E-Autos dann zu laden, wenn die Beschaffungskosten z.B. bei Windstromüberschüssen möglichst gering sind, bringt Vorteile für Kunden, EVU, Netzbetreiber und das Klima

E-Autos dann zu laden, wenn die Beschaffungskosten z.B. bei Windstromüberschüssen möglichst gering sind, bringt Vorteile für Kunden, EVU, Netzbetreiber und das Klima (Quelle: Adobe Stock)

Bis zum Jahr 2045 will Deutschland aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen und klimaneutral werden. Dieses Ziel ist mit großen Herausforderungen verbunden. Da dafür auch die Sektoren Wärme und Verkehr dekarbonisiert werden müssen, wird der Strombedarf der privaten Haushalte stark steigen. Immer mehr Menschen werden mit Wärmepumpen heizen und mit E-Autos fahren. Dieser erhöhte Strombedarf muss komplett aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.

Gleichzeitig wird die Stromerzeugung im Zuge der Energiewende volatiler. Während bisher Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke bei Bedarf hochgefahren werden, produzieren Wind- und Solaranlagen Strom je nach Wetterlage. Mögliche Lücken zwischen Angebot und Nachfrage können Speicher sowie mit grünem Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke schließen. Deren Kosten sind allerdings hoch. Zudem müssen die Stromnetze ausgebaut werden, um dem steigenden Bedarf Rechnung zu tragen. Hierfür sind erhebliche Investitionen notwendig.

Neben diesen relativ teuren Optionen bietet die zukünftige Energiewelt aber noch eine weitere, deutlich kostengünstigere Möglichkeit, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen und die Netze zu entlasten: die Nutzung von Flexibilitäten.

Welche Potenziale solche Flexibilitäten bergen und wie sie genutzt werden können, hat das im Jahr 2022 durchgeführte Pilotprojekt „FlexHafen“ in Hamburg untersucht. Beteiligt waren das Energieversorgungsunternehmen Green Planet Energy eG (GPE), die Stromnetz Hamburg GmbH (SNH), eine Tochtergesellschaft der Stadt Hamburg, das junge Unternehmen EnergieDock GmbH mit seiner digitalen Handelsplattform NEMO.spot und die becharged GmbH, die Ladelösungen anbietet.

Flexibilitäten durch Mutual Flexibility Agreements nutzbar machen

Erstmals können in der kommenden Energiewelt viele Haushalte ihren Stromverbrauch innerhalb eines gewissen Rahmens zeitlich problemlos verschieben. Während Fernseher und Glühbirnen dann eingeschaltet werden, wenn sie benötigt werden, muss beispielsweise ein E-Auto nicht immer unmittelbar geladen werden, sobald es an die Wallbox angeschlossen wird. Für die Nutzer zählt, dass das Auto dann über ausreichend Reichweite verfügt, wenn sie es wieder benötigen. Haushalte haben einen Anreiz, sich derart flexibel zu zeigen, wenn sie dadurch finanziell profitieren. Etwa, indem ihre Stromkosten zu bestimmten Zeiten niedriger sind und das Laden des E-Autos dadurch günstiger wird. Idealerweise erfolgt die Steuerung der Wallbox in diesem Sinne automatisch.

Um ihre Flexibilitäten anzubieten, können Haushalte auf der Handelsplattform NEMO.spot ein sog. „Mutual Flexibility Agreement“ (MFA) einstellen. In den MFAs sind die Randbedingungen definiert, die die Kunden individuell vorgeben. Dazu zählt die Uhrzeit, zu dem ihr Auto spätestens geladen sein muss. Haushalte werden nicht gezwungen, Flexibilitäten bei NEMO.spot einzustellen. Sie können sich jederzeit auch dafür entscheiden, ihr E-Auto sofort zu laden. Im Gegenzug verzichten sie dann auf die möglichen finanziellen Vorteile.

Die auf der Plattform gebündelten Flexibilitäten erlauben Energieversorgungsunternehmen (EVUs) und Netzbetreibern, Elektrizität frei innerhalb des vereinbarten Zeitfensters zur Verfügung zu stellen. Die durch die Haushalte angebotene Flexibilität können EVUs und Netzbetreiber für verschiedene Zwecke einsetzen. Nutzen die EVUs die Flexibilität marktdienlich, können sie die Stromnachfrage in Zeiten verschieben, in denen die Strombeschaffungskosten niedrig sind. Dies ist oft der Fall, wenn viel Windenergie zur Verfügung steht.

Die Netzbetreiber können die haushaltsnahen Flexibilitäten zudem netzdienlich nutzen. Sie verschieben die Stromnachfrage in Zeiten, in denen Verbraucher weniger Strom nachfragen und vermeiden so Netzengpässe. Schließlich – in einer Übergangszeit bis zum Erreichen der Klimaneutralität – kann die Flexibilität auch zur Verlagerung der Nachfrage aus Zeiten mit hohen CO2-Emissionen im Strommix in Zeiten mit niedrigeren Emissionen genutzt werden.

Indem die MFAs zahlreicher Haushalte auf NEMO.spot gebündelt werden, sind sie technisch leicht handelbar und durch verschiedene Akteure einfach nutzbar, sofern sich ein liquider Markt bildet. Das Vorgehen entspricht einem marktlichen und zwischen den Akteuren harmonisierten Vorgehen gegenüber dem regulatorischen Ansatz eines rein technisch getriebenen Netzengpassmanagements, das durch das Dimmen von Leistung mit Komforteinbußen bei Kunden und Folgekosten bei Netzbetreibern und EVUs einhergeht.

Am Pilotprojekt „FlexHafen“ haben 14 Haushalte teilgenommen, die ihren Strom von GPE beziehen. Die Wallboxen dieser Endkunden wurden über die standardisierte OCPP-Schnittstelle angebunden. Diese ermöglichte die Steuerung von Wallboxen aus der Ferne, ohne dass zusätzliche Hardware installiert werden musste.

Im Rahmen des Pilotprojekts lag der Fokus auf der Nutzung der Flexibilitäten für markt- und netzdienliche Zwecke. Zur Überprüfung der realen Netzstabilität wäre es eigentlich erforderlich gewesen, dass die teilnehmenden Haushalte an einem einzigen Niederspannungs- oder Ortsnetz angeschlossen sind. Da die Haushalte jedoch über das Einzugsgebiet der SNH verstreut waren, wurden im Rahmen des Projektes die Lastgänge der Verbraucher kumuliert und die Netzstabilität eines Netzabschnitts simuliert.

Die Haushalte haben während des 69-tägigen Feldversuchs 5,3 MWh Flexibilität auf NEMO.spot eingestellt. Insgesamt wurden 71 % der E-Auto-Ladevorgänge markt- oder netzdienlich verschoben. Bei den anderen 29 % war der Zeitpunkt, an dem das E-Auto an die Wallbox angeschlossen wurde, bereits der beste Zeitpunkt für den Ladevorgang. In diesen Fällen wurde der Ladevorgang deshalb nicht verschoben. 

1 / 3

Ähnliche Beiträge