Emissionshandel: Abb. 1 Nachfrage und Angebot im Gesamtsystem – Vergleich der Emissionen mit den verfügbaren Emissionsberechtigungen sowie Entwicklung der Umlaufmenge seit 2008

Abb. 1 Nachfrage und Angebot im Gesamtsystem – Vergleich der Emissionen mit den verfügbaren Emissionsberechtigungen sowie Entwicklung der Umlaufmenge seit 2008 (Bildquelle: DEHST)

Der 2005 eingeführte europäische Emissionshandel (EU ETS) umfasst derzeit alle 31 Länder des europäischen Wirtschaftsraumes und hat eine zentrale Funktion in der europäischen Klimapolitik. Dem EU ETS unterliegen insgesamt 45 % der europäischen Treibhausgasemissionen. 2021 beginnt die vierte, bis 2030 reichende Handelsperiode. Reform- und Stärkungsmaßnahmen sollen die Funktionsweise des Systems verbessern und widerstandsfähiger gegen Krisen machen. Im Zentrum steht die Frage, ob die 2019 eingeführte Marktstabilitätsreserve für die notwendige Balance zwischen Angebot und Nachfrage bei den handelbaren Emissionszertifikaten sorgen kann.

Im November 2017 einigten sich das EU-Parlament und der Rat auf eine gemeinsame Reform des EU-ETS. Die Richtlinie (EU) 2018/410 [1] legt die Rahmenbedingungen für die Fortführung des EU-Emissionshandels in der Handelsperiode 2021 bis 2030 fest. Diese Richtlinie trat am 08.04.2018 in Kraft.

Der Europäische Rat geht davon aus, dass ein gut funktionierender, reformierter Emissionshandel mit einem Instrument zur Stabilisierung des Markts das wichtigste Mittel zur Erreichung des Ziels einer CO2-Reduzierung von mindestens 40 % (künftig mindestens 55 %) darstellt. Zugleich rechtfertige die Vermeidung einer Verlagerung von Emissionen in Drittländer, das Carbon Leakage, weiterhin die Aufschiebung der vorgesehenen vollständigen Versteigerung und die gezielte kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an bestimmte Sektoren der Industrie, sodass auch künftig nur etwa 57 % aller bereitgestellten Emissionszertifikate zur Versteigerung kommen.

Darüber hinaus erhalten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im Falle einer Schließung von Stromerzeugungsanlagen in ihrem Hoheitsgebiet Zertifikate aus ihrem Versteigerungsvolumen zu löschen. Dabei darf die zu löschende Menge den fünfjährigen Durchschnitt der Emissionen der von der Schließung betroffenen Anlagen nicht überschreiten.

Bereits 2012 hatte die Kommission in ihrem Bericht über die Lage des europäischen CO2-Markts an das Parlament und den Rat [2] auf strukturelle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage hingewiesen, die vornehmlich im Zuge der vorangegangenen Wirtschafts- und Finanzkrise entstanden waren und zu einem deutlichen Überschuss an Zertifikaten geführt hatten. Nach Ansicht der Kommission dauere es zu lange, bis dieser Überschuss von rund 2 Mrd. Zertifikaten über den linearen Reduktionsfaktor abgebaut werde und das System würde keine Signale für Investitionen in kostengünstige CO2-Minderungen mehr aussenden.

Mit dem Beschluss (EU) 2015/1814 wurde deshalb eine Markstabilitätsreserve für das EU ETS angelegt, um das Auktionsangebot flexibler und das System krisenfester zu machen. Die Markstabilitätsreserve reduziert die Auktionsmenge, wenn zu viele Emissionszertifikate im Umlauf sind oder stockt das Angebot auf, wenn eine Unterversorgung des Markts droht.

Funktionsweise der Marktstabilitätsreserve

Die Marktstabilitätsreserve (MSR) wird seit dem 01.01.2019 als langfristiges Instrument zum Abbau und zur Beschränkung des Überangebots an CO2-Zertifikaten eingesetzt. Sie soll das System widerstandsfähiger machen, indem sie das Angebot flexibler an Veränderungen der Nachfrage ausrichtet. Hauptziel der MSR ist es, die aufgelaufenen Überschüsse an Zertifikaten dauerhaft zu verringern. Eine Rückgabe in den Markt ist nicht vorgesehen und nur für den Fall einer deutlichen Knappheit an Zertifikaten möglich.

Kürzung und Aufstockung von Auktionsmengen

Indikator für den Marktüberschuss ist die sog. Umlaufmenge (TNAC, Total Number of Allowances in Circulation). Dieser jedes Jahr im Mai von der EU-Kommission veröffentlichte Wert ist maßgeblich für die Auktionsmengenkürzung durch die MSR [3]. Die Auktionsmenge eines Jahres wird ab September für die folgenden 12 Monate gekürzt, wenn die Menge der im Umlauf befindlichen Zertifikate zum Ende des Vorjahres den Schwellenwert von rund 833 Mio. Berechtigungen überschreitet.

Zwischen 2019 und 2023 beträgt die jährliche Kürzung der Auktionsmenge 24 % des Überschusses, ab 2024 sinkt dieser Anteil auf (die ursprünglich für die gesamte Periode vorgesehenen) 12 %. Damit soll sichergestellt werden, dass der Zertifikate-Überschuss zügig und vor allem in den ersten Jahren der vierten Handelsperiode abgebaut werden. Die nicht versteigerten Emissionsberechtigungen fließen zunächst der MSR zu. Unterschreitet die Umlaufmenge den Schwellenwert von 400 Mio. Berechtigungen, werden 200 Mio. Berechtigungen – ab 2024 100 Mio. Berechtigungen – aus der Reserve zusätzlich versteigert. Allerdings nur dann, wenn ausreichend Berechtigungen in der Reserve verfügbar sind.

Löschungsmechanismus

Um die Überschüsse nicht nur temporär, sondern dauerhaft zu reduzieren, werden ab 2023 alle Zertifikate aus der MSR gelöscht, die über das Auktionsvolumen des Vorjahres hinausgehen. Damit soll verhindert werden, dass die Überschüsse in nennenswertem Umfang wieder in den Markt zurückgeführt werden und damit mittel- und langfristig zu höheren Emissionen führen. Durch die dauerhafte Löschung von Überschüssen, die durch Überallokation, Krisen oder zusätzliche Instrumente entstehen können, erfolgt eine dynamisierte Anpassung des Caps.

Durch die Marktstabilisierungsreserve werden also mehr Emissionen vermieden, als durch das linear fallende Cap des EU ETS eigentlich vorgegeben ist. Außerdem soll die MSR die Aufgabe haben, durch die Mengenstabilisierung Schwankungen bei Zertifikatspreisen zu dämpfen und Preiserwartungen zu stabilisieren, um Investitionen in die CO2-Einsparung besser planen zu können [4].

Nationale Löschungsoption bei der Stilllegung von Stromerzeugungskapazitäten

Für den Fall, dass Mitgliedstaaten im Zuge nationaler Klimaschutzmaßnahmen Stromerzeugungskapazitäten stilllegen, können sie Zertifikate aus ihrem Auktionsanteil maximal in Höhe der Durchschnittsmenge der geprüften Emissionen der betreffenden Anlage während eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Stilllegung löschen [5].

Die MSR vor und während der Corona-Pandemie

Zum Jahresbeginn 2019 trat die Markstabilitätsreserve in Kraft. Zur Grundausstattung der MSR zählen 900 Mio. Zertifikate, die bereits in früheren Jahren zunächst temporär aus dem Markt genommen worden waren (Backloading) sowie die Berechtigungen, die nicht bis Ende 2020 (kostenlos) zugeteilt werden (Restmengen).

Für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2020 wurde das zu versteigernde EUA-Volumen, dem MSR-Mechanismus entsprechend, EU-weit um etwa 397 Mio. Emissionsberechtigungen (EUA) reduziert [6]. Damit sank das durch Auktionierung, kostenlose Zuteilung und Umtauschkontingente für Projektgutschriften zur Verfügung gestellte Angebot an Emissionsberechtigungen deutlich unter die ermittelten Emissionen der ETS-Anlagen sowie unter die Höhe des nominellen Cap (siehe Abb. 1). Dennoch verblieb eine frei zirkulierende Überschussmenge deutlich oberhalb des oberen MSR-Schwellenwerts (833 Mio. EUA): Zum Ende des Jahres 2019 lag die Menge an überschüssigen Emissionsberechtigungen nach Angaben der EU-Kommission bei rund 1,39 Mrd. EUA (TNAC).

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