Flüssiggastanker auf hoher See

Flüssiggastanker auf hoher See (Quelle: Umbach)

Auch Deutschland will in Rekordzeit Speicher- und Importterminals errichten und kommt dabei schnell voran. Inzwischen wird Kritik in Richtung potenziell überdimensionierter LNG-Importkapazitäten geäußert. Dieser Artikel analysiert den schwierigen strategischen Balanceakt zwischen einer resilienten Gasversorgungssicherheit und konkurrierenden (Klima)zielen.

Die übermäßige Abhängigkeit Europas von russischen Gas(pipeline)importen ist seit der militärischen Invasion des Kremls in der Ukraine im Februar 2022 deutlich geworden. Bereits kurz zuvor hatte Deutschland den Zertifizierungsprozess der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream-2 (NS-2) gestoppt. Mit dem militärischen Einmarsch beschloss die Bundesregierung nicht nur, die zukünftige Zertifizierung und den Betrieb von NS-2 endgültig aufzugeben, sondern stimmte auch zu, bis Ende 2024 künftig vollständig auf russische Gasimporte zu verzichten. Die EU folgte, die Importe aller fossilen Brennstoffe aus Russland bis spätestens 2027 einzustellen. Im Jahr 2021 exportierte Russland noch 155 Mrd. m3 (bcm) Pipelinegas und rund 15 bcm LNG nach Europa – das entspricht rund 50 % der gesamten EU-Gasimporte von 338 bcm im Jahr 2021. 

Russlands Agieren in der Retrospektive

Russland hat die europäischen Gasmärkte wiederholt seit den 1990er Jahren manipuliert, auch wenn sich dies vor allem auf Osteuropa und Zentralasien beschränkte [1]. Doch bereits seit dem Frühsommer 2021 wurden auch Westeuropa und Deutschland zum Ziel des Kremls, als Gazprom kein zusätzliches Gas für die europäischen Gasspeicherstätten lieferte und die Befüllung seiner in Europa kontrollierten Gasspeicher durch alternative Importe zugleich verhinderte. Zugleich machte der Kreml solch zusätzliche Lieferungen von einer schnellen Zertifizierung von NS-2 (vor Beginn der neuen deutschen Koalitionsregierung) und der Unterzeichnung neuer langfristiger Gasverträge abhängig. 

In der Retrospektive war dieses russische Agieren eine Art Warnsignal an Deutschland und die EU, sich im wenige Monate später eskalierenden Ukraine-Konflikt neutral zu verhalten und nicht militärisch oder durch Wirtschaftssanktionen zu intervenieren. So erfolgte das Nichtbereitstellen von zusätzlichem Gas für die Gasspeicher zeitgleich mit Putins revisionistischem Brief „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ im Juli 2021 auf der Kreml-Webseite, in der jegliche politische, wirtschaftliche, militärische und kulturelle Unabhängigkeit sowie Souveränität der Ukraine offiziell in Abrede gestellt wurde. 

Im Jahr 2022 begann Russland, seine Gaslieferungen nach Europa nach Verhängung der westlichen Sanktionen gegen seine militärische Invasion ab Juni zu reduzieren. Schließlich stoppte Gazprom Ende August letzten Jahres alle Gaslieferungen über Nord Stream-1 (NS-1), nachdem bereits seit 2021 kein Gas mehr über Belarus nach Polen und Europa weiterge¬leitet wurde, da Polen keinen neuen Gasvertrag mit Gazprom mehr unterzeichnen wollte. Damit entfielen jährlich 55 bcm für die Gasnachfrage Deutschlands (Gasverbrauch 2022: 82 bcm und 94 bcm in 2021) und seiner EU-Nachbarstaaten.

In 2022 hat Deutschland mit seinem LNG-Beschleunigungsgesetz beschlossen, in Rekordzeit bis zu 7 schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheiten (FSRUs – schwimmen¬de LNG-Import-Terminalschiffe) zu leasen und drei feste Onshore-LNG-Importterminals an seiner Küste sowie neue LNG-Importterminals zu errichten sowie hierfür Anschlusspipelines von seinen LNG-Importterminals an sein bestehendes Gasnetz zu bauen [2]. Infolge massiven lokalen Widerstandes auf der Insel Rügen soll nun jedoch nicht 5 km vom Ostseebad Sellin entfernt ein FSRU-Terminal errichtet werden, sondern im Hafen Mukran auf Rügen. Doch auch hier ist die lokale Ablehnung groß. Die Anmietung von drei FSRUs während des laufenden Winters seit Dezember letzten Jahres hat Deutschland – zusammen mit einem milden Winter und der Gaseinsparung von Haushalten und Industrie – geholfen, Unterbrechungen der Gasversorgung und größere Stillstände der industriellen Produktion sowie des verarbeitenden Gewerbes zu vermeiden.

Gegenwärtig sind drei LNG-Importterminals in Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel mit einer Jahreskapazität von 13,5 bcm bereits im Betrieb, die im Jahr 2024 auf eine jährliche LNG-Importkapazität von 37 bcm und ab 2027 auf 54 bcm zunehmen wird. Bis Ende des Jahres werden in Deutschland drei weitere FSRUs in Betrieb genommen. Sollten alle drei gegenwärtigen FSRUs nach 2027 noch im Betrieb sein, könnte diese Kapazität auf bis zu 71 bcm weiter ansteigen. 

Eine kritische Studie, die von einer mittelfristigen deutschen LNG-Importkapazität von 73-100 bcm in 2030 ausging, warf der Bundesregierung eine Verdoppelung der Importkapazitäten gegenüber den früheren russischen Gasimporten vor. Dies aber würde den Zielen der Klimaschutzpolitik widersprechen und zu Stranded Assets überdimensionierter LNG-Importkapazitäten führen, zumal auch die Gaspipelineimporte aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich und Norwegen erhöht wurden [3]. Von den 75 bcm jährlichen Gaspipeline-Importen Deutschlands in 2022 lieferte Norwegen allein 45 bcm, während 20 bcm aus Belgien und Frankreich erfolgten. 

Gleichzeitig ging die Gasförderung in der EU um weitere 8 % zurück. Europas größtes Gasfeld in Groningen (Niederlande) – mit einer jährlich reduzierten Produktion von 2,8 bcm – wird seine Produktion noch in diesem Jahr vollständig einstellen. 

Da auch andere EU-Mitgliedstaaten ihre LNG-Importkapazitäten ausbauen, werden die neu geplanten zusätzlichen Kapazitäten von Umweltorganisationen und einigen Ökonomen auch mit Blick auf EU-weite LNG-Überkapazitäten kritisiert [4]. Aus ihrer Sicht werden diese neuen zusätzlichen Gasimportkapazitäten in Deutschland und der EU nicht wirklich benötigt, so dass eine wirtschaftlich profitable Auslastung nicht gegeben sei. Dies widerspreche auch dem neuen RePowerEU-Aktionsplan von 2022, den Gasverbrauch bis 2030 um 30-40 % zu senken. Damit sei das angestrebte Emissionsreduktionsziel von -55 % bis 2030 nicht erreichbar, selbst wenn diese Importterminals für den Import von grünem Wasserstoff und Ammoniak bis dahin umgerüstet würden.

Die Frage nach potenziell überdimensionierten LNG-Importkapazitäten läuft auf einen strategischen Zielkonflikt bei zwei konkurrierenden Zielen der EU hinaus – nämlich zwischen einer resilienten Gasversorgungssicherheit und den proklamierten Klimazielen der EU. So muss die EU im nächsten Winter 2023/24 in Europa völlig ohne russisches (Pipeline-)Gas auskommen und es könnte sich daher noch schwieriger gestalten als im letzten Winter, um die Gasversorgung mit alternativem nicht-russischem Gas zu gewährleisten und größere Gasversorgungsunterbrechungen für ihre Industrien sowie Haushalte zu vermeiden. Die IEA hat für dieses Jahr eine potenzielle Versorgungslücke bei der Sicherstellung der jährlichen europäischen Gasnachfrage von 40 bcm festgestellt. Darüber hinaus sind die europäischen Gaspreise immer noch siebenmal höher als in den USA und die Strompreise dreimal so hoch sind wie in China, was die globale industrielle Wettbewerbsfähigkeit der EU gefährdet (s. Abb. 2).

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