Die Reform 2018

CO2-Emissionen im deutschen Energiesektor seit 1999

Abb. 2: CO2-Emissionen im deutschen Energiesektor seit 1999 (Quelle: [6])

Niedrige Preise und Überschüsse im Emissionshandelssystem machen deutlich, dass die Europäer Spielraum haben, um die Klimaziele, die sie im Emissionshandelssektor verfolgen, ambitionierter zu gestalten. Womit nicht gesagt sein soll, dass die bisher vereinbarten Ziele geringzuschätzen sind. Eine Reduktion um 40 % in einem Sektor, der deutlich über 40 % der CO2-Emissionen Europas umfasst, ist vermutlich die weltweit erfolgreichste politische Klimaschutzmaßnahme. Dennoch sind die Bedingungen günstig, noch mehr zu erreichen. Wie sollte man dabei vorgehen? Der einfachste und vermutlich beste Weg wäre, die Reduktion der Höchstmengen, die ab 2020 bei jährlich 2,2 % liegt, zu erhöhen. Damit würde die zusätzliche Reduktion gleichmäßig auf einen Zeitraum von mindestens zehn Jahre (bis 2030) verteilt. Das hätte den Vorteil, dass alle Akteure sich langfristig auf die Verschärfung des Klimaziels und die zusätzliche Verknappung der Emissionsrechte einstellen könnten. Die Preise würden zweifellos steigen, aber es müsste nicht mit dramatischen Preissprüngen gerechnet werden. Außerdem wäre die Reduktion langfristig angelegt, denn man kann sich leicht vorstellen, dass eine Reduktion von mehr als 2,2 % für die Zeit nach 2030 leichter durchzusetzen sein wird, wenn sie jetzt, in Zeiten niedriger Preise und hoher Überschüsse beschlossen wird.

Eine andere Alternative wäre die schonende Einbeziehung weiterer Sektoren gewesen. Man hätte die Überschüsse nutzen können, um beispielsweise den Verkehrssektor zu integrieren, ohne die Emissionsobergrenze um die gesamte Jahresemission dieses Sektors erhöhen zu müssen. Auf diese Weise wäre es möglich gewesen, den Verkehr bei weiterhin niedrigen Preisen und deutlich abgesenkter Gesamtemission einzubeziehen.

Leider ist die EU keinen dieser einfachen und vielversprechenden Wege gegangen. Im Jahr 2014 wurde als Reaktion auf die niedrigen Preise beschlossen, die Versteigerung von Emissionsberechtigungen für 900 Mio. Tonnen auf 2019 zu verschieben („Backloading“). Dazu wurden 2014 bis 2016 jeweils 400, 300 und 200 Mio. Emissionsberechtigungen einbehalten. Schon in 2015 wurde beschlossen, diese Mengen nicht wie ursprünglich geplant in 2019 zu versteigern, sondern in eine Marktstabilitätsreserve zu überführen. Dabei wurde folgende Regelung für die zukünftigen Versteigerungen ab 2019 eingeführt: Falls der kumulierte Überschuss mehr als 833 Mio. Zertifikate beträgt, werden 12 % der Gesamtmenge (der kumulierten Überschüsse) dem Markt entzogen und der Reserve zugeführt. Sind weniger als 400 Mio. Zertifikate im Umlauf (kumulierter Überschuss), werden 100 Mio. zusätzliche Zertifikate aus der Reservemenge versteigert. Allerdings wurde auch diese Reform so nie umgesetzt, denn 2018 wurde beschlossen, anstatt 12 % nunmehr 24 % der Überschüsse einzubehalten und in die Reserve zu überführen, wenn der aggregierte Überschuss > 833 Mio. t ist. Entscheidend aber ist die folgende Regelung: Ab 2023 darf die Reserve maximal der Versteigerungsmenge des Vorjahres entsprechen. Zusätzliche Reserven werden gelöscht. Damit hängt die gelöschte Menge direkt von der Größe der Reserve ab.

Unterstellt man, dass sich die tatsächlichen Emissionen linear weiter reduzieren, dann zeigt sich, dass es in 2023 zu einer massiven Löschung von Emissionsrechten im Umfang von mehr als einer Gigatonne CO2-Emissionen kommen dürfte. Danach ist die Reserve weitgehend abgeschmolzen und ab 2026 werden keine Rechte mehr gelöscht. Ab 2026 ist die Emissionshöchstmenge wieder eine bindende Restriktion. Ab dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die Redundanz von zusätzlichen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten (zum Beispiel der Kohleausstieg in Deutschland) ist in der gleichen Weise gegeben wie vor der Reform, oder die Mitgliedsstaaten ergreifen in einem solchen Umfang zusätzliche Maßnahmen, dass der Cap dauerhaft unterschritten wird [4]. Sollte dies der Fall sein, wäre der Emissionshandel faktisch abgeschafft, denn wenn der Cap dauerhaft nicht bindet, muss der Preis auf Null fallen und die Mengen werden ausschließlich durch den Umfang der planwirtschaftlich verordneten „Zusatzmaßnahmen“ bestimmt. Das wäre zugleich das Ende des Versuchs, Klimapolitik kosteneffizient durchzuführen. Angesichts der Wirkungslosigkeit der deutschen „Zusatzmaßnahmen“ ist allerdings fraglich, ob es möglich ist, den Emissionshandel auf diesem „kalten“ Wege abzuschaffen.

Welche Bedeutung hat die Reform im Hinblick auf die eingangs dargestellte Redundanz nationaler Klimapolitik? An der allgemeinen Redundanz der nationalen Klimapolitik hat sich nichts geändert. Sie bleibt überflüssig, weil nach wie vor jedes Klimaziel mit dem Emissionshandel kostenminimal erreicht werden kann. Es bleibt dabei, dass nationale Klimapolitiken wie das EEG die Klimapolitik nur teurer machen können, aber nicht besser.

Die Redundanz im engeren Sinne ist aber durch die Reform tatsächlich abgemildert. Wird nun in Deutschland durch zusätzliche Maßnahmen wie das Einspeisen von Strom aus Wind- und Solarenergie CO2 eingespart, so erhöht das zunächst die Reservemenge, die bis 2023 angehäuft wird und damit letztlich die Menge gelöschter Emissionsberechtigungen in den Jahren 2023 bis 2025. Allerdings: Ab 2026 gilt die strikte Redundanz der nationalen Klimapolitik wieder, denn dann gibt es keine Reserve mehr und folglich kein Sammelbecken für die CO2 Mengen, die durch nationale Klimapolitik eingespart werden können. Da für diese Zeit damit zu rechnen ist, dass die Überschüsse weitgehend abgebaut sein werden, wird auch keine neue Reserve entstehen. Die strikte Redundanz wird dann in vollem Umfang wiederhergestellt sein. Dennoch: Für den Moment haben die Befürworter des EEG ein Argument weniger gegen sich – Dank der EU, die sich für eine Reform entschloss, die zwar klimapolitisch wenig Sinn ergibt, aber den Verfechtern nationaler Lösungen in die Karten spielt. Sollte man sich darüber freuen?

Kosteneffizienz als ökologische(!) Kernforderung

Wenn man daran interessiert ist, wirksame Klimapolitik in Europa zu machen, dann ist das Ganze kein Grund zur Freude. Denn ein Argument weniger gegen das EEG und andere Formen nationaler Klimapolitik ist ein Argument weniger für eine kosteneffiziente Klimapolitik. Es ist ein Argument mehr für Klimapolitiken, die die Interessen vieler politischer Akteure und privater Interessengruppen bedienen, die aber im Hinblick auf den Klimaschutz kontraproduktiv sind. Kosteneffizienz ist keine nachgeordnete Forderung, die Ökonomen an die Klimapolitik stellen, sondern eine ökologische Kernforderung. Sie besagt nichts Anderes, als dass wir die knappen Ressourcen, die wir für den Klimaschutz einsetzen können, so zu verwenden sind, dass mit ihnen ein Maximum an Klimaschutz erreicht werden kann.

Anders formuliert: Wenn wir darauf bestehen, weiterhin nationale Klimapolitik zu betreiben, die keinerlei Rücksicht auf die mit der CO2-Vermeidung verbundenen Kosten nimmt, dann werden wir weit weniger Klimaschutz realisieren können, als das bei einer kosteneffizienteren Politik möglich wäre. Leider ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der schlechten Klimapolitik bleibt, mit der Reform des Emissionshandels gestiegen. Das ist das paradoxe Ergebnis der hier angestellten Analyse.

Anmerkungen

[1] In Anlehnung an die englische Bezeichnung für den Emissionshandel als „Cap and trade system“, spricht man dabei vom „Cap“.

[2] Bardt, H. und T. Schaefer: Verteilungsprobleme und Ineffizienz in der Klimapolitik, IW Kurzbericht 1/2018.

[3] Edenhofer, O.; Flachsland, C.  und. Schmid, L.K.: Wie der Emissionshandel wieder zur zentralen Säule der europäischen Klimapolitik werden kann, in: Angrick, M.;  Kühleis, C.; Landgrebe J.; Weiß, J. (Hrsg.): 12 Jahre Europäischer Emissionshandel in Deutschland, Marburg, Metropolis,  2017, S. 217-44.

[4] Genau das schlagen Graichen und Matthes 2018 vor. Vgl. Graichen, A. und  Matthes, F.: Vom Wasserbett zur Badewanne, Die Auswirkungen der EU-Emissionshandelsreform 2018 auf CO₂-Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren, Berlin, Agora Energiewende und Öko-Institut 2018.

[5] EU Union Registry (ec.europa.eu/clima/policies/ets/registry_en), eigene Berechnungen.

[6] Umweltbundesamt, Nationale Trendtabellen für die deutsche Berichterstattung atmosphärischer Emissionen, 1990 bis 2016, Stand 01/2018.

Prof. Dr. J. Weimann und F. Timme, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

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