Die Wende bei der Kernenergie

Die Kernenergiestrategie des Energiekonzeptes hatte kein langes Leben. Am 11.3.2011 bebte in Japan die Erde. Die Folge war eine Reihe von Unfällen an den Nuklearanlagen in Fukushima. Und das wiederum führte im Kontext der Landtagswahlen in Baden-Württemberg am 27.3.2011 zu einer Neubewertung der Kernenergie. Am 6.6.2011 entschied das Bundeskabinett, die vermeintlich so klug eingefädelte Laufzeit-verlängerung zurückzuziehen und nun genau das Gegenteil zu tun, nämlich möglichst rasch auf die Kernenergie zu verzichten. Beschlossen wurde, bis spätestens 2022 alle Reaktoren in Deutschland vom Netz zu nehmen.

233 Tage nach der Verabschiedung des Energiekonzepts stand die Politik vor einer neuen Situation. Das eine Element des Konzepts, die vorgesehene Laufzeitverlängerung der Kernenergie, war vom Tisch. Geblieben war das andere Element, die Zusage eines grundlegenden und schnellen Umbaus der Energieversorgung in Deutschland. Nun hängt der zweite Punkt in gewisser Weise von dem ersten ab. Das gilt vor allem für das im Energiekonzept gegebene Versprechen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu vermindern. Warum? Weil die Entscheidung der Bundesregierung nach Fukushima ja darauf hinauslief, dass in 2020 nur noch sechs von den in 2010 am Netz befindlichen 15 Kernkraftwerken Strom erzeugen werden. Weniger Kernenergie bedeutet zwangsläufig einen höheren Einsatz fossiler Brennstoffe und damit auch höhere CO2-Emissionen.

Außerhalb der politischen Welt und bei einem rationalen Planungs- und Entscheidungsprozess hätten sich die Verantwortlichen in einer solchen Situation vermutlich möglichst rasch daran gemacht, die energiewirtschaftlichen Vor-gaben an die neuen Daten anzupassen, etwa durch ein weniger anspruchsvolles CO2-Minde-rungsziel für 2020, einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien oder durch höhere Ziele bei der Energieeinsparung. Solche Anpassungen sind jedoch unterblieben. Die Bundesregierung hat sich nicht getraut, das Energiekonzept noch einmal anzupacken. Politisch gesehen ist das nur zu verständlich. Alte Hasen wissen, dass der gefährlichste Augenblick für eine Politik immer der ist, in dem eine mit großen Hoffnungen begonnene Reform wieder reformiert werden muss, und neigen in solchen Situation zur Vorsicht. Weiter kann man vermuten, dass die Verantwortlichen vor einer schnellen Anpassung der Planvorgaben auch deswegen zurückschreckten, weil zu befürchteten war, dass die Öffentlichkeit nach einem solchen Manöver Anlass gehabt hätte, das Energiekonzept mit seiner „Doppelstrategie“ als eine unseriöse Mogelpackung zu entlarven. Eine solche Einschätzung hätte die Akzeptanz der Bevölkerung für die Energiewende nicht unberührt gelassen. Das wollte sicher niemand riskieren [5].

Wer dem Gedankengang bis hierher gefolgt ist, ahnt schon, warum es kaum möglich ist, Schwergewichte in der deutschen Politik zu benennen, die sich mit Leib und Seele dem Projekt Energiewende verschreiben wollten. Dass nach Fukushima niemand aus der ersten Riege bereit war, sich mit der ungeliebten Kernenergie zu identifizieren, liegt auf der Hand. Bei einigem Nachdenken ist aber auch die Zurückhaltung gegenüber den Vorstellungen eines rasanten Umbaus der Energieversorgung in Richtung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien erklärbar. Man kann vermuten, dass hier die Umsetzungsprobleme des ja unter ganz anderen Voraussetzungen zustande gekommenen Projekts eine entscheidende Rolle spielen. Jeder musste nach Beschäftigung mit dem Sachverhalt und nach Gesprächen mit Fachleuten zu der Einsicht gelangen, dass die meisten der vorgegebenen Ziele des Energiekonzepts nur schwer und manche gar nicht zu erreichen sein werden. Kann man Politikern einen Vorwurf machen, wenn sie zögerlich sind, sich mit ihrem Namen für „eine Wende“ zu engagieren, bei der das Scheitern – zumindest für das Jahr 2020 – geradezu vorprogrammiert ist?

Neue Aufgaben für die Bürokratie

In der Politik weiß man, dass die Lösung eines Problems auch darin bestehen kann, jemanden zu finden, den man mit der Lösung des Problems beauftragen kann. Und so hat die Bundesregierung die praktische Umsetzung der Energiewende nach und nach und mehr und mehr in die Hände der Ministerialbürokratie gegeben. Damit sind Entwicklungen möglich geworden, die zu Zeiten, als im Wirtschaftsministerium noch der Anschein von Ordnungspolitik und Marktwirtschaft ernst genommen wurde, undenkbar gewesen wären. Gemeint sind die gewaltige Expansion gesetzlicher Regelungen auf dem Energiegebiet, der steigende Einsatz von Fördermitteln zur Steuerung des Energiemarktes und schließlich die wachsende Personalausstattung in der Ministerialverwaltung. Es lohnt sich, diese Punkte etwas näher zu betrachten.

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