Es ist nicht einfach, die komplexen Systemzusammenhänge und dynamischen Rückkopplungsmechanismen der Energiepolitik richtig zu verstehen und im Blick zu behalten

Es ist nicht einfach, die komplexen Systemzusammenhänge und dynamischen Rückkopplungsmechanismen der Energiepolitik richtig zu verstehen und im Blick zu behalten (Quelle: Adobe Stock)

Aufgabe der Energiepolitik ist es, eine stets sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung zu gewährleisten. Das Verständnis, wie das in der Praxis umgesetzt werden kann und soll, verändert sich. Das kann man an einem Detail besonders gut deutlich machen. Die Rede ist von der Nutzung quantitativer Ziele. „Gestern“, d.h. in den Anfangsjahren der Bundes-republik, wurden quantitative Vorgaben und die damit verbundenen Eingriffe in den Markt als typische Elemente einer „Kommandowirtschaft“ abgelehnt. Die Politik orientierte sich an dem „Prinzip der Marktwirtschaft“. Danach sollte das Zusammenspiel von Investoren, Produzenten und Verbrauchern möglichst frei sein und nur durch politische Rahmendaten begrenzt werden.  „Heute“ folgt die Energiepolitik einer anderen Vorstellung. Die Zielvorgaben der Politik zum Schutz der Erdatmosphäre erforderten einen neuen Ansatz und so sind quantitative Ziele ein bestimmendes und vielfach genutztes Element der Energiepolitik geworden.

Dieser ordnungspolitische Phasenwechsel wird üblicherweise mit der Vorlage des „Energiekonzepts 2010“ verbunden [1]. In diesem Konzept, das in der Fachwelt als wichtige Grundlage der Energiewende eingestuft wird, hat die Bundesregierung zum ersten Mal versucht, den Weg in die Energiezukunft Deutschlands möglichst genau festzulegen; und zwar durch 30 quantitative Vorgaben [2]. Diese und weitere Ziele führten dann im Jahr 2023 zu einer Situation, die man als eine Art Zäsur bezeichnen kann. Worum geht es? Mit dem Energieeffizienzgesetz 2023 legt die Bundesregierung zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik durch Gesetz eine absolute Begrenzung des Energieverbrauchs fest. Es lohnt sich, diesen Sachverhalt näher zu analysieren.

Analyseansatz

Die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Aktivität und Energieeinsatz lassen sich durch eine einfache Definitionsgleichung beschreiben:

BIP = BIP/EEV * EEV

Dabei gilt:
BIP: Bruttoinlandsprodukt in Mrd. € (zu Preisen von 2015)
BIP/EEV: Endenergieproduktivität in Mrd. € (zu Preisen von 2015) /PJ
EEV: Endenergieverbrauch in PJ

Wieviel Güter und Dienstleistungen (hier gemessen in Form des Bruttoinlandsprodukts) in Deutschland im Jahr produziert werden können, hängt zunächst einmal davon ab, wieviel Endenergie zur Verfügung steht. Die Endenergie ist die Summe aller Energie, die nach der Umwandlung von Primärenergieträgern wie Kohle, Mineralöl, Erdgas, Biomasse, Solarstrahlung und Windenergie verfügbar ist. In Kurzform: Steht viel Endenergie zur Verfügung, kann man auch viel produzieren; fehlt es an Endenergie, kann weniger produziert werden. Das ist die Grundregel.

Ein weiterer Faktor ist nun, wie effizient die Endenergie bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt wird. Auskunft darüber gibt die sog. Endenergieproduktivität. Sie gibt an, wieviel Einheiten Bruttoinlandsprodukt pro eingesetzter Einheit Endenergie erzeugt werden. Je mehr Einheiten Bruttoinlandsprodukt man mit einer Einheit Endenergie erzeugen kann, um so effizienter arbeitet das System. Oder anders: Je höher die Energieproduktivität, um so mehr Güter und Dienstleistungen kann man mit einer vorgegebenen Menge an Endenergie erzeugen.

Quantitative Vorgaben der Bundesregierung

In dem Energieeffizienzgesetz, das am 18. November 2023 in Kraft getreten ist, wird in § 4 eine quantitative Vorgabe für den künftig angestrebten Endenergieverbrauch gemacht. Dort heißt es: „Die Bundesregierung strebt an, den Endenergieverbrauch Deutschlands im Vergleich zum Jahr 2008 bis zum Jahr 2045 um 45 % zu senken“ [3]. Der Endenergieverbrauch im Jahr 2008 ist bekannt und so ist es ein Leichtes, den von der Bundesregierung für 2045 angestrebten Wert zu berechnen. Ergebnis: Ziel der Bundesregierung ist es, den Endenergieverbrauch in Deutschland bis 2045 auf ein Niveau in Höhe von 5.040 PJ abzusenken.

Die Bedeutung der Vorgabe der Bundesregierung, den Endenergieverbrauch bis 2045 so deutlich abzusenken, versteht man besser, wenn man einen Blick auf die längerfristige Entwicklung wirft. Nach den Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen lag der Endenergieverbrauch in Deutschland im Jahr 1990 bei 9.472 PJ. Bis zum Jahr 2022, also über einen Zeitraum von 32 Jahren, ist er schon auf ein Niveau von 8.433 PJ zurückgegangen. Das entspricht einer Reduktion um 11 %. Nach den Vorgaben der Bundesregierung soll der Endenergieverbrauch bis 2045 nun aber auf ein Niveau von 5.040 PJ sinken. Daraus errechnet sich gegenüber dem Jahr 2022 ein Rückgang um 40 %, allerdings stehen jetzt dafür nur 23 Jahre zur Verfügung.

Besonders aufschlussreich ist auch ein anderer Vergleich. Der vorgegebene Energieverbrauch 2045 entspricht einem Verbrauchswert, wie man ihn in den alten Bundesländern Anfang der 1960er Jahre beobachtet hat (Abb. 1). Bei dieser Gegenüberstellung ist zu beachten, dass 1960 in den alten Bundesländern 56 Mio. Einwohner lebten und die aktuellen Schätzungen für 2045 von einer Bevölkerungszahl für Gesamtdeutschland von rd. 80 Mio. Einwohnern ausgehen.

Richten wir den Blick nun auf die Endenergieproduktivität. In dem Jahreswirtschaftsbericht 2023 hat die Bundesregierung das Ziel bekräftigt, die Endenergieproduktivität Deutschlands in den Jahren 2008 bis 2050 jährlich um 2,1 % zu erhöhen [3]. Für das Jahr 2008 errechnet sich eine Endenergieproduktivität von 0,309 Mrd. €2015/PJ. Daraus folgt, dass für das Ziel der Endenergieproduktivität in 2045 der folgende Wert anzusetzen ist: 0,667 Mrd. €2015/PJ.

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