Die Wasserstoffkarte: Fünf Gebiets-Cluster treiben die Nachfrage

Abb. 3 Versorgungssicherheit, Wertung H2 2020 und H1 2021

Abb. 3 Versorgungssicherheit, Wertung H2 2020 und H1 2021

Abb. 4 Wasserstoffbedarf in Deutschland 2050 nach Gebietsclustern

Abb. 4 Wasserstoffbedarf in Deutschland 2050 nach Gebietsclustern

Über die geografische Verteilung des Wasserstoffbedarfs in Deutschland gibt die Wasserstoffkarte Aufschluss, die McKinsey durch die Verknüpfung von Nachfrage- und Geodaten erstellt hat. Die gezielte Betrachtung von Standorten großer Industrieabnehmer und Kraftwerke sowie der geografischen Verteilung von Heizungstypen und Verkehrsströmen (z.B. Lkw-Aufkommen auf deutschen Autobahnen) ermöglicht eine granulare Sicht auf regionale Nachfragemuster. Um eine möglichst realistische Einschätzung zu erhalten, wurden Verbrauchsgruppen teilweise bis auf Postleitzahlenebene heruntergebrochen und die Wasserstoffnachfrage in annährend 500 Industriefabriken anlagenspezifisch dem potenziellen Verbrauch zugeordnet.

Für das Jahr 2050 ergibt die Analyse für Deutschland insgesamt fünf Gebiets-Cluster mit jeweils unterschiedlichen Bedarfsprofilen. Abb. 4 zeigt die Verteilung im progressiven 1,5°C-Szenario: Als größten potenziellen Cluster mit rund 3,5 Mio. t weist die Wasserstoffkarte die dicht besiedelte Industrieregion Rhein-Ruhr aus – mit einer CO2-intensiven Stahl- und Ammoniakproduktion sowie Stromerzeugung und Gebäudeheizung als wichtigsten Treibern der Nachfrage. Auf Platz zwei folgt das Gebiet Rhein-Main-Neckar (3 Mio. t) mit Ludwigshafen als Standort der Chemieindustrie und dem Frankfurter Flughafen als Luftverkehrszentrum. Jeweils 2 Mio. t werden außerdem in den Clustern Nordwest- und Mitteldeutschland erwartet und weitere 1,5 Mio t in der Region Oberbayern. Auch in diesen kleineren Clustern sind Stahl- und Energiestandorte, der Luftverkehr sowie die Wärmeerzeugung von Gebäuden in Ballungsgebieten Haupttreiber des künftigen Wasserstoffbedarfs. Außerhalb der fünf Gebiets-Cluster ergibt sich ein Bedarf von 2,6 Mio. t., vor allem für Wärme- und Transportanwendungen.

Zum weiteren Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur haben die Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr im Mai dieses Jahres insgesamt 62 Großprojekte zur Förderung der Erzeugung, Transportinfrastruktur und Nutzung von Wasserstoff ausgewählt, die mit 8 Mrd. € aus Bundes- und Landesmitteln unterstützt werden. Ein Großteil der Projekte verteilt sich auf die drei Cluster Rhein-Ruhr, Nordwest- und Mitteldeutschland, in denen Industrie und Infrastruktur eine zentrale Rolle spielen. Im Süden Deutschlands liegt der Projektfokus stärker auf der Wasserstoffnutzung im Mobilitätssektor. Das Hauptaugenmerk der Wasserstoffförderung aber liegt auf dem Aufbau der erforderlichen Infrastruktur: Neben Projekten, die den Anschluss an die Nord- und Ostsee vorsehen, soll auch die Verknüpfung der Cluster untereinander vorangebracht werden.

Infrastrukturaufbau: Pipeline schlägt Stromleitung

Die Suche nach dem idealen Ausbaupfad für die künftige Wasserstoffinfrastruktur erweist sich als eine der größten Herausforderungen. Denn der Energiesektor in Deutschland ist traditionell durch die Eigenständigkeit seiner Segmente gekennzeichnet: Strom- und Gaserzeugung werden (mit Ausnahme von Kraftwerken zur Verstromung von Gas) unabhängig voneinander geplant und betrieben, eine abgestimmte Gesamtstrategie existiert nicht.

Damit Wasserstoff seine Rolle als Katalysator der Dekarbonisierung erfüllen kann, müssen Strom- und Erdgasinfrastruktur miteinander verknüpft werden. Eine Schlüsselfrage dabei ist, ob Wasserstoff im direkten Umfeld der Stromerzeugung produziert werden soll oder vor Ort bei den Abnehmern. Im ersten Fall müsste eine Pipeline-Infrastruktur bereitgestellt, im zweiten das Stromübertragungsnetz erheblich nachgerüstet werden.

Die zu transportierenden Mengen sind enorm: Im progressiven Szenario müssten bis 2050 rund 14,6 Mio. t Wasserstoff die Verbraucher erreichen. Dies entspricht dem Energiegehalt von annährend 500 TWh. Zum Vergleich: Die Stromnetze bedienen aktuell eine Nachfrage von 550 bis 600 TWh – mit stark steigender Tendenz infolge der voranschreitenden Elektrifizierung. Diese Größenordnungen machen deutlich, welche Herausforderung es wäre, weitere Kapazitäten in den Stromübertragungsnetzen zusätzlich für Wasserstoffanwendungen bereitzustellen.

Im Erdgassektor sieht das Bild anders aus: Aktuell werden im deutschen Netz knapp unter 1.000 TWh Gas transportiert. Im Gegensatz zum Stromsektor aber geht das zu transportierende Volumen hier kontinuierlich zurück, weil Deutschland künftig weitestgehend auf den Einsatz von Erdgas verzichten muss, um bis 2045 klimaneutral zu sein. Die rückläufigen Mengen wiederum eröffnen Spielräume, die Pipelines sukzessive auf Wasserstoff umzurüsten. Hinzu kommt, dass die Umrüstung von existierenden Erdgaspipelines wesentlich schneller realisiert werden kann als der großangelegte Neubau von Stromtrassen.

Insgesamt ergeben die Analysen einen klaren ökonomischen Vorteil für die Pipeline-Lösung. Denn sie zeigen, dass der Wasserstofftransport über Rohrleitungen je nach Größe 30 % bis 90 % günstiger ist als die Nutzung von Stromleitungen, da das Verhältnis der Kosten zur transportierten Energiemenge deutlich besser ausfällt. So kann beispielsweise eine typische Wasserstoff-Pipeline mit 1 m Durchmesser den gleichen Energiegehalt transportieren wie eine 10-GW-Stromübertragungsleitung. Zum Vergleich: Das zentrale Leitungsvorhaben SuedLink, das erneuerbaren Strom vor allem aus Windenergie im Norden zu den Verbrauchszentren im Süden transportieren soll, umfasst gerade einmal 4 GW – weniger als die Hälfte der Kapazität einer durchschnittlichen Pipeline.

Hinzu kommt, dass die Stromübertragungskapazität in Deutschland wegen der vermehrten Erzeugung aus Erneuerbaren bereits heute an ihre Grenzen stößt. Selbst neue Trassenprojekte wie SuedLink werden diesen Kapazitätsengpass langfristig nicht beseitigen können. Das Pipeline-Netz bleibt daher voraussichtlich die Infrastruktur der Wahl für den Wasserstofftransport.

Fazit

Ob und wie die fünf Gebiets-Cluster in Zukunft mit grünem Wasserstoff versorgt werden können, ist noch offen. Wahrscheinlich aber wird es auf eine Kombinationslösung hinauslaufen, bei der einerseits die heimische Wasserstofferzeugung um Importe zu ergänzen ist, um den schleppenden Erneuerbaren-Ausbau zu kompensieren, und andererseits Strom- und Erdgasnetze parallel genutzt werden, um den rasch wachsenden Wasserstoffbedarf von morgen zu decken.

Aufgabe der Politik wird es sein, die unterschiedlichen Beteiligten aus Energiewirtschaft, Industrie und Gesellschaft im In- und Ausland zusammenzubringen und ein einheitliches Wasserstoffinfrastruktur-Konzept zu entwickeln, das allen Anforderungen gerecht wird. Der Politik fällt hierbei eine zentrale Rolle zu: Denn während bei Erzeugung und Verbrauch in erster Linie ökonomische und technologische Erwägungen das Tempo der Umstellung auf Wasserstoff bestimmen, wird beim Auf- und Umbau der Infrastruktur die Regulatorik der entscheidende Taktgeber sein. Mit seinen aktuellen Pilotprojekten und der Einbeziehung von Wasserstoff in den Netzentwicklungsplan Gas geht Deutschland bereits in die richtige Richtung. Der Masterplan für die zukünftige Wasserstoffversorgung indessen muss erst noch geschrieben werden.

Dr. T. Vahlenkamp, Senior Partner, McKinsey & Company, Düsseldorf; S. Overlack, Partner, McKinsey & Company, Frankfurt; P. Hein, Associate Partner, McKinsey & Company, Hamburg; Dr. F. Pflugmann, Engagement Manager, McKinsey & Company, Frankfurt; F. Stockhausen, Senior Solution Analyst, McKinsey & Company, Düsseldorf; M. Wirths, Researcher, McKinsey & Company, Düsseldorf. thomas_vahlenkamp@mckinsey.com

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