Um rechtzeitig Planungssicherheit zu erhalten, sollten Betreiber von Windparks frühzeitig, spätestens jedoch ein halbes Jahr vor Ablauf der Entwurfslebensdauer das Weiterbetriebsgutachten in Auftrag geben.

Um rechtzeitig Planungssicherheit zu erhalten, sollten Betreiber von Windparks frühzeitig, spätestens jedoch ein halbes Jahr vor Ablauf der Entwurfslebensdauer das Weiterbetriebsgutachten in Auftrag geben. (Quelle: Tüv Süd)

In der Regel sind Windenergieanlagen (WEA) für einen Betrieb von 20 Jahren ausgelegt. Ein Repowering ist danach nicht immer ohne weiteres möglich – zum Beispiel aufgrund neuer Abstandsregeln oder wenn das Areal zwischenzeitlich zu einem Naturschutzgebiet umgewidmet wurde. Neue Anlagen können dann zwar nicht gebaut werden, es gilt aber Bestandsschutz. Abhängig von den Standortparametern sowie den Wind- und Turbulenzbedingungen haben viele WEA zudem noch Designreserven. Vor dem endgültigen Rückbau bietet sich dann ein Weiterbetrieb an – auch im Sinne der Nachhaltigkeit.

Eigentümer und Betreiber von Windparks sollten daher Potenziale über das Ende der Entwurfslebensdauer hinaus identifizieren und nutzen. Die Typenprüfung beziehungsweise Typenzertifizierung weist die grundlegende Sicherheit für die veranschlagte Lebensdauer der Anlage nach – vorausgesetzt, die Auflagen zu Wartung und Betrieb sowie zur Standortwahl wurden beachtet. Erreicht die Anlage das Ende der vorgesehenen Lebensdauer, kann ein entsprechendes Gutachten die möglichen Reserven für den Weiterbetrieb aufzeigen: Mit einer »Bewertung und Prüfung über den Weiterbetrieb von Windenergieanlagen« (BPW) erhalten Betreiber eine verlässliche Aussage darüber, welches Potenzial in ihren Anlagen steckt und welche Maßnahmen dafür nötig sind. So weisen sie die Eignung ihrer Anlagen gegenüber der Genehmigungsbehörde nach.

Die Grundsätze der BPW hat der Bundesverband Windenergie (BWE) gemeinsam mit Herstellern, Betreibern, Sachverständigen, Behörden und Juristen erarbeitet. Sie legen die Anforderungen an den sicheren und wirtschaftlichen Betrieb fest und unterstützen so die nachhaltige Nutzung von Windenergie. Die BPW soll aufzeigen, wie stark eine WEA tatsächlich beansprucht wurde. Maßgeblich dafür ist das Zusammenspiel zwischen Standortbedingungen und Lastreserven sowie dem tatsächlichen Zustand der WEA.

Die BPW gliedert sich in zwei Blöcke: einen analytischen und einen praktischen Teil. Beim analytischen Teil wird aus dem WEA-Design, das in der Typenprüfung definiert ist, und aus den tatsächlichen Standortbedingungen eine theoretische Lebenszeit errechnet. Durch Komponentenwechsel oder Monitoringmaßnahmen kann diese zusätzlich verlängert werden. Der praktische Block legt zusätzlich zu einer turnusmäßig wiederkehrenden Prüfung (WKP) ein besonderes Augenmerk auf lastabtragende Bauteile von den Rotorblättern bis zum Fundament, aber auch die Sicherheitseinrichtungen, die Anlagensteuerung und die Bremssysteme. Ein Austausch der entsprechenden Fachleute mündet dann in einen Gesamtbericht, der die Ergebnisse zusammenfasst.

Gutachten für das gesamte Portfolio

Gerade bei homogenen Standortbedingungen mehrerer WEA ist es mitunter nicht rentabel, die maximale Lebensdauer jeder Anlage einzeln zu ermitteln. Wenn es zum Beispiel das Ziel ist, die WEA über einen bestimmten Zeitraum bis zu einem Repowering weiterzubetreiben, hilft eine Clusterung, um Zeit und Kosten zu sparen. Möchte man mit jeder einzelnen Anlage einen möglichst langen Weiterbetrieb erlangen, ist wiederum eine Einzelbetrachtung sinnvoll.

Die Begutachtung besteht aus einer theoretischen Analyse der zurückliegenden Betriebsphase, einer Begehung der Anlagen sowie einer anschließenden Berechnung der Lebensdauerreserven. Vorgaben zum Aufbau und zur Durchführung der BPW finden sich in der aktuellen DIBt-Richtlinie, in der DIN EN 61400-1 und in der Richtlinie DNV GL 2016. Ausgangspunkt sind die ursprünglichen Auslegungsbedingungen.

Anhand von Wetter- und Leistungsdaten und mithilfe der technischen Unterlagen, Wartungs-, Instandsetzungs- und Prüfprotokolle verschaffen sich die Sachverständigen ein detailliertes Bild der Betriebshistorie des Windparks. Zu den Standortbedingungen zählen auch durch die Rotorblätter erzeugte Turbulenzen, die sich auf benachbarte Anlagen auswirken.

Die rechnerische Analyse dient den Gutachtern als Grundlage, um bei der Begehung vor Ort gezielt den Zustand von lastabtragenden Baugruppen zu überprüfen. Sie prüfen vor allem den Zustand der Anlage. Korrosion oder Risse im Material lassen sich mit entsprechender Erfahrung schnell ausfindig machen und bewerten.

Computersimulationen geben Auskunft über die Lebensdauerreserven bis zum Erreichen der Auslegungslasten und darüber, welche Maßnahmen für den weiteren Betrieb unter Umständen erforderlich sind. Dazu berücksichtigen sie sowohl die Auslegungsbedingungen nach der Typenprüfung, als auch die ermittelten Bedingungen am Standort und die tatsächliche Beanspruchung.

Abhängig vom Ziel der BPW, also einen Weiterbetreib über einen definierten Zeitraum oder möglichst lange in Kombination mit den Standortbedingungen, reichen häufig kleine Reparaturen oder gezieltes Monitoring, um einen sicheren Weiterbetrieb für mehrere Jahre zu gewährleisten. Auch verschlissene Verkabelungen und oberflächliche, witterungsbedingte Schäden wie Korrosion oder abblätternde Schutzanstriche lassen sich leicht Instand setzen.

Frühzeitig auf Expertise setzen

Bei Tüv Süd arbeiten Spezialisten aus drei Fachabteilungen in enger Abstimmung gemeinsam an einem Gutachten. Feste Teams sorgen für Kontinuität und reibungslose Kommunikation. Schnittstellen werden weiter geschliffen und Prozesse optimiert. Ein weitgehend automatisiertes Reporting erfüllt sämtliche Anforderungen des BWE. Für die Computersimulationen und die Lastberechnungen nutzen die Experten etablierte Industriesoftware. Eine eigene App unterstützt die Dokumentation vor Ort und erstellt aus den gesammelten Daten automatisch den Prüfbericht.

Das standardisierte Verfahren von Tüv Süd ist nicht nur preiswert und schnell – innerhalb von vier Wochen kann der Bericht vorliegen –, Betreiber profitieren auch davon, dass sie von einem einzigen Dienstleister einen vollständigen und alle Anlagen umfassenden Bericht erhalten. Außerdem bekommen sie Planungssicherheit: Die notwendigen Investitionen für die Weiterbetriebserlaubnis werden transparent und kalkulierbar. Das übersichtliche und leicht verständliche Dokument erleichtert schließlich auch das Genehmigungsverfahren.

Die Erfahrung zeigt, dass selbst bei unterschiedlichen Anlagentypen der Park häufig als ein Gesamtkomplex betrachtet werden kann. So entstehen Synergieeffekte und Betreiber decken mit einem Gutachten unter Umständen einen ganzen Windpark ab. Um rechtzeitig Planungssicherheit zu erhalten, sollten sie frühzeitig, spätestens jedoch ein halbes Jahr vor Ablauf der Entwurfslebensdauer das Gutachten in Auftrag geben.

Florian Weber, Wind Service Center, Tüv Süd Industrie Service GmbH, Regensburg

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