Neuorientierung in der Klimapolitik: Wir müssen dringend neue Anreize für Schwellen- und Entwicklungsländer setzen, mit der Emission von Treibhausgasen sparsam umzugehen.

Neuorientierung in der Klimapolitik: Wir müssen dringend neue Anreize für Schwellen- und Entwicklungsländer setzen, mit der Emission von Treibhausgasen sparsam umzugehen (Quelle: Adobe Stock).

Die Umwelt- und später Klimapolitik hat sich seit den 1970er-Jahren zuerst langsam, später mit hoher Dynamik, entwickelt. In den 1980er-Jahren war es vor allem die von den Vereinten Nationen eingesetzte Brundtland-Kommission (Weltkommission für Umwelt und Entwicklung), die 1987 mit ihrem Bericht „Unsere Gemeinsame Zukunft“ den Schub gab. 

Zwei Begriffe sollten aus diesem globalen Diskussionsprozess prägend für die kommenden Jahrzehnte hervorgehen: Nachhaltigkeit und Global Governance. Nachhaltig, ein Begriff, der im Deutschen bis dahin nur in der Forstwirtschaft gebräuchlich war, ist, so schreibt Volker Hauff, der Herausgeber der deutschen Ausgabe des Brundtland-Berichts, „eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ [1]. Mit Global Governance ist die politische Kunst der Lösung globaler Probleme in einer Welt ohne Weltregierung, -Parlament, -Justiz und Vollzugs-Institutionen (bzw. mit nur rudimentären Ansätzen hierzu) gemeint. 

Dynamische Entwicklung ab 1987

 In diesem Sinne ist die Dynamik ab 1987 zu sehen. Der Deutsche Bundestag hat im selben Jahr eine Enquetekommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ ins Leben gerufen, in dessen Schlussbericht 1990 ein Absinken der Treibhausgasemissionen der Industrieländer und ein quantitativ vorgegebenes begrenztes Ansteigen bei den Entwicklungsländern empfohlen wird. 1988 fand die erste Weltklimakonferenz in Toronto statt. Im selben Jahr wurde der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) gegründet, der 1990 seinen ersten Sachstandbericht mit vergleichbaren Empfehlungen, wie die Enquetekommission, herausgegeben hat. Dieser folgte in der Legislaturperiode ab 1990 eine weitere Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre“ mit präziseren Vorgaben. 

1992 fand schließlich die United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio de Janeiro statt, auf der neben der Rio-Deklaration und Agenda 21 insbesondere die Klimarahmenkonvention, United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), verabschiedet wurde, aus der sich die jährlichen Vertragsstaatenkonferenzen (Conferences of Parties, COPs) ableiten. Die 28. Konferenz, also COP28, soll vom 30.11-12.12. in Dubai stattfinden.  Die Rio-Konferenz (1992) hat im Sinne von Global Governance zwei Pflöcke eingeschlagen. Erstens, in Artikel 2 der Klimarahmenkonvention wird als Ziel festgelegt „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene (also durch Menschen verursachte, F.M.) Störung des Klimasystems verhindert wird.“ Zweitens wurde als Prinzip in der Rio-Deklaration, „die Internalisierung von Umweltkosten“ und „dass grundsätzlich der Verursacher die Kosten der Verschmutzung trägt“ (Grundsatz 16) vereinbart. Diese Verankerung des Verursacherprinzips macht offenkundig, dass auf der Rio-Konferenz und darüber hinaus die Umweltökonomie im globalen Konsens den Weg zu einer globalen Lösung des Problems gewiesen hat.  Die Umweltökonomie ist eine Disziplin, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde und in ihrer Entstehung mit dem Namen des englischen Wohlfahrtsökonomen Arthur Pigou (1877-1959) verbunden ist. William Baumol und Wallace Oates schrieben in dem 1988 erschienenen Buch „The Theory of Environmental Policy“: „When the ‚environmental revolution‘ arrived in the 1960s, economists were ready and waiting“ [2]. Zwei Prinzipien der Umweltökonomie sind für die Klimapolitik besonders relevant. Erstens, das Verursacherprinzip, das besagt, dass der Verursacher eines Schadens für die Kosten der Behebung des Schadens aufkommen muss. Zweitens, es gibt öffentliche Güter, deren Eigentümer die Gesellschaft ist. Die Gesellschaft kann eine Kommune, ein Staat oder die Menschheit sein. 

Die Menschheit als Eigentümer trifft z.B. auf die Ozeane, aber auch auf die Atmosphäre zu. Wenn nun ein Verursacher das Eigentum einer Gesellschaft beschädigt, ist er oder sie für die Behebung des Schadens, in unserem Fall „eine gefährliche Störung des Klimasystems“, zuständig. Wenn diese Störung unentgeltlich vorgenommen werden kann, wird dies eine Externalisierung der Kosten genannt. Grundsätzlich gilt, dass eine Marktwirtschaft nur dann eine hohe Effizienz erreicht, wenn die externalisierten Kosten internalisiert sind, weil sonst wegen der vermeintlich niedrigen Kosten ein Verschwendungseffekt eintritt [3].  Klaus Töpfer, ursprünglich Wirtschaftswissenschaftler, in der Zeit einer dynamischen und globalen Klimapolitik Bundesumweltminister (1987-1994), schrieb in einem Aufsatz 1993: „Richtig betriebener Umweltschutz – im Sinne der Internalisierung externer Kosten – kostet eine Volkswirtschaft ökonomisch gesehen nichts, da objektiv vorhandene externe Umweltkosten verursachergerecht angelastet werden“ [4]. Und ein Jahr zuvor schrieb er über die „nicht ausreichend auf nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlage künftiger Generationen orientierte Wirtschafts- und Lebensweise“ der Industrieländer: „Eine weltweite Nachahmung dieser Wirtschaftsweise würde den ökologischen Kollaps unseres Planeten bedeuten“ [5]. In ähnlicher Weise argumentierte der damalige amerikanische Vizepräsident (1993-2001) und Gewinner des Friedensnobelpreises (2007) für sein klimapolitisches Engagement, Al Gore [6]. 

Die indische Politik leitete sich wiederum bis heute aus den Erkenntnissen der renommierten indischen Wissenschaftler Anil Agawal und Sunita Narain, Direktoren des Centre for Science and Environment (CSE), ab, die 1991 in einer Monographie mit detaillierten Zahlen darstellten, wie ungleich die Nutzung des öffentlichen Gutes der Belastbarkeit der Atmosphäre verteilt ist. Ihre Kernaussage lautet: „CSE believes that a system of global tradeable permits should be introduced to control global greenhouse gas emissions. All countries should be given tradeable quotas in proportion to their population share“ [7].  Auch Töpfer argumentierte im Sinne von Agarwal/Narain, dass gemessen an der Bevölkerungszahl die Industrieländer für die Übernutzung der gemeinsamen Ressourcen an diejenigen, die unterproportional davon Gebrauch machen, etwas schulden: „Es ist deshalb nicht unfair, wenn uns von diesen Ländern entgegengehalten wird, dass ihren Kapitalschulden unsere ökologischen Schulden gegenüberstehen, die gegeneinander aufgerechnet werden können und müssen“ [8]. Diese Forderung hat nicht nur eine moralische Komponente und liegt wegen der Anwendung des Verursacherprinzips im Wesen einer effizienten Marktwirtschaft, sie führt auch wegen des Anreizes in Entwicklungs- und Schwellenländern zum sparsamen Umgang mit der Emission von Treibhausgasen zu einer Lösung des Problems, die zum Schaden der Menschheit seit drei Jahrzehnten nicht zur Anwendung kam. Diese in der öffentlichen Diskussion vorliegenden Vorschläge für die Problemlösung waren zur Zeit der Rio-Abkommen durch die kodifizierten Prinzipien und die Erkenntnisse der Umweltökonomie geprägt. Dies hat sich ab 1994 schnell verändert. Die Klimarahmenkonvention, der alle relevanten (inzwischen 198) Staaten beigetreten sind, ist im März 1994 in Kraft getreten. Im April 1995 fand die erste Vertragsstaatenkonferenz (COP 1) in Berlin statt. Damit wurde das besondere Engagement Deutschlands (Enquetekommissionen, Führungsaufgaben von Umweltminister Töpfer, Gründung des renommierten Potsdam Institut für Klimafolgenforschung 1992, Teilnahme des Kanzlers Kohl in Rio) gewürdigt. In Erwartung einer auch künftigen Führung durch die deutsche Politik wurde bei COP 1 das Klimasekretariat der Vereinten Nationen nach Bonn vergeben, wo es bis heute mit ca. 450 Mitarbeitern angesiedelt ist.
 
Im November 1994, fünf Monate vor dieser Konferenz, hatte Bundeskanzler Kohl nach der Bundestagswahl Klaus Töpfer als Umweltminister durch Angela Merkel ersetzt. Die junge, im internationalen Geschäft und in der englischen Sprache wenig erfahrene bisherige Familienministerin musste COP 1 leiten. Sie wurde einerseits als Naturwissenschaftlerin wegen ihrer schnellen Auffassungsgabe, was das Problem betrifft, gelobt, andererseits ging es in der neuen Rolle um politische Lösungsstrategien und hier wurde mit ihrer Hilfe ein Paradigmenwechsel vollzogen, den vor allem Umweltverbände – bei COP 1 hatten 165 NGOs Beobachterstatus – lobten [9], auf Umweltökonomen jedoch katastrophal wirkte. Bei der Konferenz wurde das „Berliner Mandat“ verabschiedet, welches das Verursacherprinzip als strategisches Prinzip für die Lösung des Klimaproblems ablöste. Artikel 2 (b) dieses Mandats lautet: „Der Prozess wird … keine neuen Verpflichtungen für nicht in Annex I aufgeführte Vertragsparteien einführen“. In Annex I sind namentlich alle Industriestaaten aufgeführt. Entsprechend sollen alle nicht als Industriestaaten genannten Länder, darunter China und Indien, von jeder Begrenzung ihrer Emissionen befreit sein. Dies bedeutet, dass die Nicht-Annex-I-Staaten (über 80 % der Menschheit) nicht unter das Verursacherprinzip bei ihren Emissionen fallen.  In den folgenden beiden Jahren, bevor ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag im Rahmen von COP 3 im Dezember 1997 mit dem Kyoto-Protokoll ausgehandelt wurde, haben die Medien ganz überwiegend den Begriff des „Ablasshandels“ übernommen und verbreitet, um die Option eines globalen Emissionshandels, wie dies Agarwal/Narain vorgeschlagen haben und wie er lokal in Südkalifornien 1991 zum ersten Mal für die dortige Luftverschmutzung eingesetzt wurde, zu diskreditieren. Vor allem wurde das Argument verbreitet, dass sich dann nur noch reiche Leute erlauben können, Treibhausgase zu emittieren. Aus ökonomischer Sicht ist anzumerken, dass es als ineffizientestes Instrument einer Sozialpolitik gilt, wenn Güter für alle künstlich billig gemacht werden, um sie für Arme erschwinglich zu machen. So hat sich der auf dem Berliner Mandat beruhende Vorschlag der Europäer im Wesentlichen durchgesetzt, obwohl für die USA wegen der Byrd-Hagel-Resolution (Juni 1997) eine angemessene Verpflichtung auch der Nicht-Annex-I-Staaten verbindlich war und Vizepräsident Al Gore in diesem Sinne persönlich in Kyoto verhandelte, und obwohl „viele Entwicklungsländer … allen voran Indien und China“ bei den abschließenden Verhandlungen bis in die letzte Nacht von Kyoto sich für die Anwendung des Verursacherprinzips stark gemacht haben: „Sie verlangten die Entwicklung eines gerechten Systems, welches vorzugsweise auf Pro-Kopf-Zuteilungen beruhen sollte“ [10].

Der europäische Vorschlag hatte den Vorteil, dass alle damit leben konnten; die Entwicklungsländer, weil sie zu nichts verpflichtet wurden, während die Industrieländer ihre Emissionen reduzieren mussten, die USA, der damals größte Emittent, weil sie, auf Grund der Byrd-Hagel-Resolution vorhersehbar, das Protokoll nicht ratifizieren würden. Nur für das Weltklima war diese Weichenstellung fatal. Das Kyoto-Protokoll verpflichtete die Industrieländer bis zum Ende der 15-jährigen Laufzeit, oder genau gesagt dem Zeitraum 2008-2012, ihre Emissionen um 5,2 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Diese Verpflichtungen haben die Industrieländer übererfüllt. Im Jahr 2012 haben die Annex-I-Länder einschließlich der nicht dem Kyoto-Protokoll angehörigen Länder USA und Kanada ihre Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 10,6 % verringert, die Nicht-Annex-I-Länder dagegen ihre CO2-Emissionen auf das 2,9-fache erhöht [11]. Dies bedeutete, dass die globalen Emissionen nach dem Kyoto-Abkommen wesentlich stärker anstiegen (in den 1990er Jahren um 11 %, zwischen 2000 und 2010 um 27 %) als zuvor. 

Die Konsequenz, die daraus gezogen wurde, war nicht, auf das Verursacherprinzip zurückzukommen, womit den Entwicklungsländern ein Anreiz geboten worden wäre, schneller auf erneuerbare Energien umzusteigen, statt weiterhin Kohlekraftwerke zu bauen. Vielmehr wurde als Folge der 2009 gescheiterten COP 15 in Kopenhagen, bei der sich China und Indien weigerten, Emissionsobergrenzen nach Auslaufen der Kyoto-Periode (2012) zu akzeptieren, auf Koalitionen der Willigen gesetzt. Diese Strategie führte dann 2015 zum Pariser Klima-Abkommen, bei dem jedes Land selbst seine nationalen Bemühungen als Beitrag zu einer globalen Klimapolitik, die als Ziel eine Erwärmung unter 2 Grad, möglichst nahe bei 1,5 Grad, festgelegt hat, benennen soll [12]. 

Diese Nationalisierung eines globalen Problems öffnet angesichts der höchst unterschiedlichen Belastung durch die Klimaerwärmung, der Interessen des Verkaufs von fossilen Energien in wichtigen Ländern und der Laufzeit vorhandener Investitionen (Kraftwerke), sowie der Schuldzuweisung angesichts der kolonialen Inanspruchnahme des Emissionenbudgets Tür und Tor für völlig unterschiedliche Wahrnehmungen, welche Lastenteilung gerecht wäre und führt damit zu wechselseitigen Blockaden im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenzen.  Die ganz unterschiedlichen Vorstellungen, was eine gerechte Lösung wäre, betrifft insbesondere die Beiträge der einzelnen Staaten zur Emissionsbegrenzung, wie auch die Lastenteilung zwischen den Industrieländern bei der Unterstützung der Entwicklungsländer. So hält das Ansteigen der globalen Emissionen weiter an, obwohl schon längst ein Absinken dieser Emissionen hätte einsetzen müssen.

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