitlich versetzt oder in der Leistung reduziert. Dabei hat der Nutzer des Elektrofahrzeugs davon keinen Nachteil, schließlich befindet sich ein Fahrzeug durchschnittlich ohnehin 23 Stunden am Tag ungenutzt im Parkzustand und legt täglich im Schnitt nur 40 km zurück. Das Laden der knapp 10 kWh Strom, die es dafür benötigt, kann mit geringer Leistung problemlos auch zu Schwachlastzeiten am Tag oder auch in der Nacht erfolgen.

Intelligentes Lademanagement für Flottenbetreiber

Wie vielseitig das Lade- und Energiemanagementsystem von The Mobility House ist, zeigt sich vor allem im Einsatz für größere Flotten. Sollen mehrere Fahrzeugen an einem Standort geladen werden, kann ein teurer Netzausbau vermieden werden, indem die verfügbare Ladeleistung intelligent gesteuert auf alle Elektrofahrzeuge verteilt wird. Dabei können auch individuelle Wünsche berücksichtigt werden, wenn zum Beispiel ein Fahrzeug möglichst schnell oder zu einer bestimmten Abfahrtszeit vollständig geladen sein muss. Zudem berücksichtigt es die aktuelle Gebäudelast und stellt eine optimale Phasenbelastung sicher, damit die zum Laden vorhandene Gesamtleistung auch bestmöglich genutzt wird. Darüber hinaus bietet es Schnittstellen zu anderen Systemen, damit zum Beispiel die Ladevorgänge von Dienstwagen abgerechnet und Flottenverbräuche ausgewertet werden können.

Auch eine Optimierung des Eigenverbrauchs von Photovoltaikanlagen sowie die Integration von Ladestationen in ein Smart-Home-System sind möglich. Aktuell entwickelt The Mobility House eine Schnittstelle auf IEC-Basis zum Netzbetreiber. Damit kann künftig zum Beispiel das Ladeverhalten von Elektrofahrzeugen auch Netzengpässe berücksichtigen und zur Stabilität des Stromnetzes beitragen – beispielsweise dort, wo in einem Straßenzug mehrere Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge betrieben werden.

Lösung, statt Problem

»Elektrofahrzeuge sind für die Netze kein Problem, sondern eine Lösung«, sagt Marcus Fendt, Geschäftsführer von The Mobility House. Allerdings sei der Energiebranche noch kaum bewusst, welche Chancen und Möglichkeiten in den Batterien von Elektrofahrzeugen und dem intelligent gesteuerten Laden liegen. In einem weiteren Pilotprojekt mit dem Netzbetreiber Tennet zeigen die beiden Unternehmen zum Beispiel, wie sich Engpässe im Übertragungsnetz vermeiden lassen. Während der Projektphase werden Nissan-Elektrofahrzeuge in der Tennet-Regelzone in Nord- und Süddeutschland als mobile Energiespeichersysteme genutzt, um lokale Überlastungen in der Stromversorgung beziehungsweise -nachfrage unmittelbar zu reduzieren. Erzeugen zum Beispiel die Windparks in der Ostsee mehr Strom als in die Verbrauchsschwerpunkte in Süddeutschland transportiert werden kann, so lässt sich dieser in Norddeutschland in Elektrofahrzeugen zwischenspeichern. Strommangel in Süddeutschland kann wiederum mit überschüssiger Energie aus den Batterien der Elektrofahrzeuge ausgeglichen werden.

Positive Effekte auf Leistungsfähigkeit der Batterien

Befürchtungen, dass die Batterie eines Elektrofahrzeugs durch die zusätzliche Belastung schneller verschleißen könnte, haben sich bislang in mehreren Jahren des Testens und Ausprobierens nicht bestätigt. Da das Lade- und Energiemanagementsystem darauf ausgelegt ist, einen Speicher möglichst schonend zu behandeln und in einem optimalen Ladezustand zu halten, lässt sich seine Lebensdauer sogar positiv beeinflussen. Dies hat eine begleitende Studie der Technischen Universität München gezeigt.

Zum Beispiel hat The Mobility House aus dem Speicher des Nissan Leaf für den Einsatz in der Primärregelung mit 8 kW nur einen kleinen Teil seiner maximalen Leistungsfähigkeit angeboten »und damit in nur einer Woche 20 € verdient«, erklärt Fendt. Hochgerechnet auf das ganze Jahr kommen so an die 1 000 € zusammen – womit der Fahrstrom eines Elektrofahrzeugs für gut 15 000 km bereits mehr als bezahlt wäre. Das macht die Anwendung umso interessanter für Flottenbetreiber, die möglichst kosteneffizient wirtschaften müssen.

Allerdings gibt es auch noch einige Hindernisse, bis sich Vehicle-to-Grid als Alltagslösung durchgesetzt haben wird. Beispiele hierfür sind die Kosten für die Ladetechnik, die Verfügbarkeit geeigneter Fahrzeuge, regulatorische Hürden sowie die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Bei der Lösung mancher dieser Probleme dürfte die ein oder andere Tasse Kaffee eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

The Mobility House

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