Ein perfekter CO2-Grenzausgleich ist in der Praxis nicht möglich

Abb.: Anteile an den globalen CO2-Emissionen (in %)

Abb.: Anteile an den globalen CO2-Emissionen (in %)

Leider ist ein perfekter CO2-Grenzausgleich in der Praxis nicht umsetzbar. Das größte Problem ist, den CO2-Gehalt eines Gutes zu bestimmen. Man sieht 1 t Stahl nicht an, wieviel CO2 bei ihrer Produktion ausgestoßen wurde. Unternehmen verwenden unterschiedliche Produktionsverfahren, die unterschiedlich schmutzig sind. Wenn in der Produktion große Mengen elektrischer Strom verbraucht werden, ist die Frage, ob er aus erneuerbaren Quellen stammt oder nicht. Ein Land wie China könnte behaupten, dass es den Strom für seine Exporte aus dem Drei-Schluchten-Staudamm gewonnen hat, während der schmutzige Kohlestrom nur für heimische Konsumgüter verwendet wurde. Es gibt zahlreiche Mess- und Zuordnungsprobleme, die eine „objektive“ Bestimmung des CO2-Gehalts eines Gutes unmöglich machen.

Darum muss der Grenzausgleich an pauschalierten Werten ansetzen, also z.B. am durchschnittlichen CO2-Ausstoß, der bei der Produktion einer Tonne Stahl in der EU entsteht. Doch dann verliert der CO2-Preis einen Teil seiner Anreizwirkung: Durch eine pauschale Abgabe gewinnt ein Produzent nichts, der seine Emissionen verringert. Außerdem muss sich ein praktikabler Grenzausgleich auf wenige, besonders CO2-intensive Güter beschränken, also z.B. auf Stahl, Aluminium und Zement. Das verringert die Wirksamkeit und die potenziellen Einnahmen, die ohnehin zu einem guten Teil durch die administrativen Kosten aufgefressen werden.

Ein CO2-Grenzausgleich kann auch zu handelsrechtlichen und -politischen Problemen führen. Nach geltendem WTO-Recht sind Grenzabgaben nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig. Selbst wenn es gelingt, ihn WTO-rechtskonform zu gestalten, könnte er trotzdem Retorsionsmaßnahmen des Auslands provozieren.

CO2-Grenzausgleich: Zwei Grundmodelle

Wie kann ein CO2-Grenzausgleich dennoch gelingen? Die verschiedenen Vorschläge lassen sich auf zwei Grundmodelle zurückführen. Das erste schlägt einen importseitigen Grenzausgleich für ausgewählte energie- und handelsintensive Güter über den europäischen Markt für Emissionszertifikate vor. Importeure müssen Zertifikate kaufen, allerdings nicht direkt im ETS, sondern auf einem separaten Markt, auf dem Verschmutzungszertifikate für Importe ohne Mengenbeschränkung, aber zum selben Preis wie im ETS, angeboten werden. So soll verhindert werden, dass der Preis für Emissionszertifikate durch die zusätzliche Nachfrage der Importe beeinflusst wird. Bemessungsgrundlage sind die durchschnittlichen CO2-Emissionen in der EU, es sei denn, der Importeuer weist einen geringeren Ausstoß nach. Wenn im Ausland bereits ein CO2-Preis bezahlt wurde, so wird dieser angerechnet.

Auf der Exportseite müssen europäische Produzenten weiter ETS-Zertifikate erwerben. Eine Erstattung wäre vermutlich nicht WTO-rechtskonform. Auch die freie Zuteilung von Zertifikaten, die in der EU noch praktiziert wird, müsste wie geplant auslaufen.

Dieses Modell würde also nur auf der Importseite Wettbewerbsneutralität herstellen, nicht aber auf der Exportseite. Es hätte aber zwei Vorteile: Zum einen gibt es anderen Ländern einen Anreiz, ebenfalls eine vergleichbar hohe CO2-Bepreisung einzuführen. So können sie den bürokratischen Aufwand, der mit dem Grenzausgleich verbunden ist, vermeiden und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung selbst abschöpfen, die ansonsten der EU zufließen würden. Zum zweiten, ließe sich dieses Modell relativ leicht auf EU-Ebene einführen und gegebenenfalls auch wieder abschaffen. Beides wäre ohne Einstimmigkeit in der EU möglich.

Das zweite Modell setzt nicht an der Grenze, sondern beim inländischen Verbrauch an. Ausgewählte energie- und handelsintensive Güter werden beim Verkauf in der EU mit einer Verbrauchsabgabe belastet, unabhängig davon, ob das Gut im Inland oder im Ausland produziert wurde. Die Steuer wird pro Gewichtseinheit erhoben und orientiert sich an den durchschnittlichen CO2-Emissionen in der EU. Ausländische Produzenten können keine geringeren Emissionen geltend machen und auch keinen im Ausland bereits bezahlten CO2-Preis anrechnen lassen. Inländische Produzenten müssen zusätzlich Zertifikate im ETS nachweisen, die sie jedoch nach einem komplexen Benchmarksystem zum Teil frei zugeteilt bekommen.

Dieses Modell würde Wettbewerbsneutralität insofern herstellen, als in- und ausländische Produzenten dieselbe Verbrauchsabgabe im Inland und keine Abgabe im Ausland zahlen müssen. Die inländischen Produzenten werden durch die Teilnahme am ETS jedoch zusätzlich belastet. Größter Vorteil dieses Modells ist, dass es WTO-rechtskonform ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Retorsionsmaßnahmen provozieren würde. Es ließe sich aber in der EU nur einstimmig einführen (und wieder abschaffen), und es würde ein zusätzliches Instrument zum ETS implementieren, sodass die inländischen Produzenten erst doppelt belastet werden, um dann durch die freie Zuteilung von Zertifikaten wieder entlastet zu werden. Dadurch wird die Komplexität der klimapolitischen Regulierung in Europa deutlich erhöht. Schließlich würde dem Ausland kein Anreiz zur Einführung einer vergleichbaren CO2-Bepreisung gegeben und nichts zur internationalen Kooperation beigetragen.

Beide Modelle sind nicht überzeugend. Die angestrebte Wettbewerbsneutralität wird nur zum Teil hergestellt, weil der Grenzausgleich auf wenige Güter beschränkt bleibt und die inländischen Unternehmen entweder im Export oder durch die Doppelbelastung Verbrauchsabgabe plus ETS zusätzlich belastet werden. Das direkte Carbon Leakage wird nur teilweise verhindert, das indirekte besteht unverändert fort. Beide Modelle sind mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden und laden zu Lobbyaktivitäten und Betrug geradezu ein. Die moderaten zusätzlichen Einnahmen der EU würden durch die administrativen Kosten zum großen Teil aufgezehrt. Schließlich ist für das Klima wenig gewonnen, wenn die EU zur Klimafestung ausgebaut wird, ohne dass andere Länder bei der CO2-Bepreisung mitziehen.

Ein internationaler Klimaclub mit den wichtigsten Handelspartnern, der sich auf einen Mindestpreis für CO2 verständigt, würde viele dieser Probleme lösen. Innerhalb des Clubs würde Wettbewerbsneutralität erreicht und direktes Leakage vollständig verhindert. Auch das indirekte Leakage würde verringert, je größer der Club ist. Da nur noch ein kleiner Anteil der Importe vom Grenzausgleich betroffen wäre, wären die administrativen Kosten (aber auch die Einnahmen der EU) entsprechend geringer. Schließlich würde der Club den Drittstaaten einen starken Anreiz geben, die CO2-Mindestbepreisung ebenfalls einzuführen, um unbeschränkten Zugang zu diesem Wirtschaftsraum zu haben und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung selbst zu vereinnahmen.

Der Zeitpunkt für eine solche Initiative ist günstig. Der neue amerikanische Präsident Biden hat den Klimaschutz zu einer Priorität seiner Regierung erklärt und ähnlich ehrgeizige Klimaziele wie die EU formuliert. Wenn es in den USA zu einer CO2-Bepreisung kommt, dann nur zusammen mit einem Grenzausgleich. Das sehen alle Gesetzesvorhaben zur CO2-Bepreisung vor, die bisher in den Kongress eingebracht wurden. Da liegt es nahe, den Grenzausgleich mit der EU zu koordinieren, um sich wechselseitig davon ausnehmen zu können. 70 weitere Staaten haben in den letzten Monaten erklärt, bis 2050 klimaneutral zu werden, darunter Großbritannien, Kanada, Japan, Südkorea und viele andere wichtige Handelspartner. China will bis 2060 klimaneutral werden und führt gerade ein Emissionshandelssystem ein. Alle diese Staaten denken über Grenzausgleichssysteme nach. Alle würden von einer Harmonisierung profitieren, die den Freihandel innerhalb des Clubs unangetastet lässt.

Initiative für einen harmonisierten Grenzausgleich als erster Schritt

Die Initiative für einen harmonisierten Grenzausgleich als erster Schritt zu einem Klimaclub könnte von der EU, Großbritannien und den USA ausgehen. Eine Abstimmung mit Großbritannien ist auf jeden Fall notwendig, um die durch den Brexit strapazierten Handelsbeziehungen durch einen Grenzausgleich nicht noch mehr zu belasten. In den USA werden jetzt die Weichen für die klimapolitischen Maßnahmen gestellt, die Präsident Biden vor den nächsten Kongresswahlen in zwei Jahren durchsetzen muss. Wenn es im kleinen Maßstab gelingt, sich auf die Grundzüge einer gemeinsamen Politik zu einigen, können im nächsten Schritt andere Länder überzeugt werden, dem Grenzausgleichssystem beizutreten.

Ein gemeinsamer Grenzausgleich erfordert Abstimmung. Neben der Höhe des Mindestpreises müsste man sich über seine dynamische Anpassung in der Zukunft einigen und darüber, auf welche Güter und Sektoren sich die Bepreisung beziehen soll. Man muss Regeln für den Umgang mit klimapolitisch motivierten Subventionen finden, denn auch diese können den internationalen Wettbewerb massiv verzerren. In diesem Zusammenhang ist Kooperation bei Forschung und Entwicklung sowie bei industriellen Versuchsanlagen zentral. Schließlich muss man sich darüber verständigen, wie ärmere Mitglieder behandelt werden können und ob konditionale Seitenzahlungen erforderlich sind, um Länder zum Mitmachen zu bewegen. Und ganz wichtig ist natürlich Politikkonsistenz: Es ist geradezu grotesk, auf grüne Investitionsgüter wie Solaranlagen und Windturbinen wie bisher hohe Zölle zu erheben.

Ein plurilaterales Grenzausgleichsystem wäre ein erster, wichtiger Schritt hin zu einem umfassenden Klimaclub. Das koordinierte Vorgehen mit den Partnern wird etwas länger dauern als ein Alleingang. Aber das ist gut investierte Zeit: Nur kollektives Handeln kann wirksam zum globalen Klimaschutz beitragen.

Prof. G. Felbermayr, PhD, Präsident, Institut für Weltwirtschaft, felbermayr@ifw-kiel.de
Prof. Dr. K. M. Schmidt, Ordinarius für Volkswirtschaftslehre, Ludwig-Maximilians-Universität München, klaus.schmidt@lmu.de

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