CO2-Minderungsziel 2030: Minus 65 %
Ziel von CDU/CSU und SPD ist es, die Treibhausgasemissionen bis 2030 von 65 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Die Übertragung dieser Vorgabe auf die energiebedingten treibhaus-relevanten Spurengase ermöglicht die folgende Berechnung (Tab. 3):
- Die energiebedingten CO2-Emissionen Deutschlands im Jahr 1990 betrugen 986 Mio. t. Ein Reduktionsziel für 2030 von 65 % gegenüber 1990 bedeutet, dass die CO2-Emissionen in 2030 ein Niveau von 345 Mio. t nicht überschreiten dürfen. Für 2020 werden die CO2-Emissionen auf 598 Mio. t geschätzt. Anders gesagt: Die CO2-Emissionen müssen bis 2030 gegenüber 2020 um 253 Mio. t reduziert werden.
- Eine Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 2020 um 253 Mio. t macht es notwendig, die Verbrennung von Braunkohle, Steinkohle, Mineralöl und Erdgas in entsprechendem Umfang zurückzufahren. Dabei spielt der unterschiedliche Kohlen-stoffgehalt der Energieträger eine Rolle.
- In dem Wahlprogramm der CDU/CSU findet man keine Forderungen zu einem vorzeitigen Ausstieg aus der Verbrennung von Kohle. Die SPD hat klargemacht, dass sie an dem Kohlekompromiss festhalten will. Damit kann man unterstellen, dass beide Parteien zu den Regelungen des „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“ vom 23.01.2020 stehen. Dieses Gesetz sieht vor, die Kohleverstromung schrittweise bis 2038 zu beenden. Auf dieser Basis und einiger weiterer Annahmen ist es plausibel, in die Energiebilanz 2030 für Braunkohle einen Verbrauchswert von 600 PJ und für Steinkohle einen Wert von 500 PJ einzutragen. Dadurch entstehen durch die Verbrennung der Braunkohle 65 Mio. t CO2 und durch die Verbrennung von Steinkohle 49 Mio. t CO2. Durch die Reduzierung bei der Kohle wird bis 2030 gegenüber 2020 eine CO2-Minderung von 78 Mio. t erreicht.
- Jetzt geht es darum, über den noch klimapolitisch zulässigen Einsatz von Mineralöl und Erdgas zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass bei der Verbrennung von Mineralöl und Erdgas in der Summe ein CO2-Limit von 231 Mio. t nicht überschritten werden darf. Energiewirtschaftliche Überlegungen führen zu den folgenden plausiblen Zahlen: Primärenergieverbrauch Mineralöl: 2.200 PJ und Primärenergieverbrauch Erdgas: 1.820 PJ. Sicherheitshalber sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um Setzungen handelt. Wer will, kann auch mit anderen Daten arbeiten, einem etwas höheren Wert für Mineralöl und einem entsprechend niedrigeren Wert für Erdgas oder auch umgekehrt. Für die Botschaft dieser Beispielrechnung ist das unerheblich. Wichtig ist nur, dass in der Summe der CO2-Grenzwert nicht überschritten wird.
- Das Entscheidende in diesem Abschnitt ist es, zu verstehen, dass die CO2-Minderungsvorgabe im Wahlprogramm von CDU/CSU und SPD und ein Festhalten an dem Kohlekompromiss gleichbedeutend ist mit dem Versprechen, den Verbrauch von Mineralöl bis 2030 gegenüber 2020 um 45 % und den Verbrauch von Erdgas im gleichen Zeitraum um 41 % zu reduzieren.
Realisiert 2020 | Abschätzung 2030 (65 % Ziel) | Veränderung 2030/20 | |||
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PEV (PJ) | CO2 (Mio. t) | PEV (PJ) | CO2 (Mio. t) | PEV | |
Braunkohle | 950 | 103 | 600 | 65 | - 37 % |
Steinkohle | 894 | 89 | 500 | 49 | - 44 % |
Mineralöl | 3.965 | 241 | 2.200 | 134 | - 45 % |
Erdgas | 3.105 | 165 | 1.820 | 97 | - 41 % |
Kernenergie | 701 | 0 | 0 | 0 | - 100 % |
Erneuerbare | 2.076 | 0 | ? | 0 | ? |
Summe | 11.691 | 598 | ? | 345 | ? |
Langfristige Entwicklungslinien
Für eine weitergehende Bewertung ist es sinnvoll, die energiewirtschaftlichen Implikationen einer CO2-Reduktion bis 2030 um 65 % in längerfristige Entwicklungslinien einzuordnen. Beginnen wir mit einer Analyse zur Kohle. Die Daten belegen, dass die Kohlewirtschaft in den letzten Jahren beachtliche Beiträge zum Schutz der Erdatmosphäre erbracht hat. So hat sich der Verbrauch von Braun- und Steinkohle in Deutschland in den letzten Jahren zehn Jahren um mehr als 40 % vermindert. Im Zuge der geplanten Beendigung der Kohleverbrennung kann man erwarten, dass sich der Verbrauch von Braun- und Steinkohle von 2020 bis 2030 noch einmal deutlich reduziert.
Wie ist die Situation bei Mineralöl? Der Mineralölverbrauch in Deutschland lag trotz des klimapolitischen Engagements der Bundesregierung von 2010 bis 2019 relativ stabil auf einem Niveau von 4.500 PJ. Durch die wirtschaftlichen Einbrüche im Zuge der Corona-Krise ging der Verbrauch von Mineralöl in 2020 gegenüber 2019 um rd. 12 % zurück. Das aber war eine Sondersituation und so erwarten Experten, dass der Verbrauch von Mineralöl in den kommenden Jahren eher steigen wird (Abb. 1). Es wird deutlich, vor welchen Heraus-forderungen die Politik steht, den Mineralölverbrauch bis 2030 um 45 % zu senken.
Kaum weniger schwierig erscheint eine Reduktion des Verbrauchs von Erdgas (Abb. 2). Hier zeigen die Daten, dass der Verbrauch von Erdgas in den letzten zehn Jahren im Trend gestiegen und auch in Zeiten der Corona-Krise nur geringfügig zurückgegangen ist. Es bedarf also besonders einschneidender Maßnahmen, um die versprochene Verbrauchsreduktionen bei Erdgas bis 2030 gegenüber 2020 um 41 % durchzusetzen.
Klimaschutz per Gesetz
Wer mit der Energiegeschichte in der Bundesrepublik vertraut ist, wird sich erinnern, dass die Bundesregierung ihre Energiepolitik über Jahre an dem „magischen Dreieck“ ausgerichtet hat. Gemeint war damit das Idealbild einer Politik mit dem Ziel einer „gleichermaßen“ sicheren, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung. Damit war es immer möglich, auf neue Entwicklungen flexibel und angemessen zu reagieren. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Warum? Mit dem Klimaschutzgesetz vom 12.12.2019 hat die Bundesregierung rechtlich verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgase festgelegt [8]. Das Bundesverfassungsgericht hat das Prinzip einer gesetzlichen Normierung der Klimapolitik am 24.03.2021 auch noch einmal eindrucksvoll bestätigt [9].
Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Die Bundesregierung hatte über viele Jahre wenig Erfolg bei der Reduktion der CO2-Emissionen [10]. Und so gab es schon früh Vorschläge, künftige Klimaschutzziele durch Gesetze festzulegen. Die Befürworter dieses Gedankens hofften, dass die Bundesregierung sich im „Interesse der Sache“ freiwillig in die „Zwangsjacke eines Gesetzes“ begeben werde. Es ist hier nicht der Ort, auf diese Entwicklung im Einzelnen einzugehen. Wichtig ist die Feststellung, dass die Verantwortlichen am Ende dem Gedanken einer gesetzlichen Regelung und dem dahinter liegenden „Zeitgeist“ gefolgt sind. Heute sind die CO2-Minderungsziele Gesetz und einklagbar, für die anderen energiepolitischen Ziele gilt das nicht, auch nicht für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für eine Verbesserung der Energieeffizienz und auch nicht für die Zielwerte bei der Elektromobilität. Das sind alles wichtige Voraussetzungen für die „Energiewende“, so wie sie sich die Parteien vorstellen, aber eben nicht mehr als unverbindliche Vorgaben.
Das Verständnis, dass der künftige Einsatz von Kohle, Öl und Erdgas durch Gesetz begrenzt ist, führt direkt zu der Frage, wieviel Energie Wirtschaft und Verbrauchern in Deutschland künftig zur Verfügung stehen wird. In Tab. 3 ist der Beitrag der erneuerbaren Energien in 2030 offen. Alle Parteien versprechen in ihren Wahlprogrammen einen Ausbau der Erneuerbaren, nennen dabei aber keine Zahlen. Geht man in einer Beispiel-rechnung davon aus, dass der Energiebedarf in 2030 in Deutschland auf dem konjunktur-bedingt niedrigen Niveau von 2020 liegen wird, und geht man weiter davon aus, dass der Verbrauch von Kohle, Mineralöl und Erdgas in dem angekündigten Umfang reduziert wird, kann man den zur Deckung des Bedarfs notwendigen Zuwachs bei den Erneuerbaren berechnen. Andere Energieträger stehen ja nicht mehr zur Verfügung. Ergebnis: Bei den erneuerbaren Energien wäre von 2020 bis 2030 ein Zubau um 217 % (!) notwendig.
Ist das realistisch? Zumindest wäre der Zubau in einem solchen Umfang ambitioniert, wie ein Blick auf die Entwicklung von 2010 bis 2020 zeigt. In diesem Zeitraum ist es – trotz erheblicher politischer Bemühungen – lediglich gelungen, einen Zuwachs um 39 % zu realisieren.
Was also passiert, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 um mehr als 200 % nicht gelingt? Nach Lage der Dinge könnte die dann amtierende Bundesregierung durch das Klimaschutzgesetz (im Zusammenspiel mit dem Verfassungsgericht) gezwungen werden, über Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs zu entscheiden. Da kämen Bezugsscheine für Kohle, Öl und Erdgas, Sonntagsfahrverbote oder auch Stromabschaltungen in Frage; alles Maßnahmen, die ihrerseits auch als Grundrechtseinschränkungen zu diskutieren wären. Zu erkennen ist: Wer das neue „Politik-Regime“ wirklich ernst nimmt, wird kaum umhinkommen, über so weitreichende Konsequenzen und die damit zusammenhängenden Fragen nachzudenken; das aber steht auf einem anderen Blatt.
Vorschläge zur künftigen Energie- und Klimapolitik
Nachdem Klarheit über die CO2-Minderungsziele der Parteien und die damit rechnerisch verbundene Reduktion von Kohle, Mineralöl und Erdgas besteht, ist es interessant, sich zum Schluss noch einmal im größeren Zusammenhang mit den verschiedenen Vorschlägen der Parteien vertraut zu machen. Dass die Programme sich bei den Details zurückhalten, ist nicht nur wahltaktisch verständlich, es gibt aber auch noch andere Gründe: Das nötige Wissen auf diesem Gebiet ist heute schlichtweg unzureichend. Eine Reduktion der CO2-Emissionen in dem versprochenen Ausmaß und in der Kürze der Zeit ist bei den kaum zu übersehenden Wirkungszusammenhängen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Energieversorgung eine komplexe planwirtschaftliche Aufgabe. Immer deutlicher zeigt sich, dass der Umbau des Energiesystems auch eine Transformation der Politik in Richtung eines „metrischen Systems“ mit Anpassungen des bürokratischen und administrativen Apparates voraussetzt. Was das im Einzelnen bedeutet, kann man heute noch nicht voll übersehen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar (und vielleicht auch entschuldbar), wenn sich die Verantwortlichen in den Wahlprogrammen bei Aussagen zu konkreten Maßnahmen und möglichen Konsequenzen sehr zurückhalten.
Eine summarische Übersicht über die wichtigsten Vorschläge der Parteien zur künftigen Energie- und Klimapolitik soll vor allem helfen, ein gewisses Verständnis für den konzeptionellen Ansatz der einzelnen Parteien zu bekommen Tab. 4. Schließlich ermöglicht die Übersicht dem Leser ein erstes Urteil, ob die in den Wahlprogrammen in aller Regel nur „schlagwortartigen“ Vorschläge angemessen und ausreichend sind, die von den Parteien jeweils angestrebten CO2-Minderungsziele zu erreichen.
CDU / CSU
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BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
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SPD
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FDP
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DIE LINKE
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Ausblick
Die CO2-Minderungsziele von CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und DIE LINKE lassen sich in Obergrenzen für den künftigen Verbrauch von Kohle, Mineralöl und Erdgas umrechnen. Mit diesen Vorgaben wird die Energieversorgung der Zukunft in Deutschland nahezu punktgenau festgelegt. Das ist Mathematik und führt zu einem merkwürdigen Gegensatz: Die Parteien sagen genau, wohin sie wollen; sie bleiben aber undeutlich, auf welchem Weg und wie sie dorthin kommen wollen. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld, das eine Bewertung der Wahlversprechen so schwierig macht.
Wie auch immer die nächste Bundesregierung zusammengesetzt ist, sie wird vor schwierigen Entscheidungen stehen. Das kann man so zuverlässig vorhersagen, wie den Lauf der Sterne. Das liegt zunächst daran, dass die politischen Maßnahmen konkretisiert werden müssen. Das wird schwierig genug. Es gibt aber noch eine weitere Entwicklung, die an Bedeutung gewinnen wird. Sie hat ihren Ursprung in der Absicht der Parteien, die Energiewende ohne größere Belastungen der Wirtschaft und der Verbraucher abzuwickeln. Konsequenterweise haben alle Parteien in ihren Wahlprogrammen umfangreiche Subventionen in Aussicht gestellt. Sie reagieren damit auf das Vermutung, dass zwar die meisten Wähler die „Energiewende“ wollen, viele aber den notwendigen Umbau der Energieversorgung nicht bezahlen können und manche wohl auch nicht bereit sind, die notwendigen Beiträge zu leisten.
Damit werden Kosten dem Markt entzogen. Sie verschwinden aber nicht, sondern tauchen im Bundeshaushalt wieder auf. Das aber bedeutet: Die vielfältigen Subventionsprogramme zum Umbau der Energieversorgung werden sich im Parlament gegen andere, auch als wichtig eingestufte staatliche Aufgaben behaupten müssen. So stehen die von den Parteien eingeplanten Ausgaben für die „Energiewende“ jetzt ganz unvermittelt und direkt gegen Bereiche wie: „Renten“, „Gesundheit“, „Familie“, „soziale Sicherung“, „Infrastruktur“, „Bildung“ und vieles mehr. Da man nicht alles haben kann, Klimaschutz aber Priorität genießt, werden sich die dann Verantwortlichen auf schwierige Debatten einstellen müssen; mit vielen grundsätzlichen Fragen zu Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Politik.
Zum Schluss bleibt die Feststellung, dass Leser nach der Lektüre der Wahlprogramme sehr viel besser als früher verstehen werden, wie wichtig es ist, die mit der „Energiewende“ verbundenen Kosten so niedrig wie irgend möglich zu halten. Und je deutlicher man das erkennt, umso mehr rückt das Thema „Energieeinsparung“ in den Vordergrund; und zwar nicht nur im traditionellen Sinne einer Verbesserung der „Energieeffizienz“, sondern im Sinne einer „absoluten Verminderung des Energieverbrauchs“ [11]. Es ist bemerkenswert, dass in den Wahlprogrammen der Parteien davon keine Rede ist.
Quellen
[1] CDU/CSU: Das Programm für Stabilität und Erneuerung. GEMEINSAM FÜR EIN MODERNES DEUTSCHLAND, 21. Juni 2021.
[2] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschland. ALLES IST DRIN. Programm zur Bundestagswahl 2021, 13. Juni 2021.
[3] SPD: AUS RESPEKT VOR DEINER ZUKUNFT, ZUKUNFTSPROGRAMM DER SPD, 9. Mai 2021.
[4] FDP: WAHLPROGRAMM DER FREIEN DEMOKRATEN, 16. Mai 2021.
[5] DIE LINKE: Zeit zu handeln. Für soziale Sicherheit, Frieden und Klima, 20. Juni 2021.
[6] Baerbock, A.; Habeck, R.: Klima retten, Menschen schützen. Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung, 3. August 2021.
[7] Kübler, K.: Klimaschach in Deutschland: Matt oder Remis? – Ein Strategiespiel zur Analyse energiewirtschaftlicher Strukturveränderungen durch eine CO2-Minderungspolitik, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, 4/92, S. 283-292.
[8] Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Bundes-Klimaschutzgesetz, Berlin 12.12.2019.
[9] Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich, Beschluss vom 24.03.2021.
[10] Kübler, K.: 15 Jahre Klimaschutzpolitik in Deutschland – Eine Bilanz, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 56. Jg. (2006), Heft 1 / 2, S. 78-81.
[11] Kübler, K.: Energieeffizienz und Energieeinsparung: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität“, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 68. Jg. (2018), Heft 6, S. 23-27.
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Dr. K. Kübler, Rheinbach, kmkue@web.de