Entwicklung der gesicherten Leistung

Gaskraftwerke: Abb. 3 Entwicklung der gesicherten Leistung

Abb. 3 Entwicklung der gesicherten Leistung (Eigene Berechnung)

Eine auf den vier gezeigten Bausteinen basierende Analyse (siehe Abb. 3) zu der künftigen Entwicklung der gesicherten Leistung unter ausgewogenen Annahmen zeigt [20], dass bis 2030 ein ungedeckter Bedarf an gesicherter Leistung in der Größenordnung von 7 GW entsteht. Dieser wächst mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2040 auf bis zu 33 GW an. Der (erwartete) Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Laststeuerung tragen immer stärker zur gesicherten Leistung bei. Sie können den starken Rückgang der konventionellen Kapazitäten jedoch nicht vollständig kompensieren.

Gaskraftwerke als mögliche Lösung

Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung Gaskraftwerke zur Schließung der Engpasslücke einnehmen. Vor dem Hintergrund eines niedrigen Strompreisniveaus (an der Strombörse) und eines weiter erwarteten Anstiegs erneuerbarer Kapazität ist jedoch fraglich, ob ausreichend Investoren bereit sind, in neue Kraftwerke zu investieren. Die politischen Bestrebungen, den Stromsektor relativ zeitnah vollständig zu dekarbonisieren, stellen die Wirtschaftlichkeit von Investitionen in mit Erdgas betriebene Kraftwerke darüber hinaus zunehmend infrage. Vor dem Hintergrund der Dekarbonisierung des Energiesystems ist davon auszugehen, dass die Einsatzzeiten von Investitionen in Anlagen zur Erdgasverstromung über deren Lebensdauern von mehreren Jahrzehnten verteilt zu niedrig für eine Refinanzierung über den Strommarkt wären, sodass für Neubauten die Gefahr einer ausbleibenden Amortisation besteht. Welche Entwicklungen und Maßnahmen können den Zubau von Gaskraftwerken begünstigen bzw. erschweren?

  • Durch die weitere Reduzierung konventioneller Kapazität könnten in Zeiten von Dunkelflauten hohe Preisspitzen auftreten, die Investitionen in neue Gaskraftwerke ermöglichen. Gegenwärtig erscheint diese Entwicklung allerdings relativ unwahrscheinlich zu sein.
  • Alternativ wird die Etablierung eines Kapazitätsmarkts mit Ausschreibungen erforderlicher Kapazitäten schon lange diskutiert [21, 22]. Ein Vorteil dieser Maßnahme wäre die zugrunde liegende Technologieoffenheit. Ein Kapazitätsmarkt würde sich z.B. an Gaskraftwerke, virtuelle Kraftwerke, Industriebetriebe, die flexibel ihren Strombedarf reduzieren können, Windparks in günstigen Regionen und Speichertechnologien richten. Schwierigkeiten könnten aufgrund der Unsicherheiten, die mit der erforderlichen Prognose des auszuschreibenden Bedarfs einhergehen, entstehen. Zudem stellt sich die Frage, welcher Akteur den Bedarf an gesicherter Leistung abschätzen würde. Im gegenwärtigen Energiemarkt übernehmen die Rolle der „Bedarfsschätzung“ die Marktakteure, denn der stündliche Handel im Energiemarkt kommt einem Leistungsmarkt sehr nahe. Zu bedenken ist darüber hinaus, dass Diskussionen zur Einführung von Kapazitätsmärkten bereits Erwartungen wecken und etwaige Preisspitzen unterdrücken könnten.
  • Ein Ausbau der KWK-Förderung könnte den Bau weiterer Gaskraftwerke anreizen und durch aus der gekuppelten Produktion resultierende Effizienzgewinne helfen, den Gebäude- und Stromsektor weiter zu dekarbonisieren, wenn auch bei einem Betrieb mit fossilem Gas nur zu einem gewissen Grad. Allerdings zeichnen sich Spitzenlastkraftwerke durch wenig Volllaststunden aus und würden somit nur geringe Zahlungen darüber erhalten.
  • Bei den langen Lebensdauern von (neuen) Gaskraftwerken stellt sich auch die Frage, wie die angestrebte Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden kann. Ein Betrieb über den Status als fossile Brückentechnologie hinaus wäre bei der Verwendung von grünem Methan oder im Falle einer „H2-Readyness“ von CO2-neutralem Wasserstoff als Brennstoff möglich. Dieser Aspekt sollte daher bei heutigen Planungen nicht außer Acht gelassen werden. Die Verstromung von CO2-neutralen Gasen hätte auch weitere positive Effekte, da auf diese Weise Nachfrage für derartige Gase entsteht und auch ein Angebot angeregt wird. Ein baldiger wirtschaftlicher Betrieb von Gaskraftwerken mit CO2-neutralen Gasen ist jedoch nicht zu erwarten. Die Szenarien z.B. aus [5, 6, 23] kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen was die Mengen an CO2-neutralem Wasserstoff angeht, die in Gaskraftwerken umgesetzt werden, und ab wann es – wenn überhaupt – zu nennenswerten Mengen käme. Entsprechende Anreize könnten jedoch die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung flankieren und dafür sorgen, dass die entwickelte Technologie schneller in den Markt kommt. Eine baldige Konkretisierung der Wasserstoffstrategie würde daher helfen, Planungssicherheit in Bezug auf die Verstromung CO2-neutraler Gase in Gaskraftwerken zu schaffen. Ob dieser Weg allerdings wirtschaftlich sein kann, hängt nicht zuletzt am (internationalen) Marktpreis für CO2.
  • Das Schaffen eines Rahmens zur Verstromung von Erdgas mit CO2-Abscheidung und -speicherung oder – mit voriger Dampfreformierung des Erdgases – von blauem Wasserstoff könnte den CO2-neutralen Betrieb von Gaskraftwerken möglich und bei steigenden CO2-Preisen wirtschaftlich machen. Allerdings erfährt die CO2-Abscheidung und ‑Speicherung in der öffentlichen Debatte nur eine geringe Akzeptanz.

Fazit

Aus heutiger Sicht bleibt es demnach fraglich, ob die für die Sicherstellung der Versorgungssicherheit erforderlichen Gaskraftwerkskapazitäten tatsächlich rechtzeitig im Markt verfügbar sein werden. Die Ausstiege aus der Kernenergie und der Kohleverstromung sind hingegen politisch festgeschrieben und der Ausbau der erneuerbaren Energien verliert an Dynamik, sodass die Frage offen bleibt, wie die künftig zu erwartende Kapazitätslücke effektiv geschlossen werden kann. Das Potenzial anderer Optionen zur Bereitstellung zusätzlicher gesicherter Kapazitäten ist unter den getroffenen Annahmen nicht ausreichend, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Es bleibt zu befürchten, dass das Spannungsfeld zwischen Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit bestehen bleibt bzw. in den nächsten Jahren eher zunehmen wird.

Anmerkungen/Literatur

[1] Versorgungssicherheit, BNetzA, 2020, https://www.bundesnetzagentur.de, abgerufen am 03.09.2020.
[2] Auswirkungen des Kernkraftwerk-Moratoriums auf die Übertragungsnetze und die Versorgungssicherheit, BNetzA, 2011, https://www.bundesnetzagentur.de, abgerufen am 03.09.2020.

[3] Bericht der deutschen Übertragungsnetzbetreiber zur Leistungsbilanz 2018-2022, deutsche Übertragungsnetzbetreiber, 2020, https://www.netztransparenz.de/portals/1/Bericht_zur_Leistungsbilanz_2019.pdf, abgerufen am: 27.08.2020.

[4] Die meisten der in den Studien [5, 6] untersuchten Szenarien gehen davon aus, dass auch in Zukunft bis in das Jahr 2050 die Jahreshöchstlast sich in einem Bereich zwischen 80 und 100 GW bewegt. Deutlich höhere Werte weisen die Elektrifizierungsszenarien der dena-Leitstudie [6] auf, für die bis 2050 Anstiege der Jahreshöchstlast auf über 150 GW angegeben werden.

[5] Klimapfade für Deutschland, Boston Consulting Group; Prognos AG, 2018, https://bdi.eu/publikation/news/klimapfade-fuer-deutschland.

[6] dena-Leitstudie Integrierte Energiewende, Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena); ewi Energy Research & Scenarios gGmbH, 2018, https://www.dena.de/fileadmin/dena/Dokumente/Pdf/9261_dena-Leitstudie_Integrierte_Energiewende_lang.pdf, abgerufen am 17.08.2020.

[7] BDEW-Kraftwerksliste, BDEW, 2019, https://www.bdew.de/media/documents/PI_20190401_BDEW-Kraftwerksliste.pdf, abgerufen am 06.09.2020.

[8] Mit Ausnahme des kontinuierlichen Intraday-Handels, der auf Basis von Viertelstunden erfolgt.

[9] Die Photovoltaikkapazität wird bei der Abschätzung der Versorgungssicherheit nicht und die Windkapazität mit einem Beitrag zur gesicherten Leistung von 1 % der installierten Nennleistung berücksichtigt [3].

[10] Windenergie in Deutschland und Europa. Status quo, Potenziale und Herausforderungen in der Grundversorgung mit Elektrizität, VGB Powertech, 2018, https://www.vgb.org/studie_windenergie_deutschland_europa_teil2.html?dfid=93715, abgerufen am 03.09.2020.

[11] Monitoring-Bericht, BMWi, 2011, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/monitoringbericht-versorgungssicherheit-bereich-leitungsgebundene-versorgung-elektrizitaet.pdf?__blob=publicationFile&v=3, abgerufen am 03.09.2020.

[12] Optimal Allocation of Variable Renewable Energy Considering Contributions to Security of Supply, Jacob Peter und Johannes Wagner, 2018, https://www.ewi.uni-koeln.de/cms/wp-content/uploads/2018/10/EWI_WP_18-02_Optimal_allocation_of_variable_renewable_energy_considering_contributions_to_security_of_supply.pdf, abgerufen am 03.09.2020.

[13] Monitoringbericht, BMWI, 2019 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/monitoringbericht-versorgungssicherheit-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=18, abgerufen am 03.09.2020.

[14] Definition und Monitoring der Versorgungssicherheit an den europäischen Strommärkten, r2b energy, consentec, Fraunhofer ISI, TEP Energy, 2019, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/definition-und-monitoring-der-versorgungssicherheit-an-den-europaeischen-strommaerkten.pdf?__blob=publicationFile&v=18, abgerufen am 03.09.2020.

[15] BDEW zum Monitoringbericht Versorgungssicherheit Strom, BDEW, 2019, https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/bdew-zum-monitoringbericht-versorgungssicherheit-strom, abgerufen am 03.09.2020.

[16] Demand Response Potential: Available when Needed?, Müller, T.; Möst, D., 2018, Energy Policy, 115, S. 181 - S. 198.

[17] Elektromobili­tät und Strommarkt 2020 – die Ladestrategie macht in Unterschied, Hanemann, P.; Behnert, M.; Bruckner, T., 2016, Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 11, S. 77 - S. 80.

[18] Impact of different utilization scenarios of electric vehicles on the German grid in 2030, Hartmann, N.; Özdemir, E.D., 2011, Journal of Power Sources, 196, S. 2311 - S. 2318.

[19] Honda testet bidirektionales Laden, Zugehör, D., 2018, http://www.energate-messenger.de/news/179367/honda-testet-bidirektionales-laden, abgerufen am 16.09.2020.

[20] 20 % der Importkapazitäten und 5 % der installierten Windkapazität stehen als gesicherte Leistung zur Verfügung. Zudem wird ein linearer Anstieg des Potenzials zur Laststeuerung angenommen.

[21] Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve: Was ist der nächste Schritt? Eine Übersicht über die in der Diskussion befindlichen Modelle zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutschland, Agora Energiewende, 2013, https://www.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2012/Kapazitaetsmarkt-oder-strategische-Reserve/Agora_Hintergrund_Kapazitaetsmarkt_oder_strategische_Reserve_web.pdf, abgerufen am 16.09.2020.

[22] Die Kontroverse um Kapazitätsmechanismen für den deutschen Strommarkt, Schill, W.-P., Diekmann, J., 2014, https://www.diw.de/de/diw_01.c.458492.de/publikationen/roundup/2014_0005/die_kontroverse_um_kapazitaetsmechanismen_fuer_den_deutschen_strommarkt.html, abgerufen am 16.09.2020.

[23] Erfolgreiche Energiewende nur mit verbesserter Energieeffizienz und einem klimagerechten Energiemarkt - Aktuelle Szenarien 2017 der deutschen Energieversorgung, Nitsch, J., 2017, https://co2abgabe.de/wp-content/uploads/2017/05/20171207-Langfassung-SZEN-17-Nitsch-.pdf

[24] Kraftwerksliste, BNetzA, 2020, https://www.bundesnetzagentur.de, abgerufen am 03.09.2020.

Hendrik. Scharf (Hendrik.Scharf@tu-dresden.de), Carl-Philipp Anke, Philipp Hauser, Wissenschaftliche Mitarbeiter, Prof. Dr. Dominik. Möst, Lehrstuhlinhaber, Lehrstuhl für Energiewirtschaft, TU Dresden

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des vom BMWi geförderten Forschungsprojekts Erdgas-BRidGE (FKZ: 03ET4055A).

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