Ein fokussierter Blick in die Energiezukunft auf Basis der Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl (Bild: Adobe Stock)
Es ist Tradition, dass Parteien vor einer Wahl Wahlprogramme vorlegen. Darin beschreiben sie, was ihnen wichtig ist und welche Vorhaben sie im Falle eines Wahlerfolgs umsetzen wollen. Hauptziel der Programme ist es, möglichst viele Stimmen zu bekommen. Es geht darum, die eigene Basis zu überzeugen und gleichzeitig Wähler aus anderen Lagern bzw. traditionelle Nichtwähler anzusprechen. Damit versteht man sofort, warum Parteien dazu neigen, in ihren Aussagen eher offen und vage zu bleiben bzw. Versprechungen in möglichst viele Richtungen zu machen.
Wer sich daran macht, die Wahlprogramme zur Bundestagswahl am 26.09.2021 zu studieren, sollte also nicht überrascht sein, wenn er dort auf nur wenige konkrete Aussagen und feste Versprechungen stößt. Für den Energiebereich gibt es allerdings eine wichtige, folgenschwere Ausnahme. Die Rede ist von den in den Programmen genannten CO2-Minderungszielen. Nicht alle werden wissen, dass allein durch die Vorgabe dieser Ziele die Zukunft der Energieversorgung Deutschlands mehr oder weniger genau feststeht. Es lohnt sich, diese Zusammenhänge besser zu verstehen. Grundlage der folgenden Überlegungen bilden die Wahlprogramme der Parteien, die als Regierungspartner in Frage kommen. Das sind: CDU/CSU [1], BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [2], SPD [3], FDP [4] und DIE LINKE [5].
Erste Einordnung
Alle Parteien haben rechtzeitig zu Beginn des Wahlkampfs ihre Wahlprogramme vorgelegt. Bemerkenswert ist, dass die Passagen, die man im weitesten Sinne dem Bereich „Energie- und Klimapolitik“ zuordnen kann, relativ überschaubar sind (Tab.1). Diese Beobachtung steht in einem gewissen Gegensatz zu Umfragen, die darauf hindeuten, dass die Mehrheit der Bevölkerung den „Klimaschutz“ als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit einstuft.
Diese Bewertung hilft zu erklären, dass nach der Flutkatastrophe am 14.07.2021 in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz alle Parteien daran arbeiten, ihr Profil in der Klima-politik zu schärfen. Besonders schnell reagierten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die schon am 03.08.2021 ein „Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung“ vorlegten [6]. Dort wird neben einer Vielzahl weiterer Maßnahmen auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohle gefordert. Das alles belegt, dass zur Zeit viele Dinge im Fluss sind und die Wahlprogramme nur eine Grundorientierung zur „Zukunft der Energieversorgung“ vermitteln können.
Partei | Datum | Titel | Umfang: Energie/gesamt |
---|---|---|---|
CDU / CSU | 21.06.21 | DAS PROGRAMM FÜR STABILITÄT UND ERNEUERUNG. GEMEINSAM FÜR EIN MODERNES DEUTSCHLAND. | 8/139 Seiten (6 %) |
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN | 13.06.21 | DEUTSCHLAND. ALLES IST DRIN | 26/271 Seiten (10 %) |
SPD | 09.05.21 | AUS RESPEKT VOR DEINER ZUKUNFT. DAS ZUKUNFTSPROGRAMM DER SPD: WOFÜR WIR STEHEN. WAS UNS ANTREIBT. WONACH WIR STREBEN. | 5/70 Seiten (7 %) |
FDP | 16.05.21 | NIE GAB ES MEHR ZU TUN. WAHLPROGRAMM DER FREIEN DEMOKRATEN | 6/90 Seiten (7 %) |
DIE LINKE | 20.06.21 | ZEIT ZU HANDELN: FÜR SOZIALE SICHERHEIT, FRIEDEN UND KLIMAGERECHTIGKEIT. | 13/168 Seiten (8 %) |
CO2-Minderungsziele
Ausgangspunkt aller heutigen Überlegungen zur künftigen Energieversorgung ist das sog. „UN-Übereinkommen von Paris“ vom 12.12.2015. Dieses Übereinkommen sieht eine Begrenzung der globalen Erwärmung vor und zwar auf unter 2°C, idealerweise sogar auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Um diesem Ziel gerecht zu werden, ist es notwendig, bis spätestens 2050 „Klimaneutralität“ herzustellen. In allen Wahlprogrammen wird „Klimaneutralität“ als Generalziel hervorgehoben und durch quantitative Vorgaben zur Minderung der treibhausrelevanten Spurengase konkretisiert. Dabei gibt es zwischen den Parteien beachtenswerte Unterschiede (Tab. 2):
- Die Wahlprogramme von CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE verfolgen eine ausgeprägt nationale Strategie. „Klimaneutralität“ soll durch eine schrittweise Reduktion der CO2-Emissionen in Deutschland erreicht werden. Unterschiedlich bewerten die Parteien die als Ergänzung gedachten technischen Optionen. CDU/CSU wollen die Möglichkeiten zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS: Carbon Capture and Storage) sichern und darüber hinaus weitere Technologien in Betracht ziehen. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass die unterirdische Verbringung von CO2 (CCS) verboten wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD machen zu den technologischen Eingriffen in den Kohlenstoffkreis-lauf keine konkreten Angaben.
- Schließlich gibt es Unterschiede in zeitlicher Hinsicht. CDU/CSU und SPD geben das Jahr 2045 vor, in dem „Klimaneutralität“ erreicht werden soll. Dagegen wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Klimaneutralität“ im Jahr 2035 erreichen. Auch DIE LINKE strebt „Klimaneutralität“ im Jahr 2035 an. Unterschiedliche CO2-Minderungsziele werden auch für 2030 genannt: CDU/CSU und SPD wollen bis 2030 eine CO2-Reduktion um 65 % gegenüber 1990 erreichen; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE geben als Ziel eine CO2-Minderung um 70 % vor.
- Die FDP vertritt eine Sonderposition. Sie votiert für eine Klimapolitik im Rahmen der Europäischen Union und orientiert sich an dem EU-Ziel „Klimaneutralität“ in 2050. Konsequenterweise sind für die FDP nationale CO2-Minderungsziele systemfremd. Und es gibt einen weiteren Unterschied: Neben einer Reduktion der CO2-Emissionen durch den Europäischen Emissionshandel setzt die FDP auf weitere Optionen, so auf eine gezielte Nutzung von Biomasse zur verstärkten Speicherung von Kohlenstoff und technologische Lösungen („Carbon-Capture“, „Carbon Dioxide Removal“). Darüber hinaus will die FDP die Möglichkeit nutzen, Projekte in anderen Staaten zu finanzieren und die entsprechenden Treibhausgasreduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen.
Partei | 2030 | 2035 | 2040 | 2045 | 2050 |
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CDU / CSU | - 65 % | - 88 % | - 100 % | ||
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN | - 70 % | - 100 % | |||
SPD | - 65 % | - 88 % | - 100 % | ||
FDP | Klimapolitik im Rahmen des EU-Emissionshandels | - 100 % | |||
DIE LINKE | - 70 % | - 100 % |
CO2-Reduktion und Energiebilanz
Manche sprechen mit einer angenehmen Lässigkeit über CO2-Ziele, ohne sich über die Bedeutung der Zahlen im Klaren zu sein. Besser versteht man die Herausforderungen, wenn man die von den Parteien gemachten Versprechungen energiewirtschaftlich einordnet. Das ist möglich, wenn man bereit ist, die in den Wahlprogrammen genannten Reduktionsziele für alle treibhausrelevanten Spurengase auf die energiebedingten CO2-Emissionen zu übertragen. Da die energiebedingten CO2-Emissionen die bei weitem größte Bedeutung unter den Treibhaus-gasen einnehmen, ist ein solches Vorgehen gerechtfertigt. Mit dieser Vereinfachung kann man zeigen, dass die Parteien mit den CO2-Minderungszielen nahezu exakt über den künftigen Einsatz von Kohle, Öl und Erdgas entschieden haben [7].
Es lohnt sich, den dahinterstehenden Grundgedanken nachzuvollziehen. Zunächst muss man sich klarmachen, dass eine Reduzierung der energiebedingten CO2-Emissionen im Standard-fall nur dadurch erreicht werden kann, wenn weniger Kohle, weniger Öl und weniger Erdgas verbrannt werden. Da man relativ genau weiß, wieviel CO2-Emissionen bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas pro Energieeinheit entstehen, gilt eine einfache Regel: „Wer die energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland um 100 Mio. t reduzieren will, hat keine andere Möglichkeit, als (alternativ) die Verbrennung von Braunkohle um 922 PJ, von Steinkohle um 1.004 PJ, von Mineralöl um 1.645 PJ und von Erdgas um 1.882 PJ zu reduzieren“ [7]. Damit ist es auch für Laien gut möglich, die energiewirtschaftlichen Konsequenzen einer vorgegebenen CO2-Minderung zu ermitteln. Eine Berechnung für alle Parteien würde hier zu weit führen. Zum Verständnis des Ansatzes reicht es aber völlig aus, den Rechenvorgang am Beispiel einer CO2-Minderungsvorgabe von 65 % für das Jahr 2030 vorzuführen.