Fünf Indikatoren mit unrealistischer Zielerreichung

Abb. 1 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H2 2020 und H1 2021

Abb. 1 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H2 2020 und H1 2021

Abb. 2 Wirtschaftlichkeit, Wertung H2 2020 und H1 2021

Abb. 2 Wirtschaftlichkeit, Wertung H2 2020 und H1 2021

Beim Indikator Sektorkopplung: Verkehr zeigt sich ein starker Aufwärtstrend: Durch die deutliche Ausweitung der staatlichen Zuschüsse hat der Verkauf von Elektroautos 2020 deutlich angezogen – die Zielerreichung steigt von 28 % auf 46 %. Über eine halbe Million Fahrzeuge wurden in den vergangenen 12 Monaten zugelassen – mehr als in allen Jahren zuvor zusammen. Und mit Blick auf die „Fit for 55“-Maßnahmen dürfte die Zahl der E-Autos in den nächsten Jahren weiter kräftig steigen. Nichtsdestotrotz bleibt der EE-Anteil im Verkehrssektor mit 7,3 % gering. Um auf dem Zielpfad zu bleiben, müssten heute bereits 1,3 Mio. Fahrzeuge auf deutschen Straßen fahren, aktuell ist es lediglich gut die Hälfte. Neben finanziellen Kaufanreizen für die Konsumenten setzt die Bundesregierung auf regulatorische Instrumente, um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen: 2020 wurde die gesetzliche Treibhausgasminderungsquote, die auf einen stärkeren Erneuerbaren-Einsatz im Verkehr abzielt, von 4 % auf 6 % angehoben. Die Quote verpflichtet die Mineralölwirtschaft zu einer vermehrten Verwendung von nachhaltigem Biokraftstoff, um die Treibhausgasemission zu reduzieren.

Die Kosten für Netzeingriffe verfehlen erneut das Ziel von 1 € pro MWh und verbleiben mit aktuell 7,6 € pro MWh bis auf Weiteres in der Kategorie „unrealistisch“.

Leichte Fortschritte vermeldet der Ausbau Transportnetze: Mit 1.697 fertiggestellten km verbesserte er sich von 36 % auf 38 %, bleibt allerdings noch immer weit unter dem Jahreszielwert von rund 4.000 km.
 
Der deutsche Haushaltsstrompreis liegt nun rund 48 % über dem europäischen Durchschnitt statt vormals 53 % – die erste Verbesserung des Indikators seit 2019. Ursache hierfür sind jedoch keine gesunkenen Strompreise in Deutschland, sondern Preissteigerungen in anderen Ländern Europas. Für den Indikator allerdings bleibt die Erreichung der Zielmarke von maximal 25 % Abweichung vom europäischen Durchschnitt nach wie vor unrealistisch.

Der Industriestrompreis wurde in der letzten Veröffentlichung ohne Zielerreichung ausgewiesen, da es mit der Übergabe der Datenerfassung vom BDEW an das Statistische Bundesamt zu Änderungen in der Erhebungsmethodik gekommen ist. Nach eigenen Angaben des Bundesamts erlaubt die neue Methodik aufgrund ihrer Stichprobengröße und der Zusammensetzung eine wesentlich genauere Darstellung der effektiv gezahlten Steuern, Abgaben und Umlagen, während der BDEW hier teilweise von pauschalen Werten ausgegangen war. Der Energiewende-Index bildet die Änderungen nun in der Weise ab, dass zumindest näherungsweise eine Vergleichbarkeit über die Zeit erhalten bleibt. Angesichts des in der neuen Berechnung jetzt deutlich höher ausgewiesenen Preises (10,93 ct/kWh gegenüber 9,04 ct/kWh in 2019) ist davon auszugehen, dass der Industriestrompreis in Deutschland bisher methodisch unterschätzt wurde. Und auch nach der Erhebungsänderung ist der Industriestrompreis zur zweiten Jahreshälfte 2020 weiter angestiegen – von 10,07 ct/kWh auf 11,22 ct/kWh. Somit kommt der Indikator auf gerade einmal 3 % Zielerreichung.

Wasserstoff als Energieträger der Zukunft

Unzureichende Dekarbonisierung, stockender Ausbau der Erneuerbaren, geringe Sektorkopplung, dazu die noch immer schleppende Ausweitung der Stromnetze: Die aktuelle Entwicklung der Energiewende macht trotz guter Zwischenergebnisse deutlich, dass Deutschland zukünftig auf dekarbonisierte Gase als zusätzlichen Energieträger angewiesen sein wird. Gewinnen lassen sich klimaneutrale Gase durch den Einsatz erneuerbarer Energien (z.B. grüner Wasserstoff, synthetisches Methan) oder durch Biomasse (z.B. Biomethan). Alternativ kann auch Erdgas durch Technologien wie Kohlendioxidsequestrierung dekarbonisiert werden (blauer Wasserstoff). Im Fokus der Bundesregierung und erster Pilotprojekte steht vor allem der grüne Wasserstoff, der unter Einsatz erneuerbarer Energie mittels Elektrolyse erzeugt wird.

Die Vorteile des alternativen Energieträgers liegen auf der Hand: Produktion und Import von grünem Wasserstoff würden den EE-Anteil am Bruttoendenergieverbrauch steigern, während die Nutzung der bestehenden Gasinfrastruktur zum einen das Stromnetz entlastet und zum anderen bei der Sektorkopplung als wichtiger Katalysator dienen kann. Vor allem der Industriesektor – allen voran Stahlproduktion und chemische Industrie – setzt auf das klimaneutrale Gas.

Um die Rolle von Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem klar zu ermessen, sollten nicht nur Pilotprojekte angestoßen, sondern auch ein Wasserstoffzielbild für 2050 entworfen werden: Welche Verbrauchssegmente werden das grüne Gas in welchen Mengen nachfragen? Wo kann es produziert werden? Über welche Infrastruktur lassen sich Angebot und Nachfrage zusammenbringen? Insbesondere letztere Frage gilt es, zukunftsorientiert zu diskutieren, denn milliardenschwere Investitionen in den Aus- und Umbau lohnen sich nur, wenn ausreichende Mengen zu transportieren sind.

Klar ist schon jetzt: Der Einsatz von Wasserstoff wird an Dynamik gewinnen. Doch Geschwindigkeit und Ausmaß des Umstiegs sind noch ungewiss. Eine Wasserstoffinfrastruktur für Deutschland existiert bis auf vereinzelte Projekte bislang nicht – zukünftige Anforderungen müssen noch definiert werden. Eine erste Richtschnur hierfür ist die im letzten Jahr vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte nationale Wasserstoffstrategie. Um jedoch die hierzu notwendigen Entwicklungsschritte planen und dabei die richtigen Förderanreize setzen zu können, gilt es, zunächst den konkreten Wasserstoffbedarf in Deutschland zu ermitteln. Wie gestaltet sich die Nachfrage nach dem alternativen Energieträger in den kommenden Jahrzehnten? McKinsey hat hierzu drei Szenarien modelliert:

  • ein Referenzszenario, das von einer Fortschreibung der aktuellen Entwicklung ausgeht;
  • ein beschleunigtes Übergangsszenario mit rasch voranschreitender Dekarbonisierung, hauptsächlich getrieben durch politische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels;
  • ein progressives Szenario, das darauf abzielt, durch verstärkten Wasserstoffeinsatz das ehrgeizige 1,5°C-Klimaziel bis 2050 zu realisieren.

Bereits im Referenzszenario, das die aktuelle Entwicklung lediglich fortschreibt, würde der jährliche Wasserstoffbedarf von derzeit knapp 1 Mio. t auf 5,3 Mio. t in 2050 klettern. Im beschleunigten Übergangsszenario steigt die jährliche Nachfrage auf mehr als 10 Mio. t an, im progressiven 1,5°C-Szenario gar auf 14,6 Mio. t. Das entspricht einem Bedarfswachstum um das Sieben- bis 18-Fache gegenüber heute.

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