Neue Anforderungen an große bestehende Braunkohleanlagen

„et“: Könnte man die von Ihnen erwähnten Schlauchfilter in Deutschland verwenden?

Kather: Eine weitere Absenkung der Quecksilber-Emissionen durch Austausch der Elektro-Filter gegen Schlauchfilter hätte erhebliche Umbaumaßnahmen mit langen Stillständen der Anlagen zur Folge. Derartige Maßnahmen machen technisch-ökonomisch bei Bestandsanlagen im Hinblick auf die neuen gesetzlichen Restlaufzeiten keinen Sinn. Sie wären vielmehr unverhältnismäßig und würden zur vorzeitigen Abschaltung der Anlagen führen. Eine weitere Möglichkeit zur Abscheidung von Quecksilber ist das GORE Mercury Control System (GMCS). Dieses Verfahren befindet sich noch im Bewährungsstadium und hat noch nicht unter Beweis gestellt, dass mit ihm unter den Bedingungen in deutschen Kraftwerken ein längerfristiger Erfolg gesichert ist. Es ist auch kein positives Kosten-Nutzenverhältnis absehbar.
Bei allen Maßnahmen ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass die deutschen Kohlekraftwerke in den vergangenen Jahren mit einem relativ geringen Anteil von etwa 0,07 Prozent zu den weltweiten Quecksilberemissionen in Höhe von 7.500 Tonnen beitrugen. Dieser Anteil wird infolge der neuen Grenzwerte und des Kohleausstiegs ab dem Jahr 2030 auf etwa 0,03 Prozent mehr als halbiert und bis spätestens 2038 auf null sinken.

„et“: Wie bewerten Sie die neuen Vorgaben zum Stickoxidausstoß aus großen Braunkohleanlagen?

Kather: Die in den Verordnungs-Entwürfen der Bundesregierung festgelegten NOx-Emissionsgrenzwerte liegen allesamt innerhalb der von der EU vorgegebenen Emissionsbandbreite. Kritisch sehe ich hier die Einhaltung des von der EU geforderten und auch in der vorliegenden Verordnung übernommenen Grenzwerts von 175 Milligramm NOx pro Normkubikmeter Rauchgas als Jahresmittelwert für staubgefeuerte Braunkohle-Anlagen mit mehr als 300 Megawatt Leistung. Dieses obere Ende der Emissionsbandbreite hätte auf Basis der im BREF-LCP-Prozess gemeldeten NOx-Emissionswerte der Referenzanlagen richtigerweise mit einem Wert von 190 Milligramm pro Normkubikmeter festgelegt werden müssen.

„et“: Gibt es keine technischen Lösungsmöglichkeiten?

Kather: Alle im Rahmen des BREF-LCP-Prozesses gemeldeten Braunkohlekessel mit Staubfeuerung verfügten ausschließlich über feuerungsseitige Primärmaßnahmen zur Stickoxid-Minderung und über keine Sekundärmaßnahmen wie die SCR (Selektive katalytische Reduktion) oder SNCR (Selektive nichtkatalytische Reduktion). Der BREF-LCP-Beschluss erkennt daher die ausschließliche Anwendung von Primärmaßnahmen zur NOx-Emissionsminderung ausdrücklich als Beste Verfügbare Technik (BVT) für Braunkohlekessel mit Staubfeuerung über 300 Megawatt Leistung an. Für diese Anlagenart wäre mit den als BVT anerkannten Primärmaßnahmen ein NOx-Emissionsgrenzwert von 190 Milligramm pro Normkubikmeter sachgerecht. In einigen Fällen werden die festgesetzten 175 Milligramm pro Normkubikmeter aus technischen Gründen unverhältnismäßig sein, sodass Ausnahmen auf Einzelfallebene gerechtfertigt sind, was in der Begründung der neuen 13. BImSchV auch anerkannt wird.  

Die SCR ist unter Berücksichtigung des Umweltnutzens unverhältnismäßig. Die Kosten für eine SCR-Nachrüstung vor oder nach der Entstaubung in braunkohlestaubgefeuerten Kraftwerken würden die eingesparten Umweltkosten um mehr als das 2,7-fache übersteigen.
Vor einem großtechnischen Einsatz von SNCR in großen deutschen Braunkohlendampferzeugern wäre noch eine Vielzahl offener Fragen zu lösen. So kann weder eine hinreichend gleichmäßige Verteilung des eingesetzten Reduktionsmittels im Dampferzeuger sichergestellt, noch die Einhaltung des notwendigen Temperaturfensters gewährleistet werden. Bauartbedingt besteht bei Eindüsung von Harnstoff als Reduktionsmittel in großen Brennkammerquerschnitten zudem ein hohes Korrosionsrisiko, das bei der geforderten hohen Verfügbarkeit infolge der volatilen Einspeisung erneuerbarer Energien nicht beherrschbar wäre.

„et“: Was ist Ihr Fazit?

Kather: Es ist weiterhin kritikwürdig, dass die BVT-Schlussfolgerungen sowohl beim Quecksilber wie auch bei den Stickoxiden auf falschen Ableitungen beruhen. Die neuen Anforderungen an große bestehende Braunkohlekraftwerke werden gerade noch erfüllbar sein oder im Einzelfall Ausnahmeregelungen für die noch verbleibende Betriebsdauer erfordern.

„et“: Herr Prof. Kather, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Wieland Kramer, Journalist, Wuppertal, im Auftrag der „et“.

Beitrag als PDF downloaden


Aktuelle Zukunftsfragen Archiv Zukunftsfragen

2 / 2

Ähnliche Beiträge