Abbildung zum Thema: Energiekonzept 2010

Die Hoffnung auf einen Generationenwechsel ist heute der vielleicht aussichtsreichste Weg, den begonnenen Umbau der Energieversorgung zum Erfolg zu führen (Bild: Fotolia | peshkov)

Auf dem Gebiet der Kohleverstromung wird vieles von den Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ abhängen. Vielleicht erkennt die Kommission bei den Beratungen aber auch, dass die Gesamtkonstruktion einer auf dem Energiekonzept 2010 basierenden Politik überholt ist. Eine solche Botschaft wäre vor allem für junge Politiker ein Anreiz, sich an der Energiedebatte zu beteiligen und neue, zeitgemäße Rahmendaten für die Energiezukunft in Deutschland und Europa zu entwickeln.

Am Anfang steht eine Beobachtung. Wer heute auf das Projekt Energiewende schaut und sich die Zeit nimmt, etwas grundsätzlicher über dieses Vorhaben nachzudenken, wird auf einen bisher kaum wahrgenommenen Gegensatz stoßen. Zu Recht gilt die Energiewende als eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und wird, wie kaum ein anderes Vorhaben in Deutschland, von der Mehrheit der Bürger unterstützt. Andererseits fällt es schwer, Persönlichkeiten der Bundesregierung zu benennen, von denen man sagen könnte, dass sie die in 2010 beschlossene Neuausrichtung der Energieversorgung in Deutschland als ihre „große Lebensaufgabe“ betrachten. Die offensichtliche Neigung von Spitzenpolitikern, dem Energiethema – abgesehen von der üblichen Rhetorik – nicht zu nahe zu kommen, hat verschiedene Gründe. Der vielleicht wichtigste Grund liegt in der Geschichte des Energiekonzepts. Davon und den damit zusammenhängenden Entwicklungen soll hier die Rede sein. 

Zur Geschichte des Energiekonzepts

Sich mit Energiegeschichte zu befassen, ist ein schwieriges Unterfangen. Es hängt so vieles miteinander zusammen, dass man in einem überschaubaren Text immer nur einige Fäden aus einem Knäuel von Ereignissen, Entscheidungen und Entwicklungen herausziehen kann. Weiter wissen wir, dass unser Gedächtnis nicht immer zuverlässig arbeitet. Daher ist es ratsam, gelegentlich Originaleinschätzungen von Zeitzeugen zu hören. Wie war das also damals? Am 28.9.2010 legte die Bundesregierung ihr Energiekonzept vor [1]. Das Energiekonzept gilt gemeinhin als „Mutter der Energiewende“. Vermutlich haben nicht alle noch in Erinnerung (manche haben es vielleicht auch nie richtig verstanden), dass der zentrale Punkt des Energiekonzepts 2010 die Kernenergie war. Es ist hilfreich, sich noch einmal die Aussagen vor Augen zu führen, mit denen die Parteien 2009 in den Bundestagswahlkampf gezogen sind. Die Unionsparteien sind mit der Forderung angetreten, dass die Kernenergie eine unverzichtbare „Brückentechnologie“ sei und infolgedessen eine Laufzeitverlängerung für die sicheren deutschen Anlagen angestrebt werden müsse. Auch die FDP sprach sich für eine Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke aus. Beide Parteigruppierungen stellten sich damit in einen klaren Gegensatz zu den Beschlüssen der von 1989 bis 2005 regierenden rot-grünen Koalition. Diese hatte 2001 einen „Energiekonsens“ ausgehandelt, der einen schnellen Ausstieg aus der Kernenergie vorsah. Keiner kann zuverlässig sagen, ob das Thema Laufzeitverlängerung die Wahl entscheidend beeinflusst hat. Was man aber weiß ist, dass Union und FDP bei der Wahl am 27.9.2009 als Sieger hervorgegangen sind und die Regierung stellen konnten.

Nun muss man sich weiter erinnern, dass eine Laufzeitverlängerung der Kernenergie nicht nur von der Opposition abgelehnt wurde. Es gab auch innerhalb der Unionsparteien bzw. der FDP Widerstände. Schließlich war die Stimmung in der Bevölkerung eher gegen die Kernenergie als dafür. Es ist diese spezifische Konstellation, die man vor Augen haben muss, um die ungewöhnliche Konstruktion des dann am 28.9.2010 beschlossenen Energiekonzepts zu verstehen: Die Bundesregierung verknüpfte die Laufzeitverlängerung der Kernenergie ganz einfach mit den rot-grünen Vorschlägen für einen Weg in das Zeitalter von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Im Rückblick mag sich der eine oder andere wundern, dass diese Verbindung akzeptiert wurde. Sie stieß jedenfalls in der Öffentlichkeit und in den Medien auf wenig Kritik. Selbst die von einigen Fachleuten in die Welt gesetzte Zuspitzung „Das Energie-konzept sei doch eigentlich nichts Anderes als Trittin plus Laufzeitverlängerung“ fand in den einschlägigen Feuilletons kaum Widerhall [2].

Manchem Leser mag jetzt ein Licht aufgehen, warum sich die Bundesregierung im September 2010 entschieden hat, Deutschlands Weg in die Energiezukunft bis zum Jahr 2050 durch 30 quantitative Ziele festzuschreiben; und zwar im Detail und Petajoule für Petajoule. Die Vermutung liegt nahe, dass die ambitionierten Vorgaben zur Minderung von Treibhausgas-emissionen, zur Steigerung des Einsatzes der erneuerbaren Energien, zur Energieeinsparung, zur Reduktion des Stromverbrauchs, zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, zur Zukunft der Elektromobilität und die anderen ehrgeizigen Ziele vor allem die Funktion hatten, der Gegenseite die notwendigen Zugeständnisse bei der Kernenergie zu erleichtern bzw. möglich zu machen. Es stellte sich übrigens schnell heraus, dass sich die Konstrukteure des Energiekonzepts bei dieser Übung auf zum Teil ziemlich unrealistische Ziele eingelassen hatten [3]. Dass darüber kaum gesprochen wurde, hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass gerade diese visionären Vorstellungen von einigen Beobachtern als der entscheidende Beleg für die Glaubwürdigkeit der Politik für einen schnellen und weitreichenden Umbau der Energieversorgung gewertet wurden.

Wie auch immer man die politischen Entscheidungen in 2010 bewerten mag, es ist der Bundesregierung am Ende gelungen, die Laufzeit der Kernenergie ohne größere Auseinandersetzungen um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern. Wer weiß, vielleicht werden Wissenschaftler dieses Ergebnis später einmal in ihren Lehrbüchern als „Meisterstück großer Politik“ einstufen; und zwar ganz im Sinne von Konrad Adenauer, der erkannt hatte, dass es „in der Politik nicht auf die Stichhaltigkeit der Argumente ankommt, sondern nur auf deren Wirkung in der jeweiligen Situation“ [4]. Viele werden jetzt auch besser verstehen, warum es bei der Formulierung großer politischer Ziele in aller Regel nicht um die Zukunft, sondern immer um die Gegenwart geht.

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