Perspektiven für die Entwicklung in den Revieren

Abb. 1 Grafik Braunkohlenförderung 2019, 2020, 2021

Abb. 1 Grafik Braunkohlenförderung 2019, 2020, 2021

„et“: Zurück zum nationalen Spielfeld. Wie erfolgt die weitere Entwicklung in den Revieren, nachdem der Kohleausstieg real und unumkehrbar geworden ist?

Diercks: Für die Zukunft der rheinischen Braunkohle hat die nordrhein-westfälische Landesregierung im Frühjahr eine Leitentscheidung verabschiedet und damit die weiteren Umsetzungsschritte für die Entwicklung der Braunkohle-Tagebaue im Rheinland festgelegt. Die Leitentscheidung stellt einen geordneten Betrieb der Tagebaue Hambach und Inden sicher. Dort soll die Kohlegewinnung bereits 2029 enden.

Die Leitentscheidung bestätigt außerdem die energiewirtschaftliche Erforderlichkeit des Tagebaus Garzweiler. Der Tagebau Garzweiler kann und soll bis zum Auslaufen der Kohleverstromung Ende 2038 die verbleibenden Kraftwerke und Veredlungsbetriebe versorgen. Die Leitentscheidung führt zu planbaren Perspektiven für alle im rheinischen Revier tätigen Unternehmen und die dort lebenden Menschen sowie für die Städte und Gemeinden. Derzeit liegt die Zahl der direkt in der rheinischen Braunkohleindustrie Beschäftigten bei knapp 9.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

„et“: Welche zusätzlichen Anforderungen ergeben sich aus der Leitentscheidung?

Diercks: Die bereits laufenden und weit fortgeschrittenen Umsiedlungen werden planmäßig fortgesetzt, so dass für die Menschen, die ihre Lebensplanungen bereits darauf ausgerichtet haben, keine Unsicherheiten entstehen. Die Leitentscheidung für das rheinische Revier enthält aber auch Festlegungen, die die Tagebauplanung zusätzlich zu den bereits gravierenden Veränderungen herausfordern: Die RWE Power AG muss die geänderten Abstandsregelungen anpassen und die um einige Jahre verschobene Inanspruchnahme des dritten und letzten Umsiedlungsabschnitts im Tagebaubereich Garzweiler in die Planung integrieren. Außerdem hat die neue Leitentscheidung Konsequenzen für die Wiederherstellung der Autobahn A 61 sowie für die Ausgestaltung der Rekultivierung der ehemaligen Tagebauflächen.

„et“: Wie hat sich das rheinische Revier im vergangenen Jahr entwickelt und was ist in den kommenden Jahren zu erwarten?

Diercks: 2020 wurden in den Tagebauen Hambach, Garzweiler und Inden rund 51 Mio. t Braunkohle gewonnen. Auf dieser Grundlage leistet das rheinische Revier weiterhin einen hohen Beitrag für die Sicherheit der deutschen Stromversorgung. Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass die Beendigung der Kohlenutzung im rheinischen Revier bereits begonnen hat: Ende 2020 ging ein 300-MW-Kraftwerksblock am Standort Niederaußem außer Betrieb. Bis Ende kommenden Jahres sollen Anlagen mit insgesamt weiteren 2.500 MW folgen. Damit verringert sich die Erzeugungskapazität – einschließlich der Sicherheitsbereitschaftsblöcke – bereits bis 2023 um rund 40 %. 2022 endet auch die Produktion von Braunkohlebriketts im Rheinland. Insgesamt führen die geänderten Rahmenbedingungen dazu, dass im Rheinland mehr als 1 Mrd. t Braunkohle, deren Nutzung bereits genehmigt war, im Boden verbleiben. Und nicht unerwähnt sollte bleiben, dass der verbliebene Teil des Hambacher Forstes erhalten wird.

„et“: Wie gestaltet sich die Entwicklung in der Lausitz?

Diercks: Für die Lausitz wurden mit dem Revierkonzept bereits 2017 wesentliche Entscheidungen zur weiteren Entwicklung getroffen. Mit der Umsetzung des KVBG wird für die Versorgung der Lausitzer Kraftwerke deutlich weniger Kohle benötigt als im Revierkonzept von 2017 vorgesehen. In der Konsequenz muss die LEAG ihre Revierplanung anpassen und sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen die ursprünglich geplante Produktion reduzieren. In Brandenburg ist davon vor allem der Tagebau Welzow-Süd betroffen. Er wird, anders als zunächst vorgesehen, nicht in dem räumlichen Teilabschnitt II fortgeführt. Mit der Nichtinanspruchnahme des Teilabschnitts II ist ein Förderverlust von mehr als 200 Mio. t Braunkohle verbunden, die in diesem Feld lagern.

In Sachsen wird der Umfang des Tagebaus Reichwalde im Vergleich zu den bisherigen Planungen reduziert. Für die Inanspruchnahme des Teilfeldes Mühlrose im Tagebau Nochten ist indessen nach wie vor eine energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit gegeben. Aufgrund seiner Lage, der Beschaffenheit der Reichwalder Kohle sowie des Tagebaufortschritts gibt es dazu keine Alternative, um insbesondere das Kraftwerk Boxberg langfristig zu versorgen. Für die bereits laufende Umsiedlung von Mühlrose, die mit der Inanspruchnahme des gleichnamigen Teilfelds verbunden ist, liegt seit März 2019 ein unterschriebener und damit rechtskräftiger Umsiedlungsvertrag vor, der auch bereits umgesetzt wird.

Die in der Lausitz tätige LEAG geht davon aus, dass es mit dem jetzt angepassten Revierkonzept möglich ist, innerhalb einer knappen Generation das bisher auf die Braunkohle fokussierte Unternehmen zu einem breit aufgestellten Energie-, Infrastruktur- und Serviceunternehmen mit erheblicher Wertschöpfung umzugestalten. Damit bleibt das Unternehmen für die weitere regionale Strukturentwicklung der Lausitz als Ankerunternehmen bestehen und gibt der Region und ihren Menschen ein Maximum an Planungssicherheit. Aktuelle Beispiele für gezielte Investitionen in neue Geschäftsfelder sind der Energiespeicher BigBattery in Schwarze Pumpe, die Beteiligung am Gaskraftwerk Leipheim sowie PV-Anlagen auf Konversionsflächen und Windkraftanlagen auf Wiedernutzbarmachungs-Standorten.

„et“: Welche Perspektiven gibt es für das Mitteldeutsche Revier?

Diercks: Die genehmigten Lagerstättenvorräte im Mitteldeutschen Revier reichen bis zur geplanten Abschaltung der Kraftwerke Lippendorf und Schkopau Mitte der 2030er Jahre. Der Betrieb des Braunkohle-Industriekraftwerks Deuben wird bereits Ende 2021 enden, weil das Kraftwerk im Rahmen der Stilllegungsausschreibungen nach dem KVBG einen Zuschlag erhalten hat und dann stillgelegt werden muss.

In den beiden Tagebauen Profen und Vereinigtes Schleenhain sind die mit hohen Investitionen verbundenen Wechsel in neue Abbaufelder innerhalb der Tagebaue weitgehend abgeschlossen. Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain wird den Ort Pödelwitz und das Abbaufeld Groitzscher Dreieck mit dem Ort Obertitz nicht mehr für die Kohleförderung in Anspruch nehmen, auch wenn in Pödelwitz auf Basis eines Grundlagenvertrages aus dem Jahr 2012 rund 90 % der Einwohner bereits entschädigt und umgesiedelt wurden. Mit dieser Entscheidung wird im Mitteldeutschen Revier keine weitere Kommune im Zuge der Kohlegewinnung mehr umgesiedelt. Das Bergbauunternehmen MIBRAG wird gegenüber der bisherigen Unternehmensplanung rund sechs Jahre früher als geplant die Kohlegewinnung einstellen und damit den gesamtgesellschaftlich vereinbarten Kohlekompromiss mittragen.

„et“: Da gibt es noch einen „hidden champion“ im Mitteldeutschen Revier?

Diercks: Das in der breiten Bevölkerung nicht so bekannte Unternehmen ROMONTA gewinnt in der Nähe von Amsdorf und Halle etwa 500.000 t Rohkohle pro Jahr. Es handelt sich um eine wegen ihres hohen Bitumengehalts besondere Kohle. Das Unternehmen stellte 2020 daraus rund 14.200 t Rohmontanwachs sowie aus der Restkohle im Verbund mit einer thermischen Reststoff-Verwertungs-Anlage am gleichen Standort neben der notwendigen Prozesswärme auch Strom her. Die ROMONTA ist mit ihren Produkten als Weltmarktführer ein Beispiel für die wirtschaftlich tragfähige stoffliche Nutzung der Braunkohle. Das Unternehmen hält auch weiterhin an der Herstellung von Montanwachsen, also einer stofflichen Nutzung von Braunkohle, fest und investiert aktuell in alternative Wärmequellen, um in Zukunft auf die Verbrennung der Restkohle vollständig verzichten zu können.

Nationaler Kohleausstieg: Stand der Europäischen Beihilfeprüfung

„et“: Der nationale Kohleausstieg ist abhängig von der europäischen Beihilfeprüfung. Wie ist der aktuelle Stand?

Diercks: Die Europäische Kommission hat, wie in solchen Fällen üblich, eine Untersuchung eingeleitet, um zu prüfen, ob die von Deutschland geplanten Entschädigungszahlungen für die vorzeitige Stilllegung von Braunkohlekraftwerken mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen. Vorab hat die für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissarin, Margrethe Vestager, erklärt, dass der schrittweise Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Einklang mit den Zielen des europäischen Green Deal zum Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft steht. Andererseits gelte es, die wettbewerbspolitischen Aspekte zu prüfen.

Wir begrüßen das von der Bundesregierung eingeleitete Verfahren im Sinne von Transparenz und Akzeptanz. In unserer Stellungnahme haben wir u.a. darauf verwiesen, dass die Braunkohleunternehmen mit ihrer Unterschrift unter den öffentlich-rechtlichen Vertrag im Interesse einer einvernehmlichen, langfristig planbaren und fairen Lösung auf Rechtsmittel gegen den erheblichen Eingriff in grundrechtliche Rechtspositionen verzichten. Wir haben die Kommission gebeten, die Entschädigungen nach dem KVBG zügig und vollumfänglich zu genehmigen. Wir gehen davon aus, dass keine Beihilfe bzw. eine EU-rechtlich zulässige Beihilfe vorliegt.

„et“: Zum Schluss eine aktuelle Frage: Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres haben sich die Stromerzeugung aus Braunkohle und damit auch die Lieferungen der Unternehmen an die Kraftwerke der öffentlichen Versorgung kräftig erhöht. Wie passt diese Entwicklung in den energie- und klimapolitischen Kontext?

Diercks: Die Stromproduktion aus Braunkohlekraftwerken ist im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahr um etwa 30 % gestiegen. Da die Stromerzeugung aus Braunkohle im ersten Halbjahr 2020 in einer Größenordnung von knapp 35 % zurückgegangen war, ergibt sich im Dreijahresüberblick für das erste Halbjahr ein Rückgang von etwa 10 % bei der inländischen Braunkohleförderung und ein ähnlich hoher Rückgang bei den CO2-Emissionen aus Braunkohle zwischen 2019 und 2021 (siehe Abb. 1).

Diese Gesamtsicht passt gut in den energiepolitischen Kontext, weil die Braunkohle damit ihrem mehrjährigem Minderungspfad weiter folgt. Zudem verbirgt sich hinter diesen Zahlen das bekannte und bisher ungelöste Problem der volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Auf ein wind- und sonnenreiches Frühjahr 2020 folgte ein extrem windarmes und auch sonnenarmes Frühjahr 2021. Der Einsatz von Braunkohle und anderen konventionellen Energieträgern in der Stromerzeugung geschah komplementär. Die Entwicklung bestätigt nochmals, was die KWSB festgestellt hat: Die Braunkohle wird weiter gebraucht, bis sie durch Stromerzeugung durch erneuerbare Energieträger belastbar ersetzt werden kann.

„et“: Herr Dr. Diercks, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte der Journalist Wieland Kramer, Wuppertal im Auftrag der „et“.

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