Druckpunkt-Analyse der Szenarien

Abb. 1 zum Thema EU-2030-Klimaziele / Druckpunkte und Ventile im Szenario „Anteile konstant“

Abb. 1 Druckpunkte und Ventile im Szenario „Anteile konstant“

Abb. 2 zum Thema EU-2030-Klimaziele / Druckpunkte und Ventile in Szenario („nur ETS“)

Abb. 2 Druckpunkte und Ventile in Szenario („nur ETS“)

Ausgehend von den vorherigen Ergebnissen stellt sich die Frage, welcher politische bzw. ökonomische Handlungsdruck (Druckpunkt) durch höhere Ziele bzw. Zertifikatspreise entsteht und, damit verbunden, welche Optionen es gibt, um den Druck zu reduzieren bzw. an eine andere Stelle umzuleiten (Ventile). Dabei nehmen wir an, dass das Vermeidungspotenzial konstant bleibt und fokussieren auf regulatorische Flexibilitätsoptionen. Eine gute Veranschaulichung dafür bietet das Prinzip der kommunizierenden Röhren.

Szenario „Anteile konstant“

Die Tabelle zeigt, dass im Szenario „Anteile konstant“ der Zertifikatspreis im ETS im Jahr 2030 nur relativ moderat um 10 €/t bzw. 16 €/t (im Vergleich zum Status Quo) steigt. Dies würde nur moderaten Druck auf Energiewirtschaft und Industrie ausüben. In den non-ETS-Sektoren hingegen müssten die Emissionen im Jahr 2030 in Deutschland nicht mehr auf 295 Mt (40 % EU-Ziel), sondern deutlich stärker auf 240 Mt (50 % EU-Ziel) bzw. 212 Mt (55 % EU-Ziel) gesenkt werden. Angesichts des Umstands, dass trotz des Klimaschutzpakets 2030 sogar die bestehenden deutschen Klimaschutzziele voraussichtlich verfehlt werden [9], führt dies zu substanziellen Druckpunkten.

Tab.: Prozentuale Minderungsziele (mit 1990 als Basisjahr für das Gesamtziel, und 2005 für Sektorziele) und entsprechende Emissionen im Jahr 2030 in den ETS-/non-ETS Sektoren für EU und Deutschland; für die Status Quo Zielarchitektur sowie zwei Szenarien zur Aufteilung sektoraler Minderungsziele, jeweils bei Anschärfung des 2030 Ziels auf 50% oder 55%
EUDeutschland
Gesamt*
(relativ zu 1990)
ETS
(relativ zu 2005)
non-ETS
(relativ zu 2005)
ETS**
(ETS Preis in 2030)
non-ETS
(relativ zu 2005)
Status Quo-Zielarchitektur
3.432 Mt
(40%)
1.334 Mt
(43%)
2.010 Mt
(30%)
274 Mt
(27 €/t)
295 Mt
(38%)
Szenario „Anteile konstant“
2.860 Mt
(50%)

2.574 Mt
(55%)
1.026 Mt
(56%)

872 Mt
(63%)
1.746 Mt
(39%)

1.614 Mt
(44%)
244 Mt
(37 €/t)

221 Mt
(43 €/t)
240 Mt
(50%)

212 Mt
(55%)
Szenario „nur ETS“
2.860 Mt
(50%)

2.574 Mt
(55%)
762 Mt
(67%)

476 Mt
(80%)
2.010 Mt
(30%)

2.010 Mt
(30%)
190 Mt
(52 €/t)

134 Mt
(72 €/t)
295 Mt
(38%)

295 Mt
(38%)
* Weitere Emissionen außerhalb der ETS- und non-ETS Sektoren eingeschlossen (internationaler Flugverkehr)
** Modellergebnisse aus [5]; modellbedingt nur Emissionen in den Sektoren „Strom“ und „Industrie (ETS)“; Zertifikatspreise 2030 in Klammern
Quellen: Gesamtemissionen | Emissionen in den ETS und non-ETS Sektoren ("Figure 3")

Wenn man von weiteren nationalen Instrumenten absieht, gibt es dafür verschiedene entlastende Ventile (Abb. 1):

(1) Eine Neuverhandlung der EU-Lastenteilung in den non-ETS-Sektoren mit dem Ziel, den relativen Anteil Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern zu reduzieren. Spielraum besteht hier vor allem mit Blick auf die osteuropäischen Länder, deren aktuelle Ziele (implizite Lastenteile) im Bereich von 0 % (Bulgarien) bis 7 % (Polen) liegen. Aufgrund der geringen Wirtschaftskraft dieser Länder wird eine Neuverteilung allerdings kaum ohne zusätzliche Transfermechanismen zu bewerkstelligen sein. Der neu eingerichtete Just Transition Fund wäre eine Option – allerdings ist er v.a. auf Regionen zugeschnitten, die stark von Kohle und emissionsintensiven Industrien abhängig sind [10]. Es wäre also ein dezidierter und breiter angelegter Transfermechanismus nötig.

(2) Ein weiteres Ventil ist Flexibilität im Hinblick auf die Anrechnung von ETS-Zertifikaten für das Erreichen der non-ETS-Ziele (Linking). Ein entsprechender Mechanismus in der Lastenteilungsverordnung besteht bereits, wird jedoch von Deutschland bisher nicht genutzt. Dies könnte man in Zukunft ausweiten – was je nach Umfang zu einem mehr oder weniger starken Anstieg der ETS-Preise führen würde. Dies wäre kosteneffizient, weil dadurch die Grenzvermeidungskosten in den ETS- und non-ETS-Sektoren angeglichen würden. Außerdem könnte es institutionell durch sukzessive Ausweitung zu einem sektorübergreifenden ETS führen, für den sich die Bundesregierung im Klimaschutzpaket 2030 ausgesprochen hat. Diese Option sollte in der Überarbeitung der ETS-Richtlinie und Lastenteilungsverordnung berücksichtigt werden, für die die Europäische Kommission im Juni 2021 Vorschläge veröffentlichen will [11].

Ein drittes Ventil (3) könnte auch die Anrechnung der Emissionsvermeidung in Drittländern (Artikel 6 Pariser Klimaabkommen) sein, was jedoch aufgrund der unsicheren Wirkung kritisch geprüft werden muss.

Szenario „nur ETS“

Im Szenario „nur ETS“ steigt der Zertifikatspreis im ETS im Jahr 2030 um 25 €/t bzw. 45 €/t relativ stark gegenüber dem Status Quo (siehe Tab.). Dies würde vor allem einen Druckpunkt in der Industrie erzeugen. Konkret: es erhöhen sich sowohl direkt (höhere Zertifikatspreise) als auch indirekt (höhere Strompreise) die Belastungen für die Industrie und damit auch das Carbon Leakage- Risiko. Gleichzeitig werden die bisherigen freien Zuteilungen geringer und es gelten weniger umfassende Regelungen für die Strompreiskompensation. Hier gibt es zwei entlastende Ventile (siehe Abb. 2):

(1) Die Einführung eines Grenzausgleichsmechanismus, für den die Europäische Kommission aktuell drei Optionen diskutiert [12]: (a) eine CO2-Steuer auf heimische und importierte Güter, (b) eine Importsteuer in Höhe des ETS-Preises, und (c) eine Verpflichtung zur Einreichung von ETS-Zertifikaten in entsprechender Höhe. Momentan wird Option (b) präferiert, was allerdings wesentliche Implikationen für das andere Ventil hätte:

(2) Technologiepolitiken für die Industrie: Diese subventionieren die Dekarbonisierung der Industrie und reduzieren somit Wettbewerbsnachteile. Entsprechende Maßnahmen sind der ETS-Innovationsfonds auf europäischer Ebene und die Reallabore auf nationaler Ebene. Im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie soll darüber hinaus auch ein Pilotprogramm für Carbon Contracts for Difference (CfD) aufgebaut werden. Diese Form der Förderung setzt finanziell bei den freien Zuteilungen von Zertifikaten für die Industrie an, deren Beibehaltung laut Einschätzung der Europäische Kommission jedoch nicht mit einem Grenzausgleichsmechanismus vereinbar wäre [12]. Je nach Instrumentierung sind die beiden Ventile also keine Komplemente, sondern Substitute.

Die hohen Zertifikatspreise würden auch in der Energiewirtschaft zusätzlichen Druck erzeugen. Der Kohleausstieg würde womöglich schneller erfolgen als im Kohleausstiegsgesetz geplant, und die Rentabilität von Gaskraftwerken könnte sich reduzieren.

Neben (3) Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zahlungen wie im aktuellen Kohleausstiegsgesetz [Stand: 30. Juni 2020]) könnte wiederum (4) eine Anrechnung von Emissionsvermeidung in Drittländern den Druck im gesamten ETS-Sektor senken.

Ausblick

Die komplexe Debatte um den richtigen Politik-Mix zur Ausbalancierung der verschiedenen Herausforderungen und einer Vermeidung von politischem „Überdruck“ –sowie daraus entstehenden Zielverfehlungen oder politischen Rückschlägen in der Klimapolitik – muss jetzt offen geführt werden.

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