Unterschiedliche Formen

„et“: In der Task Force im Rahmen des EU-Projektes Bridge Horizon 2020 haben Sie unterschiedliche Formen von Gemeinschaften im Energiemarkt klassifiziert. Welche Anwendungsbeispiele sind auf den ersten Blick gar nicht so selbstverständlich?

Karg: Die EU-Kommission hat einen Rahmen geschaffen, der vieles zulässt. Die Task Force hat daraufhin eine Klassifizierung mit zehn Gruppen erarbeitet, um die Breite der möglichen Anwendungen deutlich zu machen. Gerade für Energieeffizienzmaßnahmen wäre das Konzept wichtig. Hier kann man an die gemeinschaftliche Finanzierung von Gebäude- und Heizungssanierungen denken. Zu diskutieren ist auch, ob eine virtuelle Abrechnung über eine Blockchain ebenfalls eine Energy Community darstellt.

„et“: Wie verbreitet sind bisher Energiegemeinschaften in Europa?

Karg: Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind groß. In Norwegen sind Energy Communities schon immer der Normalfall. Bei der Umsetzung des Gesetzesrahmens liegt derzeit wohl Griechenland ganz weit vorn. Allerdings wird der Gesetzesrahmen dort noch nicht in der ganzen Breite genutzt. Das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis ist auch eine Frage, mit der wir uns in der Task Force beschäftigen.

„et“: In diesem Jahr wurde das EU-Projekt ALLIES zur Förderung von Energieeffizienz in Osteuropa abgeschlossen. Welche Rolle haben Energiegemeinschaften dort gespielt?

Karg: Beim ALLIES-Projekt haben wir Energiegemeinschaften zur Finanzierung von Energieeffizienzmaßnahmen in Osteuropa gegründet. Die Bereitschaft, innerhalb der Region zu investieren war hoch, weil die Menschen sehen, wohin das Geld fließt. In Ungarn haben sie auf diese Weise ein Schwimmbad saniert und mit einer Solaranlage ausgestattet. In Polen werden im großen Stil Wohngebäude saniert, mit regionalem Geld und hoffentlich bald auch Mitteln von der EU.

„et“: Welche Rechtsform eignet sich am besten für so ein gemeinschaftliches Vorhaben von Bürgern?

Karg: Klassischerweise werden in Deutschland seit über 100 Jahren Genossenschaften gegründet, um etwas zum Wohle der Gemeinschaft zu tun. Das Wort „cooperative“ bedeutet im Englischen gleichermaßen „gemeinschaftlich“ wie „Genossenschaft“. In Deutschland hat der Gesetzgeber den Genossenschaften gegenüber Kapitalgesellschaften einen Vorteil verschafft, dass sie nicht prospektpflichtig sind. In vielen Mitgliedstaaten fehlt leider noch eine solche vorteilhafte Gesetzgebung zu Genossenschaften. 

Auswirkungen auf bisherige Strukturen

„et“: Wenn sich das Wirtschaften im Energiesystem so grundlegend wandelt, wird dies auch Auswirkungen auf die bisherigen Strukturen haben?

Karg: Die etablierte Energiewirtschaft hat begründete Sorge, dass sich der Markt verändern wird. Netzbetreiber und Stadtwerke werden ihre Geschäftsmodelle überdenken müssen. Auch die Bürgermeister und Gemeinderäte werden sich wieder mehr mit der Energieversorgung der Kommune beschäftigen. Ob das für den einzelnen Akteur gut ist, hängt davon ab, wie sich das Unternehmen aufstellt. Klar ist: Wer nur abwartet, macht sich zum Verlierer des Systems.

„et“: Wie könnte sich das Geschäftsmodell von Stadtwerken verändern?

Karg: Energiegemeinschaften werden nicht als Zusammenschluss von Laien funktionieren. Sie brauchen unbedingt professionelle Dienstleister, seien es Berater oder Stadtwerke. Künftig wird es für Energieversorger nicht mehr nur darum gehen, den Kunden zu beliefern, sondern ihm zu ermöglichen, sich selbst zu versorgen. Darin liegt eine große Perspektive für Stadtwerke.

„et“: Herr Karg, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Astrid Sonja Fischer, Freie Journalistin, Schönwalde-Glien, im Auftrag der „et“ mit Ludwig Karg, Geschäftsführer, B. A. U. M. Consult GmbH, München/Berlin; Leiter der Task Force Energy Communities im Rahmen der EU-Forschungsplattform Bridge Horizon 2020, Brüssel

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